Meer der Pipelines und der Kabel

In der Debatte über die Ostseepipeline bestimmen Anschuldigungen gegen Russland das Klima. Würde sich die EU auf eine gemeinsame Energieaußenpolitik verständigen, müsste sich keines ihrer Mitglieder vor Moskau fürchten

Die Ostsee ist eines der am dichtesten befahrenen Seegebiete Europas. Themen wie Schadstoffeinleitung, Umweltbelastung und Kollisionsrisiken gelten hier als besonders sensibel. Grund genug für eine Diskussion über ein Pipelineprojekt von historisch einzigartiger Größe: Die geplante Ostseepipline von St. Petersburg bis Greifswald wird die Länge von etwa 1.200 Kilometern aufweisen.

Doch die „Nordstreampipeline“ hat ein Imageproblem. Dies liegt hauptsächlich daran, dass neben deutschen und niederländischen Unternehmen auch der russische Gazprom-Konzern an dem Projekt wesentlich beteiligt ist. Viele mittel- und osteuropäische Staaten misstrauen den Russen, und zwar nicht erst seit der jüngsten Georgienkrise. Russland wird unterstellt, seine fossilen Energieträger politisch zu instrumentalisieren und als Druckmittel zu missbrauchen. Seit Gazprom im Januar 2006 die Energiezufuhr in die Ukraine unterbrach, weil es das Nachbarland beschuldigte, illegal Gas entnommen und damit einen Leistungsabfall bei der Versorgung Mittel- und Westeuropas bewirkt zu haben (was auch tatsächlich der Fall war), diskutieren die Europäer darüber, dass sie von russischen Energieimporten abhängig sind. Europa bezieht immerhin 27 Prozent der Öl- und 24 Prozent der Gaslieferungen aus Russland.

Darüber hinaus wird eine „asymmetrische Abhängigkeit“ befürchtet: Demnach könnte die russische Seite zur Durchsetzung ökonomischer oder politischer Interessen mit einem Lieferstopp drohen, dem die Abnehmer dann hilflos ausgeliefert seien. Doch wer das glaubt, verkennt die Situation des Konzerns. Denn Gazprom ist auf langfristig stabile Beziehungen zu seinen Abnehmern angewiesen, um seine beträchtlichen Investitionen auszugleichen. Zudem würden Liefersperren die Kunden keineswegs in die Knie zwingen: Europa könnte dann weitgehend auf Kohle, Kernkraft und erneuerbare Energie umschalten; China wäre als Absatzmarkt kein Ersatz für Europa, weil es dorthin noch keine Gas- und Ölpipelines gibt und russische Unternehmen die Bindung an ein einziges Abnehmerland aus guten Gründen scheuen.

Absichtserklärungen genügen nicht

Nun ist auch die Europäische Union kein einfacher Partner für Russland. Die energiepolitischen Präferenzen der 27 Mitgliedsstaaten liegen weit auseinander: Sie unterscheiden sich etwa im Hinblick auf ihren Energiemix, ihre Importabhängigkeit und die Herkunft ihrer Rohstoffeinfuhren. Und während in den Ländern der EU-15 die Eindämmung des Klimawandels ganz oben auf der Agenda steht, beharren die mittelosteuropäischen Beitrittsstaaten auf dem Vorrang der Energieversorgungssicherheit. Tatsache ist, dass die europäische Energieaußenpolitik über Absichtserklärungen noch nicht hinausgekommen ist. Bis heute ist es der EU nicht gelungen, gegenüber Öl- und Gaslieferländern mit einer Stimme zu sprechen. Zwar wurde im Vertrag von Lissabon eine gemeinsame Energieaußenpolitik festgelegt, doch nach dem Scheitern des irischen Referendums ist fraglich, ob und wann der Vertrag in Kraft tritt.

Russland hat in der Vergangenheit wiederholt versucht, mittels privilegierter Beziehungen zu einzelnen EU-Mitgliedsstaaten eine gemeinsame Position der EU in der Energiepolitik zu verhindern. Kritiker sehen die geplante Nordstream-Pipeline in diesem Licht, selbst wenn das Projekt inzwischen Teil der Transeuropäischen Netze (TEN) geworden ist. Hier geht es nicht um ein deutsch-russisches Staatsunternehmen, sondern um ein privatwirtschaftliches Projekt, das vor allem der Gasversorgung Westeuropas dient. Die von der EU geförderte Nabucco-Pipeline (von der Osttürkei durch Rumänien, Bulgarien und Ungarn nach Österreich, unter Umgehung von Russland) ist das andere große Energieversorgungsprojekt, neben einer größeren Anzahl schon bestehender Pipelines.

Im Baltikum ist die Enttäuschung groß

Einigen EU-Mitgliedsstaaten missfällt, dass seit Dezember 2005 das Gemeinschaftsunternehmen Nord Stream AG zum Bau und Betrieb der Ostseepipeline existiert, an dem sowohl Gazprom (51 Prozent), die deutschen Firmen BASF und E.ON (jeweils 20 Prozent) und seit November 2007 das niederländische Unternehmen Gasunie (9 Prozent) beteiligt sind. Die öffentliche Debatte an dem Vorhaben ist vor allem in Polen und den baltischen Staaten (mit Ausnahme Lettlands) stark emotionalisiert. Dabei hat die Diskussion mit dem konkreten Pipelineprojekt kaum etwas zu tun, sondern eher mit dem eigenen Verhältnis zu Russland. Angesichts des gemeinsamen prioritären Ziels, die Energieversorgung Europas zu sichern und angesichts der angestrebten Diversifizierung der Versorgungsquellen und -wege ist dies keine gute Ausgangslage.

Historisch bedingt sind die Beziehungen der baltischen Staaten zu Russland kompliziert und spannungsgeladen, und das wird auch auf absehbare Zeit so bleiben. Ungelöste Kontroversen aus der Vergangenheit und ein immenses energiewirtschaftliches Ungleichgewicht – der gesamte Erdgasverbrauch des Baltikums wird durch Lieferungen aus Russland gedeckt – sorgen immer wieder für Reibungen. Obwohl sie der Nato und der EU angehören, behaupten diese Länder, es drohe zum Schutz der Pipeline eine Verstärkung der russischen Militärpräsenz in der Ostsee. Nur Lettland zeigt sich offen für das Projekt. Angesichts dieser massiven Ängste ist die Enttäuschung der baltischen Staaten darüber verständlich, dass sie in der Anfangsphase nicht beteiligt wurden. Bis heute wird dieses Vorgehen dort kritisiert.

Im Großen und Ganzen gilt dies auch für die Diskussion in Polen. Auch Polen ist von russischen fossilen Energieträgern abhängig. Seit dem Antritt der Regierung Tusk vor einem Jahr bemüht sich Polen darum, die Diskussion um die Pipeline zu entemotionalisieren und die Einbindung des Landes in die (west)europäische Energieinfrastruktur voranzutreiben. Allerdings forderte Premierminister Tusk, das Projekt müsse angesichts der Georgien-Krise abermals kritisch überdacht werden.

Misstrauen ist nicht gerechtfertigt

Aus sachlicher Perspektive ist das Misstrauen gegenüber dem Projekt nicht zu rechtfertigen. Die Nordstreambetreiber haben den Ostseeanrainern immer wieder zugesichert, dass übernommene völkerrechtliche Verpflichtungen zum Schutz der Umwelt und zur Beteiligung bei der Trassenverlegung eingehalten werden. Die Behörden der betreffenden Länder wurden über den Beginn des Zulassungsverfahrens für die jeweiligen Trassenabschnitte informiert. Art und Umfang der Umweltuntersuchung wird von ihnen festgelegt. Derzeit nimmt die Nord Stream AG erwünschte Routenkorrekturen in bestimmten Abschnitten des Steckenverlaufs vor. Dabei bedarf jede Änderung des Streckenverlaufs Untersuchungen des Meeresbodens, detaillierter technischer Planungen und Umweltbewertungen, um die Auswirkungen auf die Umwelt so gering wie möglich zu halten. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen gehen in den vollständigen Entwurf der Umweltverträglichkeitsstudie gemäß der Espoo-Konvention ein. Wenn die finale grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsstudie Anfang 2009 für die öffentlichen Konsultationen bereitgestellt wird, sollte es zur konkreten Diskussion kommen.

Im Übrigen entsprechen alle Verfahren zugleich der Beschlusslage der 16. Ostseeparlamentarierkonferenz. Diese hat im August 2007 vereinbart, dass alle Anrainerstaaten den Zugang zu Informationen über wirtschaftliche, ökologische und soziale Konsequenzen von Infrastrukturprojekten in der Ostsee teilen, und dass derartige Projekte immer auf Umweltverträglichkeit hin überprüft werden und mit den nationalen Gesetzgebungen vereinbar sein müssen. Im Vordergrund stehen soll die Energieversorgungssicherheit der gesamten Ostseeanrainerschaft – und nicht nur die einzelner Staaten. Immerhin sprechen damit zumindest die Ostseeparlamentarier mit einer Stimme.

Schon heute ist die EU der größte Energieimporteur der Welt. Europas Abhängigkeit von importiertem Öl und Gas wird weiter wachsen. Der Anteil importierter Energie wird von heute 50 Prozent auf mehr als zwei Drittel im Jahr 2030 ansteigen. Auch wird Erdgas für die europäische Energieversorgung immer bedeutender werden. Innerhalb der nächsten 25 Jahre könnte Europas Gasimport über 80 Prozent seines Gesamtverbrauchs ausmachen. Voraussichtlich wird Russland der Hauptgasversorger Europas bleiben.

Die Ostseepipeline ist nur der Anfang

Deshalb darf das Projekt Ostseepipeline nicht durch ideologische Bedenken gefährdet werden. Unterstellungen und Anschuldigungen gegenüber Russland bestimmen zurzeit jedoch das Klima. Das kann Europa sich nicht leisten. Für Deutschland ist die Pipeline eine erste Diversifizierung der Transportwege für russisches Erdgas. Für andere Länder Westeuropas, und hier vor allem für Großbritannien, ist es ein wichtiger Baustein zur Sicherung der Gasversorgung. Auch Dänemark und Frankreich werden unmittelbar profitieren können. Nicht von ungefähr hat diese Gasleitung als TEN-Projekt in der EU hohe Priorität.

Die europäische Dimension des Projektes muss diskutiert werden. Die bisher vorhandene Trennung Europas in je eine west- und eine osteuropäische Versorgungsstruktur sollte durch einen Ost-West-Übergang durchbrochen werden. Über Greifswald könnte das polnische Netz angeschlossen werden. Das ist die strategische Herausforderung. Eigentlich ist die Ostseepipeline nur der Anfang. Eine Vielzahl von Pipelineprojekten in Europa ist erforderlich. Europa braucht viele verschiedene Projekte, um seine Energieversorgung in der Zukunft zu sichern. Es ist dramatisch, dass die Union sich schon beim ersten Vorhaben derart aufreibt.

Anders sieht es bei den Unterseekabelprojekten in der Ostsee aus. Ein Anfang 2007 in Betrieb genommenes Unterwasserkabel von Finnland nach Estland (Estlink 1) ist der bisher einzige Anschluss der baltischen Staaten an das westeuropäische Stromnetz. Die Leitung ist allerdings zu schwach, um die Region allein versorgen zu können und muss deshalb erweitert werden. Zudem wird gerade die Machbarkeit eines weiteren zwischen Schweden und Litauen oder Lettland verlaufenden Unterseekabels durch die Ostsee geprüft. Heute gibt es schon eine ganze Reihe von Unterseekabeln in der Ostsee. Beispielsweise vom schwedischen Festland zur Insel Gotland, von Polen nach Schweden und von Deutschland nach Schweden. Verschiedene weitere Kabelprojekte in der Ostsee sind in Planung. Für sie alle gelten die gleichen Umweltmaßstäbe – von der Umweltverträglichkeit bis zur Räumung von Munition aus dem Zweiten Weltkrieg.

Die Diversifizierung muss weitergehen

Im Zuge einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik, die einer differenzierten und umfassenden Strategie zur Sicherung der Energieversorgung folgt und den Aufbau einer gemeinsamen Energieinfrastruktur zum Ziel hat, muss die weitere Diversifizierung der Lieferquellen vorangetrieben werden. Gäbe es eine solche gemeinsame Energiepolitik in der EU, bräuchten sich auch die misstrauischsten unter den Mitgliedsstaaten nicht vor Russland zu fürchten. Projekte wie die Ostsee-Pipeline hätten dann bessere Chancen, zielstrebig und sachlich in die Tat umgesetzt zu werden. Der Mangel an Alternativen macht genau das unabdingbar.

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