Gescheitert auf der ganzen Linie

In den Ämtern des Parteiführers und Premierministers hat sich Gordon Brown als Katastrophe erwiesen. Heute legt die Labour Party längst überwundene Verhaltensweisen an den Tag - und droht zu vergessen, weshalb sie in der Vergangenheit erfolgreich war

Während der Sommerpause hat sich der britische Premierminister Gordon Brown, dem Rat enger Vertrauter folgend, totale Enthaltsamkeit verordnet. Seine Berater hofften, so könnten sich die furchtbaren Umfragewerte der Labour-Party etwas verbessern lassen. Doch einen sommerlichen Feelgood-Bonus gab es nicht. Die Umfragen weisen weiter nach unten und bestätigten die verheerenden Niederlagen bei den jüngsten Nach- und Kommunalwahlen. Das Wort vom Ende des New-Labour-Projekts macht die Runde. Tatsächlich sieht es so aus, als hätten die Wähler über die Labourregierung und den amtierenden Premier ein endgültiges Urteil gefällt.

Der tiefe Unmut des Wahlvolkes ist bitter für eine Partei, die das Land seit elf Jahren regiert und dabei keinen schlechten Job gemacht hat. Doch die Verdienste der Vergangenheit zählen nicht mehr. Labour ist tief unter die 30-Prozent-Marke gerutscht – ein Schicksal, das sie mit der SPD teilt. Diese Parallele ist ein Indiz dafür, dass es sozialdemokratischen Parteien besonders schwer fällt, eine überzeugende Antwort auf die vertrackte Mischung aus ökonomischen, sozialen und globalen Verwerfungen zu finden.

In Großbritannien bestätigt sich die alte Regel, dass der Fisch stets vom Kopf her stinkt. Als Parteiführer und Premier erweist sich Gordon Brown als ziemliche Katastrophe. Der Fall des Schotten bestätigt das „Peter-Prinzip“: Auch erfolgreiche und viel versprechende Politiker enden irgendwann auf einem Posten, für den sie nicht geschnitzt sind. Natürlich gibt es weitere Gründe für Labours Unpopularität, die nicht dem Premier persönlich angelasten werden können, allen voran die Öl- und Kreditkrise. Und gewiss wäre es auch jedem anderen Labourpolitiker enorm schwer gefallen, nach den Wahlsiegen in den Jahren 1997, 2001 und 2005 überzeugende Argumente für eine weitere Amtsperiode zu präsentieren. Denn Parteien, die zu lange an der Macht sind, werden müde und verbraucht. Fehler häufen sich, die Ideen gehen aus, unausweichlich bricht die Arroganz der Macht durch. Auch treten mit der Zeit die Nachteile und Schwächen der jeweiligen Ideologie deutlicher zu Tage.

Das Kapital ist verspielt

Doch selten hat ein Regierungschef so viel politisches Kapital so rasch verspielt wie Brown. Er zauderte, wo er hätte entschlossen handeln müssen, am folgenschwersten in der Frage, ob im Herbst 2007 Neuwahlen angesetzt werden sollten. Brown taktierte und setzte massiv auf Spin, obwohl er bombastisch das Ende des Spins angekündigt hatte; das nährte den fatalen Eindruck von Unaufrichtigkeit. Zudem mangelt es Brown an vielen Fähigkeiten seines Vorgängers: an emotionaler Intelligenz, an politischem Fingerspitzengefühl, ja sogar an der Fähigkeit, strategisch zu denken. Wie sonst ist die fatale Entscheidung zu erklären, durch die Abschaffung des Eingangssteuersatzes von 10 Prozent ausgerechnet die untersten Einkommensschichten zu belasten? Dieser Entschluss hat viele Labour-Abgeordnete gegen ihn aufgebracht, die Regierung zu teuren Korrekturen gezwungen und Browns Ruf nachhaltig beschädigt.

Die Episode verdeutlicht, dass selbst New Labour anfällig ist für den klassischen Fehler einer allzu zentralistisch-etatistischen Politik. Mitnichten wollte Brown an diesem Punkt „unsozial“ handeln. Er hatte beabsichtigt, mögliche Nachteile durch neue Sozialtransfers auszugleichen. Unkomplizierter wäre es hingegen gewesen, den Bürgern das Geld zu belassen. Doch diese Option widersprach der Grundüberzeugung, dass der Staat es besser weiß und involviert bleiben muss. Von dieser Vorstellung hat auch New Labour, unter dem wachsenden wirtschafts- und sozialpolitischen Einfluss von Gordon Brown, nicht abgelassen.

Erschwerend kommt hinzu, dass Brown seinen Ruf als ökonomisch kompetenter „eiserner Kanzler“ verloren hat: Selbst die Krise der Bank Northern Rock, die zu einer verspäteten, riskanten staatlichen Rettungsaktion führte, geht zumindest zum Teil auf seine Kappe. Ein weiterer gravierender Einwand gegen Brown leitet sich aus der dramatisch gewachsenen Verschuldung des Staates ab: New Labour gelangte 1997 auch wegen des Versprechens an die Macht, finanzpolitisch verantwortungsvoll handeln zu wollen – und lieferte zunächst den Beweis für die neue finanzpolitische Solidität: In den ersten Jahren zahlte die Regierung 100 Milliarden Pfund an staatlichen Schulden zurück und widerstand der klassischen sozialdemokratischen Versuchung, das Füllhorn der guten Taten auszuschütten. Bevor staatliche Ausgaben erhöht werden könnten, so die damalige Ansicht von Blair wie Brown, müsse der öffentliche Dienst reformiert werden.

Brown blockte Blairs Reformprojekte ab

Doch die Anfangsjahre wurden nicht genutzt, um die Sozialsysteme nachhaltig zu verbessern und Geld zurückzulegen. Im Gegenteil: Bald wurden die staatlichen Ausgaben massiv erhöht, ohne dass vorher strukturelle Reformen durchgesetzt worden wären. Dieser Teil des Reformprogramms unterblieb auch deshalb, weil Blair die Zuständigkeit für die Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik fast vollständig auf Brown übertragen hatte. Im Laufe der Zeit nutzte Brown seine Machtstellung verstärkt dazu, Blairs Reformvorstellungen abzublocken – teils aus Rivalität zum Premier, teils aus politischer Überzeugung, teils um sich der eigenen Partei als der „traditionellere“ Politiker zu empfehlen.

Brown entpuppte sich mehr und mehr als „control freak“ mit Neigung zu zentral gelenkter, bürokratischer Steuer- und Sozialpolitik. Beispiel Steuerpolitik: Steuerkredite, also eine negative Einkommenssteuer für niedrig bezahlte Arbeitskräfte, waren eine hervorragende Idee und widerlegten das Gerede von der Herzlosigkeit New Labours. In der Praxis jedoch wurde das Vorhaben zum bürokratischen Albtraum für die Betroffenen und führte am Ende zu massiver Überzahlung, die den Staat dazu zwang, bislang mindestens sechs Milliarden Pfund abzuschreiben.

Rückfall in Verhaltensweisen von Old Labour

Beispiel Gesundheitssystem: New Labour erhöhte die Ausgaben, doch die Verbesserungen blieben hinter den Erwartungen der Bevölkerung zurück. Der öffentliche Gesundheitsdienst National Health Service ist eine riesige Bürokratie, die Blair gegen Ende seiner Jahre stärker aufbrechen und dezentralisieren wollte. Auch hier bremste Brown, wobei es wiederum nicht leicht ist, persönliche Animositäten und ideologische Differenzen auseinanderzuhalten.

Beispiel Bildung: Zwar steckte die Regierung in den vergangenen elf Jahren viel Geld ins Schul- und Erziehungswesen, doch sie vermochte es nicht, die beharrenden Kräfte in Partei, Gewerkschaften und Erziehungsinstitutionen zu überwinden. Die Folge sind eine Inflation guter Noten und ein immer noch erschreckend hoher Prozentsatz von Schulabgängern, die weder lesen noch schreiben oder rechnen können. Kurzum, New Labour ist sich selbst auf wichtigen Feldern untreu geworden und in Verhaltensweisen zurückgefallen, die man von Old Labour hätte erwarten können.

Vielleicht ist das der unvermeidliche Lauf der Dinge, ebenso unvermeidlich wie die Skepsis der deutschen Sozialdemokraten gegenüber ihrer eigenen Erneuerungspolitik – obgleich es gerade die schmerzhaften Reformen waren, die positive Resultate zeitigten. In beiden Parteien ist der Wunsch nach traditionellen Rezepten und den Gewissheiten der Vergangenheit wieder machtvoll durchgebrochen; viele Aktivisten und Parteimitglieder hatten den Kurs der „Revisionisten“ ohnehin stets als kalt empfunden und nur widerstrebend akzeptiert, wenn nicht sogar als „Verrat“ angesehen.

Jedoch führt die Sehnsucht nach den Gewissheiten und Glaubenssätzen der Vergangenheit zwangläufig in die Opposition. Aus dieser werden die Parteien erst wieder befreit, wenn die langen Jahre der Machtlosigkeit als zu drückend empfunden werden, was für die Bereitschaft, die veränderte Realität wie eigene Unzulänglichkeiten zu akzeptieren, ungemein förderlich sein kann. Am Ende gewinnt stets der Revisionismus, aber manchmal vergeht viel Zeit, bis es soweit ist. Diese Erfahrung könnte den Sozialdemokraten in Großbritannien wie in Deutschland blühen. Woraus sich zugleich ergibt, wie töricht es ist, den Weg der Reformer für das derzeitige Dilemma der Sozialdemokratie verantwortlich zu machen. Beide Parteien, Labour wie SPD, laufen Gefahr, zu vergessen und verlernen, weshalb sie in der Vergangenheit erfolgreich waren.

Brown bleiben nur noch Hohn und Spott

Gordon Brown aber ist eine tragische Figur. Seine Autorität ist dahin, die Öffentlichkeit bedenkt selbst vernünftige Äußerungen nur noch mit Hohn und Spott. Er klammert sich an die Hoffnung, die Wende in den 18 Monaten, die ihm maximal bis zur nächsten Wahl verbleiben, doch noch schaffen zu können. Der Trost, den ihm Barack Obama während seiner sommerlichen Stippvisite spendete, war Balsam für die Seele des Schotten. Politiker seien nun einmal sehr viel weniger populär, wenn sie erst einmal gewählt seien und handeln müssten, hatte der Senator verständnisvoll bemerkt.

Gordon Brown wird weitermachen bis zum bitteren Ende – sofern ihn Labour nicht doch noch stürzt. Seine Hoffnung liegt einzig darin, dass eine wirtschaftliche Erholung die Prognosen über die unvermeidliche Rezession doch noch Lügen strafen könnte. Eine schwache Hoffnung, doch es ist die letzte, die ihm bleibt.

zurück zur Person