Lexikon für Stammtische

Hans Herbert von Arnims Vorrat an nicht zu Ende gedachten Thesen reicht - einmal pro Woche angezapft - für anderthalb Jahre

Wer am Stammtisch die Schlechtigkeit der Politik(er) und die Raffgier der Wirtschaftsbosse hieb und stichfest illustrieren will, dem sei das jüngste Buch des emeritierten Jura-Professors Hans Herbert von Arnim empfohlen. Auf fast jeder der gut 350 Seiten finden sich Details und Geschichten, die alles bieten, was an Staatsverdrossenheit üblich ist: Das Grundgesetz wurde nicht per Volksabstimmung verabschiedet; Parlamentarier sind ungebildet, verdienen zu viel und sind obendrein käuflich; nicht die Bürger, sondern Parteien entscheiden; Europa ist undurchsichtig und undemokratisch und Wirtschaftsbosse sind raffgierig. Aber was kann man aus diesem Buch wirklich lernen?

Von Arnim prangert juristisch einwandfrei an

Wenn man die Geschichten exakt so weitererzählt, wie der Autor sie aufgeschrieben hat, wird man garantiert nicht wegen übler Nachrede belangt werden können, denn von Arnim prangert natürlich in juristisch einwandfreier Weise an. Ist ein Detail seiner Argumentation nicht eindeutig belegbar, so notiert der Autor es trotzdem – und fügt dann etwa an, dass der Betroffene dies aber bestreite. Wer aber von Arnims zu Beginn des Buches formulierten Anspruch ernst nimmt, nicht nur „Aufreger“ niederzuschreiben, sondern auch Rezepte für ein besseres Gemeinwesen zu liefern, der wird vom mangelnden analytischen Tiefgang des Buches enttäuscht. Stetige Wiederholung macht nicht zu Ende gedachte Forderungen nicht besser – beispielsweise die, dass Parlamentarier weniger verdienen sollten und der Bundespräsident direkt vom Volk gewählt werden müsste.


Hans Herbert von Arnim ist vielen Lesern aus unzähligen Talkshows und etlichen Meldungen in der Bild-Zeitung gut bekannt. Fleißig geschrieben hat er auch, nachdem er den Bund der Steuerzahler verlassen und hauptamtlicher Professor in München, Marburg und schließlich an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer geworden war. Wer von Arnims Bücher bereits studiert hat, der braucht das krönende Alterswerk nicht lesen: In 16 Kapiteln werden 82 geschlossene Texte zusammengefasst, wie der Autor in der Einleitung selbst schreibt – die perfekte Zweit- und Drittverwertung. Einen Vorteil immerhin haben die 82 Einzelstücke: Wer seinen wöchentlichen Gang zum Stammtisch gut vorbereiten will, kann sich gute anderthalb Jahre lang häppchenweise mit Argumenten versorgen.


Lesenswert sind die Abschnitte über von Arnims Profession, die Jurisprudenz. Er bringt Beispiele für die vermeintlichen Probleme verbeamteter Richter, die aber nebenbei Zeit für Gutachten und schriftstellerische Tätigkeiten aufwenden dürfen, was der Zügigkeit und Qualität der Rechtssprechung nicht zu bekommen scheint. So weit, so gut. Typisch für nicht zu Ende gedachte Thesen ist dann aber wiederum von Arnims Forderung, hohe Richter direkt vom Bundespräsidenten ernennen zu lassen – der natürlich auch direkt vom Volk zu wählen sei. In Wirklichkeit würde das Problem der Nebentätigkeiten auf diese Weise gar nicht beseitigt. Und dass der Bundespräsident bei der Berufung von Richtern einen besseren Überblick hätte als Regierungen, kann man getrost bezweifeln. Schließlich müsste sich auch der Bundespräsident auf Fachbeamte und politische Einflüsterer stützen!

Ruhe und Frieden – ein naiver Wunschtraum

Weitere Beispiele: Es stimmt, das Grundgesetz wurde niemals vom Volk bestätigt. Aber ist es deswegen schlechter als eine im Zeitalter der Massenmedien per Volksabstimmung bestätigte Verfassung? Zumal von Arnim, wie alle Staatsverdrossenen, natürlich die Massenmedien für den schlechten Zustand unseres Staatswesens mitverantwortlich macht. England und das Vereinigte Königreich haben noch nicht einmal eine geschriebene Verfassung. Dort wird auch nicht prinzipiell schlechter regiert als in Deutschland. Von Arnim selbst zitiert ein zentrales Argument gegen seine populistische Träumerei: Es gibt keine Verfassung, die künftige Generationen wirklich binden kann. In einem demokratischen Staatswesen kommt man um die permanente politische Auseinandersetzung nicht herum. Und diese Auseinandersetzung ist in Deutschland gesichert. Man mag sich wünschen, es würde dabei friedlicher und gesitteter zugehen. Aber Ruhe und Frieden sind in einer Demokratie ein naiver Wunschtraum. Und wer sich – wie von Arnim und alle Stammtische – über Eigennutz und Trickserei der Politiker aufregt, der sollte sich klarmachen, dass diese Phänomene keine Besonderheit der Politik sind. Bei Experten und Unternehmern fällt der Egoismus nur nicht so auf, weil über diese Berufsgruppen nicht täglich ad personam in der Zeitung berichtet wird.

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