Für eine europäische Verteidigungsunion

Geld ist genug da, Soldaten auch - was fehlt, ist Effektivität. Sechs Thesen zum Neustart der Gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Wir müssen klar formulieren, was das Problem ist; wir brauchen keine diplomatischen Formeln oder politischen Phrasen: Die bisherige Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) ist das schwächste Glied der europäischen Integration. Der Lissabon-Vertrag fordert viel mehr und lässt viel mehr an gemeinsamer Verteidigung zu.

Manchmal braucht man Krisen, um wirklich voranzukommen. Wir haben eine Krise im Osten Europas: in Russland und der Ukraine. Und eine Krise im Südosten: der djihadistische Totalitarismus des „Islamischen Staates“ in Syrien und im Irak. Und eine Krise in der südlichen Nachbarschaft: die Hinterlassenschaft des „Arabischen Frühlings“, nicht nur in Libyen.

Und wir haben alle das gleiche Geldproblem: Keine EU-Nation will wirklich mehr Geld fürs Militär ausgeben. Und viele können es auch gar nicht, Stichwort Schuldenbremse. Deshalb muss die Europäische Union im Bereich der Verteidigung sehr viel effektiver werden. Die 28 EU-Nationen geben zusammen­gerechnet 190 Milliarden Euro für Verteidigung aus. Das ist sehr viel Geld, dreimal so viel wie zum Beispiel Russland ausgibt. Aber wir geben das Geld 28-mal nicht effektiv genug aus.

Die 28 EU-Nationen haben zusammen 1,5 Millionen Soldaten, viel mehr als zum Beispiel die Vereinigten Staaten. Aber ist diese gigantische Armee von 1,5 Millionen Soldaten irgendwo sichtbar? Glauben wir selbst, dass wir so stark sind? Glauben andere, dass wir unbezwingbar stark sind? Die ehrliche Antwort lautet: nicht wirklich.

Brauchen wir deshalb noch mehr Soldaten? Nein. Brauchen wir deshalb noch mehr Geld? Nein. Wir brauchen mehr Effektivität – und das heißt: Wir brauchen mehr Zusammenarbeit, konkret erstens mehr Interoperabelität, zweitens mehr standardisierte Ausbildung, drittens mehr standardisierte Ausrüstung, viertens mehr gemeinsame Führung, fünftens mehr Arbeitsteilung und sechstens mehr echte Integration.

Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition steht, wohin dieser Prozess am Ende führen kann: zu einer europäischen Armee. Deutschland ist bereit, die Bundeswehr nach und nach zu verschmelzen mit den Armeen unserer europäischen Nachbarn, Freunde und Partner.

Wird das sehr schnell gehen: Nein. Es wird zwei oder drei Jahrzehnte brauchen, genau wie der Weg zur gemeinsamen Währung, zum Euro. Und werden alle mitmachen? Nein. Wie beim Euro werden viele mitmachen, aber niemand muss.

Von unseren 28 EU-Nationen sind 22 zugleich Mitglied in der Nato. Die Verbesserung der europäischen Verteidigung wäre zugleich eine Verbesserung der Glaubwürdigkeit des transatlantischen Bündnisses. Nato-Verteidigung und EU-Verteidigungspolitik sind kein Gegensatz. Nato und EU konkurrieren nicht miteinander. Jedenfalls müssen sie das nicht tun. Auch die Nato und die Vereinigten Staaten konkurrieren ja nicht miteinander, oder sollten es jedenfalls nicht tun.

Die Vereinigten Staaten und die EU könnten innerhalb der Nato komplementär sein. Es gibt Aufgaben für die USA, die nicht Nato-Aufgaben sind, etwa in Ostasien. Es gibt Aufgaben für Europa, die nicht Nato-Aufgaben sind, etwa in Afrika. Und es gibt gemeinsame Aufgaben für Amerika und Europa in der Nato. Und für diese gemeinsamen Aufgaben wäre die Nato stärker, wenn Europa stärker wäre.

Es gibt einen ganz dummen Imperativ, eine wirklich ganz ärgerliche Maxime, die uns lange daran gehindert hat, effektiver zu werden in Europa. Diese Phrase lautet: „Keine Duplizierung von Fähigkeiten.“ Das hört sich nach kluger Sparsamkeit an, aber es ist genau die Formel, die uns daran hindert, effektiver zu werden. Gemeint damit ist: kein eigenes militärisches Hauptquartier der EU. Das heißt: In der Verteidigung ist die Nato alles und die EU ist nichts – oder eben nur eine untergeordnete Hilfsorganisation.

Die Vereinigten Staaten führen mit einem US-Viersterne-General die Nato in Brüssel. Und zugleich haben die USA ein eigenes militärisches Hauptquartier für alle US-Kräfte in Europa.

Dieses Hauptquartier liegt in Europa, in Deutschland, nämlich in Stuttgart. Es heißt USEUCOM. Ist das eine Duplizierung von Fähigkeiten? Nein, es ist genauso vernünftig, ein US-Hauptquartier für die Vereinigten Staaten in Europa zu haben, wie es vernünftig ist, ein EU-Hauptquartier für Europa in Europa zu haben. Weil wir dieses Hauptquartier nicht haben, verzichten wir darauf, all die Duplizierungen von Fähigkeiten in unseren 28 EU-Nationen zu erkennen und zu beseitigen. Daraus ergeben sich folgende sechs Forderungen.

Erstens: Wir brauchen ein eigenes militärisches EU-Hauptquartier in Europa (wie 2003 schon von Gerhard Schröder und Jean-Claude Juncker vorgeschlagen), in Brüssel! Jetzt. Wer mitmacht, ist dabei.

Zweitens: Wir brauchen einen Verteidigungskommissar in der EU-Kommission, spätestens mit der Kommission ab 2019.

Drittens: Wir brauchen einen formal eigenständigen Verteidigungsministerrat der Europäischen Union (anstelle des Außenministerrates „im Format der Verteidigungsminister“).

Viertens: Wir brauchen einen eigenständigen Verteidigungsausschuss des Europäischen Parlaments (anstelle des Unterausschusses des Auswärtigen EP-Ausschusses).

Fünftens: Wir brauchen mehr konkrete multinationale Vereinbarungen der einzelnen Armeen – wie das gemeinsame Marinehauptquartier der Niederlande und Belgiens, wie das europäische Lufttransportkommando in Eindhoven, wie die Integration der niederländischen Luftlandebrigade in die deutsche Division Schnelle Kräfte, wie das deutsch-polnische Heeresabkommen. Wir stehen nicht bei Null. Wir haben schon angefangen.

Sechstens: Wir brauchen eine neue Europäische Sicherheitsstrategie, wo all dies Thema sein muss. Die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) von 2003 war ein Meilenstein, weil sie dem Unilateralismus der USA das europäische Bekenntnis zum Multilateralismus an die Seite stellte. Seitdem steht die GSVP auf der Bühne der Welt. Europa hat angekündigt, ein eigenständiger Akteur sein zu wollen. Aber seitdem gab es viel zu wenig Fortschritt. Heute haben wir neue Krisen, eine neue Kommission und eine neue Chance.

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