Ermunterung zu parteiischer Wissenschaft

Parteien und andere gesellschaftliche Organisationen in Deutschland benötigen wissenschaftliche Berater, die ihre Wertgrundlagen teilen. Die geeigneten Think-Tank-Strukturen zu diesem Zweck müssen aber erst noch geschaffen und finanziert werden

Die Aufforderung an potenzielle Autorinnen und Autoren, am Jubiläumsheft der Berliner Republik mitzuwirken, ist wohl mit der Hoffnung verbunden, „kluge Köpfe“ könnten der Sozialdemokratie helfen, einen neuen, erfolgreichen Weg zu beschreiten. Damit kann ich allerdings nicht dienen: Das kann daran liegen, dass ich nicht klug genug bin. Oder auch daran, dass man der SPD nicht mehr helfen kann. Wie es bei schwierigen Problemen meistens der Fall ist, dürfte es eine Mischung beider Gründe sein, die mich ziemlich ratlos macht.

Klar ist nur: Die Sozialdemokratie ist politisch alles andere als überflüssig. Das sehen wahrscheinlich sogar Konservative und Liberale so: Zu einem gut funktionierenden westlichen Staatswesen gehört eine starke Sozialdemokratie. Aber wie kann man die SPD wieder in dem entscheidenden Sinne funktionsfähig machen, dass sie eine realistische Chance auf Regierungsverantwortung im Bund hat? Eine inhaltliche Antwort kann ich nicht geben. Dazu habe ich in meiner Rolle als Wissenschaftler auch gar keine Legitimation. Ziele von Parteien müssen von den Mitgliedern der Parteien selbst im öffentlichen Diskurs und Streit festgelegt werden. Wissenschaftler können sich in ihrer Rolle als Staatsbürger in diese Auseinandersetzungen einmischen – dann können sie dabei jedoch nicht mehr die Autorität der Wissenschaft für sich in Anspruch nehmen. Aber an dieser Stelle möchte ich nicht als Staatsbürger schreiben. Ich bin weit vom politischen Alltag entfernt und halte nichts davon, wenn akademische Schlaumeier unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Objektivität versuchen, ihre Privatmeinungen zur Gestaltung der Welt – wissenschaftlich verpackt – unter die Leute zu bringen. Vielmehr will ich in diesem Beitrag darüber nachdenken, wie die Sozialdemokraten (und andere Parteien und gesellschaftliche Gruppen) wissenschaftliche Expertise für ihre Meinungsbildung nutzen können und sollten.

Um die Verschwendung von Mitteln und unbeabsichtigte Nebenwirkungen von politischen Maßnahmen zu minimieren, ist eine wissenschaftliche Politikberatung sinnvoll, was nicht heißt, dass die Wissenschaft als System eine quasi systemische Leitfunktion bei Reformen beanspruchen könnte – oder sollte. Da die Politik ständig auf der Suche nach Hilfe bei der Verwirklichung von politisch vorgegebenen Zielen ist und nahezu permanent neue Ziele überhaupt erst sucht, besteht ein Bedürfnis, Wissenschaftler und ihre Werturteile und Ziele in den politischen Prozess beratend (manchmal auch gestaltend) einzubeziehen. Wissenschaftsbasierte volkswirtschaftliche Politikberatung wird in Deutschland nahezu ausschließlich öffentlich finanziert – und im Grundsatz damit  wertneutral organisiert. In der Praxis funktioniert das aber allzu oft nicht: Die Politik gibt keine klaren Ziele vor und vermeintlich wertneutrale Wissenschaftler werben – mehr oder weniger offen – für Ziele, die sie persönlich für wichtig halten. Dadurch fühlt die Politik sich oft schlecht beraten, und Wissenschaftler fühlen sich nicht ernst genommen.

„Wie können wir in der Regierung langfristig gestalten?“

Daher empfehle ich mehr „wertgebundene wissenschaftliche Politikberatung“. Damit meine ich nicht parteiische Forschung, das wäre schlechte beziehungsweise überhaupt keine Forschung. Sondern es geht mir um die Erforschung der Möglichkeiten und Grenzen bestimmter parteiischer Politikkonzepte, die von politischen Akteuren und Wissenschaftlern gemeinsam verfolgt werden. Zugespitzt müssten die erkenntnisleitenden Fragen lauten: „Wie können wir die nächste Wahl gewinnen?“ und „Wie können wir in der Regierung langfristig gestalten?“ Die wissenschaftliche Bearbeitung von derartigen parteiischen Fragestellungen widerspricht jedoch der staatlichen Finanzierung von Forschungseinrichtungen. Andererseits kann keine Partei erwarten, dass sie eine derartige Beratung in hochwertiger Weise umsonst bekommt. Die Konsequenz kann nur eine Ausdifferenzierung der Beratungslandschaft sein.

Staatlich finanzierte Forschungsinstitute, die der wertneutralen Politikberatung dienen, sind unverzichtbar. Daneben sind parteiische Forschungsinstitute und Akademien notwendig, die wissenschaftlich so attraktiv sein müssen, dass Spitzenwissenschaftler bereit sind, sich für ein paar Jahre in einer solchen Einrichtung zu engagieren. Und andere Spitzenwissenschaftler, die einer Partei nicht nahe stehen, müssen es als attraktiv erachten, zu Diskussionsveranstaltungen und Workshops zu gehen, die diese Einrichtungen ausrichten.

„Parteiische“ Thinks Tanks und Akademien kosten allerdings Geld. Die Mittel sollten moderne Parteien akquirieren können. Es geht um Einrichtungen mit jeweils einer handvoll festem Personal und Mitteln zur Einladung von Gastwissenschaftlern für eine halbe bis zu – sagen wir – einer Legislaturperiode. Es müssen genügend finanzielle Mittel sein, um echte Stars der Wissenschaft gewinnen zu können. Für die Auswahl der Berater darf Anerkennung in der Wissenschaftszunft nicht durch die bloße richtige Gesinnung ersetzt werden! Das Wichtigste aber ist: Parteien, Gewerkschaften und gesellschaftliche Organisationen, die sich Think Tanks leisten, dürfen nicht ständig kleinteiligen Output und Beratung im Hinblick auf kurzlebige Details erwarten. Denn je kleinteiliger und aktueller der Output ist, den man verlangt, umso weniger werden Top-Wissenschaftler bereit sein, sich in eine solche Situation zu begeben. Top-Berater brauchen (akademische) Freiheit. 

Eine Nationale Akademie kann helfen, den „Durchblick“ zu behalten für die Bewertung von (ständig zunehmenden) Forschungsergebnissen und guten Ratschlägen. Allerdings nur dann, wenn es ihr gelingt – mehr als einzelne Wissenschaftler das naturgemäß können – darauf hinzuweisen, wenn die Wissenschaft nur ungesichertes Wissen anbieten kann. Mindestens ebenso wichtig wäre, dass die Akademie Werturteile offenlegt. Damit tun sich einzelne Wissenschaftler oft sehr schwer, da sie als Staatsbürger ja – wie ihre Mitbürger – auch politische Überzeugungen haben. Das Erkennen von Werturteilen ist in der Politikberatung sehr wichtig, sind doch fast alle großen gesellschaftlichen Probleme ohne politische Willensbildung nicht lösbar.

Dieser Aufsatz ermuntert also zu „parteiischer Wissenschaft“ in dem Sinne, dass Parteien und andere gesellschaftliche Organisationen wissenschaftliche Berater brauchen, die die Wertgrundlagen der Parteien und Organisationen teilen. Bei der Qualität der Wissenschaft dürfen allerdings keine Kompromisse gemacht werden. Zur „Qualitätssicherung“ kann die Nationalakademie einen wichtigen Beitrag leisten, wenn sie sich selbst beschränkt und die Welt nicht aktiv verbessern will. «

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