Eintreten! Für Demokratie. Seit 150 Jahren



1 Der Siegeszug des ökonomistischen Denkens und des Marktradikalismus nach dem Ende der globalen Dichotomie 1989/90 berührt die Identität der SPD als erfolgreiche Partei des sozialstaatlichen Ausgleichs, das heißt historisch: des „Dritten Weges“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus.

Das Verschwinden des weltweiten atomar hochgerüsteten, existenziellen Superkonflikts verändert auch die innergesellschaftlichen Konfliktlinien. (Paradigmatisch: Im vereinigten Deutschland wurde aus der System-Konkurrenz mit dem SED-Staat der innerstaatliche Wettbewerb mit der SED-Nachfolgepartei.) Zu beobachten sind weniger eindeutige Polarisierung, weniger ideologische Begründung, weniger Erklären und Argumentieren, weniger Parteiergreifen, sinkende Wahlbeteiligung, zunehmende Demokratiedistanz und
-verachtung.

Wenn zu dieser Unübersichtlichkeit und Unterscheidungsschwierigkeit im Fünf-Parteien-System dann noch der Zwang zur Koalition der demokratischen Hauptgegner, zur Großen Koalition aus Union und SPD kommt, wird es für die Sozialdemokraten als „Juniorpartner“ besonders bitter. Über diese Erfahrung verfügen wir nun ganz praktisch seit dem 27. September 2009 mit dem katastrophischen 23-Prozent-Ergebnis. Wir brauchen Gegner, wir brauchen Polarisierung, wir brauchen eine starke – nicht nur eine kinkelartig beliebte – politische Führung.

2 Wenn sich der Wille zur Demokratie nicht mehr aus äußerer existenzieller Gefährdung nährt, dann – spätestens – wird das Werben für demokratische Teilhabe eine Hauptaufgabe der aktiven Demokraten selbst, zuallererst gewiss der Sozialdemokraten. Wir müssen wieder für das Parteiergreifen, für das verbindliche politische Engagement (nicht Facebooks „gefällt mir“-Pseudopartizipation), für das Spielregeln-Kennen und Sich-an-Regeln-halten werben.

Wir sollten in unserer politischen Kommunikation nicht versuchen, „Zielgruppen“ zu bedienen, sondern Staatsbürger anzusprechen, nicht an Egoismus und partikulare Interessen appellieren, sondern politischen Menschen ein politisches Urteil zumuten und zutrauen. Das Gespräch darüber, was gut fürs Ganze ist, ist besser fürs Ganze als die „Wahlversprechen“-Phrasendreschmaschinerie vermeintlicher Wahlwerbeprofis.

Was die SPD zu bieten hat, sind nicht nur geniale staatspolitische Entscheidungen, sondern das ist auch eine Ideen-Heimat, eine sehr freundliche, sympathische Art, die Welt zu sehen. Diese Sichtweise teilen wir mit vielen anderen Menschen. Deshalb ist die SPD eben keine vorüberziehende Erscheinung der internationalen Parteiengeschichte.

3 Zum Demokratie-Thema wird derzeit wohl in keiner anderen Partei so substanziell gearbeitet wie in der SPD: in der „Zukunftswerkstatt Demokratie und Freiheit“ des Parteivorstandes, bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, in der „AG Demokratie“ der SPD-Bundestagsfraktion und in der „Organisationspolitischen Kommission“ zur Vorbereitung einer Parteireform. Im Jahr der Bundestagswahl 2013 wird die SPD ihren 150. Geburtstag feiern. Ihre Geschichte könnte dann Gegenstand sein für Medien und Schulen, Wissenschaft und Festveranstaltungen. Eine kluge Parteiführung wird wissen, welche Chance in dieser Verbindung von Termin und Thema liegt. Das Motto für dieses Jubiläumsjahr liegt so nahe: „Eintreten! Für Demokratie. Seit 150 Jahren“. Eine völlig neuartige, offene Kampagne zur Auswahl eines sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten unter zwei oder mehreren Bewerbern könnte dann dazugehören. «

zurück zur Ausgabe