Hilfe, mein Nachbar ist Nazi!

Rechtsextremisten versuchen es heute häufig auf die nette Tour. Aber wo die Pizza plötzlich "Gemüsekuchen" heißt und sich Umweltschutzgruppen für den "Lebensraum des deutschen Volkes" einsetzen, da ist Obacht angezeigt. Ein kleiner Ratgeber

D er Begriff der Nachbarschaft ist eigentlich positiv besetzt. Er steht für soziale Nähe, gegenseitige Hilfsbereitschaft und gesellschaftliche Integration im Kleinen. Doch was mache ich, wenn mein Nachbar NPD-Funktionär ist? Oder Kameradschaftsmitglied? Oder überzeugter Nazi? Es gibt Strategien, wie sich Nachbarschaften konstruktiv mit dem Rechtsextremismus auseinandersetzen können.

Wie die Mordserie der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) erneut zeigte, ist die öffentliche Debatte über Rechtsextremismus täterfixiert: Die Medien berichten viel über die Täter, aber kaum über die Opfer. Kein Wunder, dass viele glauben, man könne das Problem lösen, indem alle Rechtsextremisten von Demokratie und Menschenrechten überzeugt werden. Aber diese Hoffnung ist eine Illusion. Eine gewachsene politische Einstellung ist nicht von heute auf morgen veränderbar, das gilt für Demokraten wie Rechtsextremisten gleichermaßen. Der Ausstieg aus der rechtsextremen Szene ist ein langwieriger und komplexer Prozess. Wer ihn erfolgreich begleiten will, braucht Fachkenntnisse und gute Kontakte zu den Behörden. Mittlerweile existieren viele Anlaufstellen für ausstiegswillige Rechtsextremisten, an die man verweisen kann, sollte man jemals um solchen Rat gefragt werden.

Hingegen enden Versuche, Rechtsextreme mittels guten nachbarschaftlichen Zusammenhalts aus ihrer Szene herauszulösen, meistens nur mit dem Erstarken dieser Gruppen. Sollten in der eigenen Nachbarschaft also tatsächlich überzeugte Rechtsextremisten leben, gilt als erstes Gebot: Keinen missionarischen Eifer an den Tag legen, sondern sensibel vorgehen! Damit sich die rechtsextreme Szene nicht weiter ausbreitet, ist es wichtig, sich mit anderen Nachbarn zu vernetzen, um mögliche Veränderungen in der Nachbarschaft gemeinsam zu beobachten. Auch Wachsamkeit in Bezug auf Straftaten ist wichtig; bei Propagandadelikten sollten Anzeigen erstattet werden.

Etwas anders ist die Lage, wenn Menschen drohen, in die Szene abzurutschen, aber noch nicht in ihr verankert sind – vor allem Kinder oder Jugendliche. Szene-Kenner berichten, dass ein kompletter Abbruch der sozialen Beziehungen den Weg in die rechtsextremen Organisationen eher beschleunigt. In solchen Fällen sollte man verdeutlichen, dass man rechtsextreme Positionen ablehnt, den betreffenden Personen aber zugleich Gesprächsangebote machen. Allerdings: Junge Leute werden weniger von der Nachbarschaft politisch geprägt, sondern von Eltern, Familienangehörigen, dem Freundeskreis und dem schulischen Umfeld.

Kaum ein neuer Nachbar wird sich mit den Worten vorstellen: „Guten Tag, ich komme von der NPD.“ Im Gegenteil inszenieren sich Mitglieder der NPD und die gemäßigten Teile dieses politischen Spektrums seit einigen Jahren als „nette Nachbarn“ und engagierte Mitbürger, um die gesellschaftliche Isolation vor Ort und das negative Image der Szene zu überwinden. Sie tun dies bewusst in Regionen, in denen es wenige alternative Angebote gibt, vor allem auf dem Land. Dort richten sie Familienfeste aus, organisieren Fußballturniere und bieten Zeltlager an. Auch engagieren sie sich in Bürgerinitiativen, als Jugendtrainer oder als Elternvertreter in der Kita. Rechtsextreme Inhalte sollen dabei zunächst nicht im Vordergrund stehen, sind aber präsent, etwa wenn die Pizza „Gemüsekuchen“ heißt, die Fußballmannschaft „Braune Teufel“ genannt wird oder wenn eine Umweltschutzinitiative den „Lebensraum des deutschen Volkes“ schützen will. „Es gibt eine langfristige Strategie der rechtsextremen Szene, die darauf zielt, alle Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu unterwandern, um sie früher oder später für sich zu nutzen“, sagt Karl-Georg Ohse, ein Kenner der rechtsextremen Szene in Mecklenburg-Vorpommern.

Irrem Gerede muss widersprochen werden

Genau deshalb kommt der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus auch auf der Ebene der Nachbarschaft große Bedeutung zu: Für jeden Bürger, dem das Grundgesetz etwas gilt, ist es unerträglich, dass in Deutschland Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion oder politischen Einstellung angefeindet und sogar ermordet werden. Wo Rechtsextremisten Menschenrechte und Demokratie in Frage stellen, ist eine klare Antwort der Demokraten erforderlich. Denn eine Demokratie, für die sich niemand mehr einsetzt, kann untergehen. So ist es in Deutschland mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten bereits einmal brutale Realität geworden.

Generell stößt der organisierte Rechtsextremismus in Deutschland auf starke Ablehnung. So ist es ein gravierender Unterschied, ob sich jemand offen zur NPD oder zu einer demokratischen Partei bekennt. Diese soziale Ächtung des organisierten Rechtsextremismus ist nach Ansicht von Politikwissenschaftlern ein entscheidender Grund, warum in Deutschland bisher keine rechtsextreme oder rechtspopulistische Kraft größere politische Bedeutung erlangen konnte. Folglich ist der unmittelbare Kontakt zu rechtsextrem organisierten Personen weniger entscheidend als der Blick auf deren Umfeld.

In der Nachbarschaft sollten rechtsextreme Aussagen nicht unwidersprochen bleiben. So wird dem Eindruck entgegengewirkt, es handele sich um „normale“ politische Ansichten. Ebenso wichtig ist es, mit den eigenen Kindern oder anderen Jugendlichen darüber zu sprechen, wenn eine rechtsextreme Gruppierung in der eigenen Nachbarschaft aktiv ist. Zudem ist entscheidend, sich mit anderen Demokraten zu vernetzen, die ebenfalls gegen Rechtsextremismus aktiv sind, denn gemeinsam kann man deutlich mehr tun als allein. Klare Zeichen gegen Rechtsextremismus lassen sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen setzen: So kann der Vorstand eines Fußballvereins beschließen, dass die Mitgliedschaft im Verein und die Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Organisation unvereinbar sind, wie es etwa Schalke 04 oder der FC St. Pauli getan haben. Hinweise für die juristisch saubere Umsetzung solcher Maßnahmen gibt es bei Beratungsstellen zur Genüge. Auch lassen sich bestimmte Kleidungsmarken in den eigenen Räumen verbieten, zum Beispiel die unter Rechtsextremisten beliebte Marke „Thor Steinar“. Eine entsprechende Hausordnung gibt es unter anderem in allen Gebäuden des Deutschen Bundestages.

Glücklicherweise ist die statistische Wahrscheinlichkeit gering, Nachbar eines überzeugten Rechtsextremisten zu sein. Die organisierte Szene umfasst in Deutschland nach Angaben des Verfassungsschutzes gerade einmal 25.000 Personen. Auch wenn wir seit den Morden des NSU wissen, dass der Verfassungsschutz mitnichten das gesamte Ausmaß des Rechtsextremismus überblickt, ist die Szene vergleichsweise klein. Deshalb sollte der Fokus nicht auf die organisierte Szene verengt werden. Weit häufiger als mit NPD-Kadern oder Neonazis wird man in der eigenen Nachbarschaft mit rassistischen Sprüchen, antisemitischen Aussagen oder demokratieverachtenden Positionen konfrontiert werden. Denn im Gegensatz zur organisierten Szene sind rechtsextreme Einstellungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein verbreitet.

Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2010 hat fast jeder vierte Bundesbürger ausländerfeindliche Vorurteile (24,7 Prozent), jeder fünfte chauvinistisch-nationalistische Einstellungen (19,3 Prozent) und jeder Zehnte antisemitische Ressentiments (9,7 Prozent). Gerade im Alltag der Nachbarschaft entscheidet sich, ob diese Ressentiments als „normale“ Meinung angesehen oder als rassistisch oder antisemitisch bewertet werden. So gesehen hat die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in der eigenen Nachbarschaft eine hohe gesamtgesellschaftliche Bedeutung.


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