Die Sicherheit im Inneren

Der Film Yella handelt von Sehnsucht nach Zukunft - aber auch von Verrat und Niedergang

"Wie gefährlich ist es zu träumen in den Zeiten des Risikokapitals?“ – dieser Frage geht Regisseur Christian Petzold mit seinem Film Yella nach. Das wollen wir auch tun und gehen ins Kino im Tacheles in der Oranienburger Straße. Das Tacheles bezeichnet sich selbst als die „Kunstruine“ in Berlin. Umgeben von Restaurants mit Outdoor-Gasfackel-Beleuchtung und Hochglanz-Postkarten-Verkaufsshops sind die Überreste dieses ehemaligen Kaufhauses ein erfrischender Kontrast. Es ist Sonntagabend, der letzte im November.

Im Tacheles lebt die etablierte Alternativkultur. Der Eingangsbereich ist komplett unrenoviert, die Wände im Treppenhaus sind von Plakatschichten bedeckt. Unsere Karten kaufen wir bei Heiko. Er reißt sie von einer klassischen Kartenrolle in einem Eisenhalter ab, der mindestens so alt ist wie das Gebäude. Heiko trägt ein modisches, schneeweißes Hemd und kennt sich aus mit Filmen. „Yella ist super“, sagt er nüchtern, „einer der besseren deutschen Filme.“ Was der Film aber mit Innerer Sicherheit zu tun habe, fragt er. So ganz genau wissen wir es auch noch nicht.

Die Vorführung beginnt mit Verspätung. Der Streifen davor hatte Überlänge: Trade. Willkommen in Amerika, ein Film über Menschenhändler. Schwierige Themen für einen Sonntagabend. Mit sieben weiteren Gästen setzen wir uns in einen Raum, der über fünfundzwanzig Plätze verfügt und dessen Wände mit schweren, schwarzen Tüchern abgehängt sind. Wir machen es uns auf Sofas aus hellrotem Kunstleder bequem. Es sind zwei Pärchen da, zwei Cineasten, einer ist allein da (auch er ist Filmliebhaber, er mag Petzolds Arbeiten). Alle sind so um-die-bis-mitte-dreißig.

Yella erzählt von Lebensperspektiven, von Möglichkeiten und Chancen, aber auch von Gewalt, Verrat und Niedergang. Im Zentrum steht Geld – dessen Abwesenheit, und der Traum, ganz viel davon zu besitzen. Das macht Yella zu einem düsteren Film.

Yella, so heißt die Hauptfigur des Films. Sie kommt aus Wittenberge in der Prignitz. Vor der Wende gab es hier eine Nähmaschinen-, eine Zellstoff- und eine Ölfabrik. Heute umrahmen Fabrikruinen die Innenstadt. Yella will weg.

Es wurde nicht gut in Wittenberge

„Du hast einen Job, einen richtig guten. Das kann ich an deinem Gang sehen“, ruft Ben ihr hinterher, als sie vom Bahnhof durch die Stadt zu ihrem Elternhaus geht. Ben ist Yellas Ex-Mann. Er kommt über die Pleite der gemeinsamen Firma nicht hinweg, und er will Yella nicht gehen lassen. Yella hat sich getrennt. Sie möchte aussteigen. Das sagt sie auch, als sie am nächsten Morgen mit Ben im Auto sitzt. Er sagt, er wolle sie zum Bahnhof fahren. Er ist wütend auf Yella, auf sich, auf den misslungenen Aufbruch, wütend auf den für beide gescheiterten Aufbau Ost. Alles hätte so gut werden können in Wittenberge. Wurde es aber nicht. Zumindest nicht für Ben. Er will nicht mehr und steuert das Auto durch das Brückengeländer in die Elbe.

Hier fängt der Traum an: Yella überlebt. Sie fährt nach Hannover, wo sie schon ein Hotelzimmer für die ersten Arbeitswochen reserviert hat. Ihr Job soll am nächsten Tag beginnen, doch sie verschläft. Vorübergehend endet ihre Reise auf dem Abstellgleis. Im Apart-Hotel misstraut der Manager ihrer Sparkassen-EC-Karte. Ob sie denn keine Kreditkarte habe, fragt er. Hat sie nicht, aber noch Bargeld von ihrem Vater. Auch am folgenden Tag läuft alles schief: Das Unternehmen, in dem sie arbeiten wollte, ist pleite. Der Mann, der sie einstellen wollte, hat Hausverbot und drückt sich in den Büschen rum. Yella hört sich an, was er zu sagen hat. Und geht.

Doch sie rafft sich auf. Zurück im Hotel trifft sie Philipp. „Interessieren sie sich für Bilanzen?“, hatte er schon am Abend zuvor gefragt und es ernst gemeint. Philipp arbeitet für eine Private-Equity-Firma und träumt vom großen Geld. „Es geht um Sicherheit und Perspektiven“, sagt er in den Verhandlungen in den gläsernen Chef-Etagen. Philipp hat eine eigene Unternehmensidee, für die ihm nur noch 200.000 Euro fehlen. Yella wird erst seine Assistentin, später auch seine Geliebte. Irgendwann spricht Yella mit Philipp über Ben. Sie sagt: „Ich liebe ihn nicht mehr, weil er nichts mehr hat.“

In Yella geht es um Risiko – und um Sicherheiten. Um finanzielle Sicherheit, emotionale Sicherheit, die Sicherheit der Zukunft. Voller Sehnsucht blickt Yella auf das Haus, die Ehefrau, die Tochter, den Jaguar, den Unternehmer, den sie später erpressen wird. Yella sieht aus, als würde sie sich entweder selbst eine Familie wünschen oder der Familie ihr Idyll nicht gönnen. Auch Wittenberge mag sie eigentlich. Aber davon will Philipp nichts wissen; ein Haus, ein Auto, eine Garage, Planungssicherheit, das sei nichts für ihn. Philipp möchte Geschäfte machen.

Der Schmerz hält nur kurz an

Am Ende kommen wir bereichert aus dem Kino, aber auch ein wenig ratlos. Wir fragen Judi und ihren Begleiter, wie ihnen der Film gefallen hat. „Er ist deprimierend. Die Stimmung ist düster. Und ich habe nicht verstanden, was Realität sein sollte und was Fiktion“, sagt sie. Judi wollte Yella sehen, weil Nina Hoss bei den Berliner Filmfestspielen für ihre Hauptrolle mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. Ihr Begleiter meint, Wittenberge sei gut getroffen: „Die Stadt ist tot.“ Nur die Figur Yella fand er ein wenig unrealistisch. „Wenn sie wirklich so gut ist, dann wird sie auch einen Job finden – nicht in Wittenberge, aber anderswo.“

Yella ist ein Film über die innere Sicherheit des Einzelnen, über persönliche Sicherheit. Darüber, ob ein Haus, die Familie, der Jaguar und der Chefposten Sicherheit bedeuten. Und darüber, wie vergänglich Sicherheiten sein können – für den Kleinunternehmer in Wittenberge genauso wie für den Großunternehmer in Hannover. Yella ist sehr deutlich, er schmerzt ein wenig, weil er Nerven trifft. Der Schmerz hält aber nur kurz an. Immerhin ist ja Sonntag heute.

High End 54 – Kino im Tacheles – Oranienburger Straße 54, 10117 Berlin – http://super.tacheles.de

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