Hoffen auf die Allianz der Progressiven

Am 24. und 25. Februar wählen die Italiener die beiden Kammern ihres Parlaments neu. Der Partito Democratico kann mit Pierluigi Bersani an der Spitze stärkste Partei werden, und sollte dennoch die Zusammenarbeit mit Mario Monti suchen

„Wir verstecken uns nicht vor der Größe der Herausforderungen, die vor uns liegen – aber wir haben großes Vertrauen in die Italiener und in Italien.“ Mit dieser Botschaft stimmte Staatspräsident Napolitano seine Landsleute auf das Jahr 2013 ein. Ob sein Optimismus gerechtfertigt ist, daran lassen die letzten Wochen des italienischen Wahlkampfs allerdings Zweifel aufkommen. Ministerpräsident Monti kennt die Herausforderungen, aber er ist verschrien als kaltherziger Technokrat. Ein tot geglaubter Berlusconi reitet populistische Attacken, als habe er nicht zehn der letzten zwölf Jahre selbst an der Spitze der Regierung gestanden. Und der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) thematisiert zwar die Sorgen in der Bevölkerung. Wie ernst es ihm jedoch mit der Modernisierung des Landes ist, darüber ist noch nicht entschieden. Das Beste, was dem Land passieren könnte, wäre eine Zusammenarbeit der beiden Kräfte, die sich selbst als progressiv verstehen – dem PD und der neuen Mitte-Formation unter Monti. Ob es tatsächlich dazu kommt, ist offen.

Dabei sieht die Lage nach einem Jahr Monti-Regierung für den ausländischen Betrachter so einfach aus. Endlich war da eine Figur, ernsthaft und pflichtbewusst, der man zutraute, gründlich aufzuräumen. Der wusste, von Italiens Reformwillen und -erfolg hängt die Zukunft der gemeinsamen Währung ab, wenn nicht des europäischen Einigungsprojektes insgesamt. Und endlich war da jemand, der sich an die Arbeit machte: Die „technische Regierung“ Montis stieß entscheidende Reformen an, brachte eine Renten- und eine Arbeitsmarktreform durchs Parlament und sagte der Steuerhinterziehung den Kampf an. Sie unternahm erste Schritte, um die drückende Staatsverschuldung abzubauen. Damit hat sie Italien wieder Luft zum Atmen verschafft. Gut ein Jahr nach Montis Amtsantritt hat sich der Spread, die Risikoprämie für den Kauf italienischer Staatsanleihen, halbiert. Ein deutliches Zeichen für das gestiegene Vertrauen der Finanzmärkte in das Land. Warum sollte so jemand nicht weitermachen?

Von Monti sind die Italiener enttäuscht

In Italien ist die Stimmung eine andere. 40 Prozent der Italiener sind enttäuscht von Mario Monti. In den Umfragen dümpelt seine neu gegründete Mitte-Formation um Werte von zwölf Prozent. Die meisten Menschen spüren die Erfolge der Reformen kaum. Im Gegenteil: Aus der Finanzkrise ist echte soziale Not erwachsen, und Montis Politik hat diese noch verstärkt. Seine Reformen sind bis heute unausgewogen geblieben; die Kosten tragen vor allem Rentner, Geringverdiener und die untere Mittelschicht. Wachstumsimpulse wurden nur zögerlich in die Tat umgesetzt. Das Ergebnis: Das Land steckt in einer tiefen Rezession, die die Italiener am eigenen Leib spüren. So wurden unter Monti Steuern und Abgaben erhöht, gleichzeitig sind die Durchschnittsgehälter unter das Niveau des Jahres 2000 gefallen. Kein Wunder also, dass immer mehr Menschen klagen, sie würden mit ihrem Geld gerade so hinkommen. Aussicht auf Besserung gibt es bisher fast keine. Die Wirtschaftsleistung geht weiter zurück. Die Produktivität liegt noch immer auf dem Niveau der neunziger Jahre, während sie seither in Frankreich, Deutschland und Großbritannien um 25 Prozent gestiegen ist. Und die italienische Notenbank prognostiziert für das nächste Jahr einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 14 Prozent. Zukunftsvorsorge betreiben, ein Haus bauen, ein zweites Kind bekommen – all das ist für immer mehr Italiener Luxus geworden.

Am dramatischsten ist die Perspektivlosigkeit junger Menschen. „Verlorene Generation“ werden sie in Italien genannt. Ende 2012 erreichte die Jugendarbeitslosigkeit einen Rekordstand von 37 Prozent. Auf dem verfestigten Arbeitsmarkt haben Einsteiger kaum eine Chance. Wer mit einem guten Abschluss, aber ohne einflussreiche Fürsprecher eine Arbeit finden will, hofft häufig umsonst. So wundert es nicht, dass die Nachrichtensendungen voll sind von Berichten über die Ströme junger Ingenieure, Ärzte und Kreativer, die das Land verlassen. Und mag der Wegzug für den Einzelnen auch eine befriedigende Lösung sein – es wird die Gesellschaft auf Dauer zerreißen, wenn Aufstieg durch Leistung, ja Auskommen durch Leistung nicht mehr möglich ist.

Einen Vorgeschmack davon gibt dieser Wahlkampf. Die Italiener haben die Nase voll von der Krise, und sie haben die Nase voll von der Politik. Zwar ist es nichts Neues, wenn politische Diskussionen vom Schimpfen über korrupte Politiker dominiert werden. Als „die Kaste“ werden Italiens Politiker nicht erst seit gestern verächtlich betitelt. Dennoch ist besorgniserregend, dass weite Teile der Bevölkerung jegliches Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit von Politik verloren haben. Die ökonomische und soziale Krise hat auch die politisch-institutionelle Dauerkrise Italiens verschärft.

Greifbar wird das in den jüngsten Erfolgen der Fünf-Sterne-Bewegung um den Komiker Beppe Grillo. In Parma konnte sie den Bürgermeistersitz ergattern, bei den Regionalwahlen in Sizilien wurde die Bewegung sogar stärkste Partei. Ähnlich wie den deutschen Piraten geht es den Fünf Sternen vor allem um die Form von Politik, weniger um den Inhalt: Transparenz, Mitbestimmung, deliberative Entscheidungsprozesse über das Internet stehen oben auf der Agenda. Ihre Wähler eint eine Überzeugung: Dass einfache Bürger es schlicht besser können als die Berufspolitiker. Tatsächlich ist es Grillo gelungen, unverbrauchte und engagierte Menschen in seine Bewegung zu holen. Solange er sich aber einer inneren Demokratisierung widersetzt und stets nur auf die Schlagzeile von morgen schielt, schüren die Fünf Sterne zwar Erwartungen – Antworten formulieren oder Probleme lösen werden sie aber nicht.

Doch auch jenseits der Fünf Sterne ist die Diskussion über eine „saubere Politik“ zu einem bestimmenden Thema geworden. Umfragen zeigen, dass die Italiener sich von der nächsten Regierung vor allem eine moralische, nicht eine ökonomische Erneuerung wünschen. Selbst Berlusconi musste darauf verzichten, einen langjährigen Weggefährten erneut aufzustellen: den mehrfach wegen Mafiazugehörigkeit verurteilten Senator Dell’Utri. Überzeugender hat sich Monti die saubere Politik auf die Fahnen geschrieben. Er ist in vieler Hinsicht der Anti-Berlusconi, tritt zurückhaltend und pflichtbewusst auf. Seinen Entschluss, bei den Wahlen anzutreten, nannte er „Aufstieg in die Politik“; während Berlusconi stets vom „Hinabsteigen auf das Feld“ gesprochen hatte. So versucht Monti, der Politik ihre Würde zurückzugeben. Aber gleichzeitig tritt er bei den Wahlen zur ersten Kammer mit einer rein „zivilen“ Liste an, kein einziger Politiker befindet sich darauf. Ganz so, als reiche die Berufsbeschreibung schon zur Vorverurteilung. Im Kern verkörpert also auch er die Überzeugung der Fünf Sterne, „normale Bürger“ könnten es besser.

Nichts als die alte Kaste?

Für die Wahlen zum Senat, Italiens zweiter Kammer, nimmt er es dann aber doch nicht so genau. Aus wahlarithmetischen Überlegungen, um die Stimmen zu maximieren, hat er sich mit der etablierten Politik verbündet und tritt auf einer gemeinsamen Liste mit den kleinen Parteien von Pier Fernando Casini und Gianfranco Fini an. Beide haben schon mit Berlusconi koaliert, beide haben Korruptionsskandale ausgesessen, und beide haben immer gewusst, wohin sich der Wind demnächst drehen würde, und sich so über Jahrzehnte im Zentrum der italienischen Politik gehalten. Diese Entscheidung hat für große Enttäuschung gesorgt: Auch mit Monti nichts als die alte Kaste!

Ernst mit der Erneuerung meint es ohne Zweifel der PD. Wer für den PD ins Parlament will, muss ab jetzt klare Kriterien erfüllen: keine Vorstrafen, keine Interessenkonflikte sowie die Bereitschaft, die Einkünfte offenzulegen. Wer drei Legislaturperioden im Parlament saß, darf nicht mehr antreten. Und erstmals in der italienischen Geschichte ließ die Partei die Wähler nicht nur über ihren Spitzenkandidaten Pierluigi Bersani, sondern über ganze Parteilisten in offenen Vorwahlen entscheiden. Durchgesetzt haben sich junge, neue Gesichter sowie dezidiert linke Kandidaten. Das festigt Bersanis Macht und hat den PD ein gutes Stück nach links rücken lassen. Es ist gut, dass der PD vorneweg marschiert. Italienische Politiker verdienen das Misstrauen, das ihnen entgegengebracht wird. Aber: Wenn zukünftig jeder Abgeordnete nach drei Perioden ausscheidet, kann wichtige parlamentarische Erfahrung verloren gehen. Und wenn die öffentliche Finanzierung von Parteien abgeschafft wird, wie sollen sich finanziell schwache Interessen Gehör verschaffen? Es ist zu hoffen, dass der PD am Ende auch die Errungenschaften der Demokratie offensiv verteidigt. Denn alle Erneuerung wird den Graben zwischen Politik und Bürger nicht zuschaufeln können. Das gelingt nur, wenn die Politik zeigt, dass sie die Probleme des Landes lösen kann.

Wer ist dazu in der Lage? Berlusconi jedenfalls nicht. Er setzt in altbekannter Weise auf Klamauk. Mit Monti wird es keine Rückkehr zu altem Stillstand geben, so viel ist sicher. Er will Italien wettbewerbsfähig machen, Strukturreformen vorantreiben und das Staatsdefizit senken. Doch kleine Zugeständnisse in der Steuerpolitik reichen nicht aus, um die Kosten der Reformen gerecht zu verteilen und die soziale Not im Land zu adressieren. Der Ministerpräsident beschreibt sich gern als Kandidaten jenseits der Lager. Dass Politik dennoch Verteilungskonflikte lösen muss, kommt in seiner Vision ein wenig kurz. Und dass zahlreiche Indus­trielle mehrere Millionen Euro für seine Kampagne zur Verfügung gestellt haben, lässt Skepsis aufkommen, ob Monti nicht die Interessen einiger Weniger mit dem Gemeinwohl verwechselt.

Allzu konkret wird Bersani lieber nicht

Bleibt der PD, der in der Wählergunst weit vorne liegt, sich aber dennoch in einer schwierigen Lage befindet – die der Lage der SPD im Wahlkampf 2009 nicht unähnlich ist. Der PD hat die technische Regierung bis zuletzt gestützt und die ungeliebten Reformen mitgetragen. Im Wahlkampf versucht die Partei den Spagat: Ihr Stimmverhalten und damit die Reformen zu verteidigen, und gleichzeitig Besserungen zu versprechen. Die Modernisierung des Landes soll weiter gehen, aber mit mehr Sensibilität für die Bedürfnisse der Armen und der Familien. Über konkrete Reformen redet Bersani dagegen nicht so gern. Von Sparwillen oder Strukturreformen ist im Wahlprogramm des PD wenig zu finden.

Bersani vermeidet die offene Konfrontation mit Monti. Wieder und wieder betont er, die Auseinandersetzung verlaufe zwischen Demokraten und Populisten, zwischen Europäern und Anti-Europäern. So vereinnahmt er Monti für die gemeinsame Frontstellung gegen Berlusconi, die Lega Nord und die Fünf-Sterne-Bewegung. Es gibt aber auch andere Stimmen. Handelt es sich lediglich um wahltaktische Offenheit nach allen Seiten? Gelingt dem PD eine Balance zwischen Modernisierung und sozialer Abfederung? Zurzeit sind die Signale noch widersprüchlich, viele Fragen bleiben offen.

Am Schluss könnte wieder einmal Italiens kompliziertes Wahlsystem über die Zukunft des Landes entscheiden – mit seiner verqueren Regelung einer Mehrheitsprämie, die den Wählerwillen gleich mehrfach verzerrt. Sollte der PD nicht nur in der Kammer, wie es zu erwarten ist, sondern auch im Senat die stärkste Partei werden, ist ihm eine komfortable Mehrheit sicher. Dies gäbe dem Mitte-links-Lager zum ersten Mal in der Geschichte die Chance zu zeigen, dass es das Land wirklich verändern kann. Dann müsste der PD Farbe bekennen und die inneren Widersprüchlichkeiten allein auflösen.

Reicht es, wie zu erwarten, für die Mehrheit im Senat nicht, ist Bersani auf Koalitionspartner angewiesen. Dann wird es darauf ankommen, ob er in die Prodi-Falle tappt – und sich von der Zustimmung radikalerer Kleinparteien abhängig macht, die eine Zusammenarbeit mit Monti bereits ausgeschlossen haben. Eine Rückkehr zu alter Unregierbarkeit ist keinesfalls ausgeschlossen. Oder aber er sucht die Zusammenarbeit mit dem Monti-Lager. Der PD mit seinem progressiven und Monti mit seinem merkantilen Europäismus vertreten unterschiedliche Interessen. Für die Modernisierung des Landes muss das aber nicht das Schlechteste sein. Im Gegenteil: Die Größe der Herausforderungen spricht für eine Allianz zwischen Moderaten und dem PD. Eine Allianz, die die begonnenen Reformen fortsetzt, aber aufpasst, dass alle an Bord bleiben. Und die Wachstumsmaßnahmen und Innovationen auf den Weg bringt, aber jenseits des Sparens neue Perspektiven schafft.

Es bleibt also spannend. Und so war es ein Fernsehreporter der RAI, nicht Staatspräsident Napolitano, der zu Jahresbeginn die Perspektiven Italiens auf den Punkt brachte: „Was wird uns das Jahr 2013 bringen, was wird aus dem Spread, aus der Wirtschaftskrise? Wir wissen es nicht, wir können nur hoffen.“

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