Generationenbilanzen - Bilanz(selbst)betrug

Eine Erwiderung

Die Debatte tobt und wird zur Glaubensfrage stilisiert. Eckart von Klaeden sieht in der letzten Ausgabe der Berliner Republik in der "Rente mit 60" gar das schiere Gegenteil zur Idee der Nachhaltigkeit. Sein Diskussionsbeitrag verwechselt die Ziele und Instrumente, exemplarisch am Beispiel der Generationenbilanz. Kaum ein Thema lädt so zur Heroisierung (Schild und Schwert der Generationengerechtigkeit?) und Idealisierung (ganzheitliches Konzept?) ein. Grund genug, die Berechnungsmethode Generationenbilanz auf den Prüfstein zu stellen.


Kein Zweifel, auch die Finanz- und Sozialpolitik sollte vom Prinzip der Nachhaltigkeit bestimmt sein. Die Berücksichtigung langfristiger Folgen politischer Entscheidungen ist unerlässlich - aber werden Generationenbilanzen den Anforderungen, die ihre Verfechter an sie stellen, gerecht?

Das Argument, mit dem Vertreter der Oppositionsparteien - darunter Eckart von Klaeden - die jährliche Vorlage einer solchen Bilanz fordern, gründet auf der Behauptung beziehungsweise der wohlwollenden Annahme, auf diese Weise könnten die finanziellen Belastungen aus der Steuer- und Sozialpolitik exakt aufgezeigt werden. In der Tat werden mit diesem Konzept die Folgen heutiger Politik für die Zukunft thematisiert, doch darf die Tatsache, dass als Ergebnis dieser Berechnungen absolute Zahlen auf dem Tisch liegen, nicht mit Exaktheit verwechselt werden. Der Teufel steckt wie üblich im Detail oder hier: in der Methode.


Wie bei jedem volkswirtschaftlichen Modell sind auch bei den Generationenbilanzen die zugrunde liegenden Annahmen der Schlüssel zum Ergebnis. Denn: Ein Modell, das die Wirklichkeit in ihrer ganzen Vielfalt abbildet, wäre nicht nützlicher als eine Landkarte im Maßstab 1:1. Im Fall der Generationenbilanzen werden nun einige sehr restriktive Annahmen getroffen, die zum Teil relativ willkürlich festgelegt werden können.

So wurde Laurence Kotlikoff, einer der Väter dieser Methode, als er 1994 für die Clinton-Administration Generationenbilanzen erstellen sollte, von offizieller Seite aufgefordert, als Annahme über die Fiskalpolitik zu unterstellen, dass der Absolutwert der staatlichen Ausgaben ab dem Jahr 2000 konstant sei - was im Zeitverlauf ein relatives Verschwinden der Staatstätigkeit bedeutet hätte. Diese Annahme war grundsätzlich zwar vorstellbar, aber realistisch betrachtet wenig plausibel. Sie hätte ganz klar die Zukunftsbilanzen positiver wirken lassen. Kotlikoff widersetzte sich diesem Ansinnen - mit dem Ergebnis, dass Generationenbilanzen fortan nicht mehr Teil des President′s Budget waren.

Als problematisch erweist sich auch die Zuordnung fiskalischer Maßnahmen mit längerfristiger Nutzenstiftung, zum Beispiel Investitionen in Infrastruktur, Erziehung und Bildung oder in umweltressourcenschonende Technologien, zu einzelnen Generationen. Die in einer Periode bereitgestellten Mittel können neben den Steuerzahlern derselben Periode auch zukünftigen Generationen dienen. Praktisch werden die Staatsausgaben beim "Generational Accounting", wie die Generationenbilanz im Original treffender betitelt ist, generationenunabhängig als reine Zahlungen verbucht, ohne deren positive Wohlfahrtswirkungen zu berücksichtigen. Damit wird die tatsächliche Nettolast automatisch falsch ermittelt.


Auch die Tatsache, dass schon geringfügige Änderungen in den Annahmen zu enormen Abweichungen der errechneten Werte führen, trägt nicht eben dazu bei, das Vertrauen in die gewonnenen Ergebnisse zu stärken. Im Gegenteil, damit ist die Aussagekraft der abgeleiteten Ergebnisse mehr als fraglich und es erscheint geradezu utopisch, eindeutige Aussagen zu treffen, ob eine bestimmte Fiskalpolitik intergenerativ ausgeglichen ist oder nicht.

Auch die tatsächliche Bevölkerungsentwicklung weicht nicht selten deutlich von den Prognosen ab. In Nordrhein-Westfalen wurde ein entsprechender Bericht von 1985 von der Realität um zwei Millionen Um- und Aussiedler sowie Zuwanderer korrigiert. Wer sein Heil also in Instrumentaldebatten sucht, bewegt sich auf dünnem Eis.

Neben aller Kritik soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass die Methode der Generationenbilanzen auf jeden Fall eine sinnvolle Ergänzung sein kann, wenn es darum geht, die Auswirkungen verschiedener Politikoptionen miteinander zu vergleichen. Das setzt jedoch voraus, dass den alternativen Szenarien jeweils die gleichen Annahmen zugrunde gelegt werden. Die ermittelten Verteilungswirkungen sind dann miteinander vergleichbar und die sinnvollste Variante kann gewählt werden.


Der Idee der Nachhaltigkeit als Teil sozialpolitischer Entscheidungen dient jedoch eher eine Debatte, die Generationengerechtigkeit in ihren vielfältigen Aspekten und Chancen sieht. Zum Beispiel als neuen Generationenpakt, der den gut gestellten heutigen Rentnern etwas zumutet - sprich: Aussetzung der Nettolohnformel zugunsten des Preisausgleichs für zwei Jahre statt der systematischen Abkopplung durch den christlich-liberalen demographischen Faktor des Rentenreformgesetzes 1999, der vor allem die jüngeren Generationen trifft ("Blüm war besser für die heutigen Rentner - Riester ist besser für die zukünftigen Rentner", so der Rentenexperte Bert Rürup).

Entscheidend sind für zukünftige Generationen die Startbedingungen: Teilhabe an zukunftssicheren sozialen Sicherungssystemen zu akzeptablen Beitragssätzen, Spielräume zum Aufbau einer ergänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge durch Steuerentlastung und steuerlich geförderte Vermögensbildung, Teilnahme an der Erwerbsarbeit - nicht nur wegen der sozialen Sicherung.

Alles das macht die rotgrüne Regierungskoalition: Mit der Ökosteuer für die Rente, mit dem größten Steuerentlastungsprogramm (Volumen 70 Milliarden Mark), mit der Umsteuerung der Vermögensbildung in die Altersvorsorge, mit dem erfolgreichen Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit "JUMP" und mit dem Bündnis für Arbeit: So gesehen ist auch eine Tarifrente mit 60, als Beschäftigungsbrücke realisiert und kostenneutral für die Rentenversicherung, Teil von Generationengerechtigkeit.

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