Eine halbe Stunde bis zur Wirklichkeit: Das Raumschiff Berlin ist sich noch immer selbst genug



Am Ende ging es nur um ein gutes Dutzend Stimmen – am 20. Juni 1991 beschloss der Bundestag, dass aus der Bonner die Berliner Republik werden sollte. Viel wurde damals darüber diskutiert, dass sich das Land verändern werde und verändern müsse. Nun, da die neuen Länder mit dabei waren.


Es dauerte dann noch einmal acht Jahre bis Regierung und Parlament in der neuen Hauptstadt ankamen. Und das ist jetzt auch schon wieder fünf Jahre her. Ist die Republik wirklich eine andere, eine Berliner Republik geworden? Die zum Beispiel auch dem Osten, ob innerhalb Deutschlands oder innerhalb Europas, zugewandt ist? Fragezeichen sind da tatsächlich angebracht.


Mit dem Regionalexpress braucht man keine halbe Stunde, und schon ist man mitten in Brandenburg, mitten in der ostdeutschen Wirklichkeit. Hier, zwischen Sandwegen, Seen und Sportlerklausen hält man nicht viel vom Berliner Politikbetrieb. Die Leute verstehen nicht, was „die da in Berlin“ so machen. Und dass dies jetzt eine „Berliner“ Republik sei – quittieren sie mit Schulterzucken. Die Ostdeutschen haben bisher nicht den Eindruck, dass die „neue“ Republik eine ist, die den Osten begreift, ja, die sich auch nur bemüht, die besonderen Probleme Ostdeutschlands zu verstehen.


Zwar ist manches in Berlin heute anders, schneller und irgendwie moderner als im beschaulichen Bonn. Doch dass die Politik jetzt wirklich volksnäher, problembewusster oder gar „ostdeutscher“ geworden wäre, behauptet im Ernst wirklich niemand. Dies genau ist das Manko der Berliner Republik.

Obdachlose, Bettler, Plattenbauten

Nach dem Parlamentsumzug waren einige Bundestagsabgeordnete ganz überrascht über Obdachlose, Bettler und Plattenbauten in der Mitte der alten und neuen deutschen Hauptstadt – das war man aus Bonn nicht gewohnt. Doch die Beobachtung hat sich nicht niedergeschlagen in einer anderen Politik, in einer anderen Diskussion, in mehr Offenheit. Die Abgeschiedenheit der Politik ist eher größer geworden. Den Anspruch der Bürgernähe hat die Berliner Republik bisher nicht einlösen können. In den vergangenen Jahren hat die Distanz zwischen Politik und Bürgern eher zu- als abgenommen.


Für Ostdeutschland findet sich auf der politischen Agenda immer nur dann ein Platz, wenn die Höhe der Subventionen diskutiert wird. Der ostdeutsche „Sommer des Missvergnügens“ in diesem Jahr war nur der Endpunkt einer Entwicklung, die sich lange angekündigt hat. Eine Entwicklung, die von „blühenden Landschaften“ über „Chefsachen“ bis zur „Land-auf-der-Kippe-Diskussion“ führte. Bisher hat die Berliner Politik auf die Krise in Ostdeutschland noch nicht reagiert – sondern immer wieder mit Verdrängung geantwortet. Wenn die deutsche Republik wirklich eine neue, andere, bessere werden will, dann muss das Raumschiff Berlin endlich in der ostdeutschen Wirklichkeit landen – und bei den Menschen ankommen, die hier ihr Leben leben.

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