Die Panikindustrie

Von SARS bis Vogelgrippe: Die moderne Gesellschaften benötigen nicht nur Strategien gegen Seuchen und Viren, sondern vor allem gegen deren psychologische Wirkung. Am Beispiel BSE zeigen sich vor allem die katastrophalen Wirkungen medialer Hysterie

Über Jahrtausende haben menschliche Gesellschaften auf Epidemien mit Panik und Furcht reagiert. Die kollektive Erinnerung an das Leid, das Pest und andere Seuchen verursachten, und die existenzielle Gefährdung, die sie für Menschen darstellten, erklären sicherlich, warum das Auftauchen neuer Bedrohungen auch noch in den angeblich so rationalen, wissenschaftsorientierten Gesellschaften der Gegenwart solch enorme Wirkung zu erzielen vermag – ob nun SARS oder neuerdings die Vogelgrippe. Unsere Entscheidungsträger sind sich mittlerweile zumeist im Klaren darüber, dass es nicht nur einer Strategie bedarf, um auf die tatsächliche oder potenzielle Gefährdung durch den neuen Virus selbst zu reagieren. Benötigt wird zugleich eine Strategie gegen die psychologischen Wirkungen. Wir brauchen nicht nur einen Impfstoff gegen die Vogelgrippe, für den Fall, dass der Virus mutieren, auf den Menschen überspringen und zugleich hoch infektiös werden sollte – wir benötigen zugleich eine Impfung gegen unsere Furcht. Mit anderen Worten: Auch das gesellschaftliche Immunsystem muss gestärkt werden. Das bedeutet eine Aufgabe nicht zuletzt für die Medien. Wer deren übertriebene Berichterstattung über die asiatische Vogelgrippe verfolgt, kann nur zu dem Schluss kommen, dass sie in dieser Hinsicht nichts gelernt haben. Was dominiert, ist Angstmache.

Angst und Overkill

Nun besitzt die Angst einer Gesellschaft auch ihre positive Seite. Sie mag helfen, den erforderlichen politischen Druck zu erzeugen, die Entscheidungsträger auf Trab zu bringen und für eine rasche Mobilisierung zu Gegenmaßnahmen und die Bereitstellung von Ressourcen zu sorgen. Doch zugleich erzeugen öffentliche Angst, Panik und Zeitdruck eine Fülle negativer Effekte – erst recht da, wo sie von hysterischen Medien geschürt werden. Allzu oft führen sie zu einem Overkill, zu hastigen, unausgegorenen und ungerechtfertigten Entscheidungen. Die Kenntnisse, die solchen Entscheidungen zugrunde liegen, erweisen sich oft als unzureichend. Perspektive und Augenmaß gehen dann leicht verloren, und das Ausmaß der Gefährdung wird maßlos überschätzt. Das war bei SARS der Fall; es lässt sich noch klarer am Beispiel des Rinderwahns nachweisen.

Die Vogelseuche hat vielen Menschen schon jetzt den Appetit auf Geflügel verdorben, wie sinkende Umsätze in diversen europäischen Ländern signalisieren – auch wenn Fachleute und Gremien in Brüssel oder den europäischen Hauptstädten darauf hinweisen, dass der Verzehr von ordentlich zubereitetem Hühnerfleisch oder Eiern kein Risiko birgt. Da ist es gut für die beunruhigten Verbraucher, dass dafür wenigstens an der BSE-Front Entwarnung gegeben wird. Die Experten bezeichnen die Gefahr als gebannt. Liebhaber von T-Bone Steaks und Bistecca Fiorentina dürfen sich freuen: Brüssel signalisiert ein Ende des Verbotes, das vor vier Jahren quer durch Europa verhängt wurde. Im britischen Mutterland des Rinderwahns, immer noch verantwortlich für rund 98 Prozent aller weltweit registrierten BSE-Fälle, darf die gebeutelte Rindfleischindustrie aufatmen: Die Europäische Kommission gibt grünes Licht für britische Rindfleischexporte. Auf der Insel selbst darf fortan auch wieder das Fleisch von Rindern verzehrt werden, die älter sind als 30 Monate, nachdem Millionen von Kühen geschlachtet und zu Fleischmehl verarbeitet wurden, das man anschließend verbrannte.

In Deutschland, wo im Zuge der BSE-Krise zwei Minister ihren Hut nehmen mussten, regt sich längst niemand mehr auf, wenn im Allgäu wieder einmal ein weiterer Fall von BSE diagnostiziert wird. Als Medienthema hat der Rinderwahn ausgedient, so sehr sich manche Wissenschaftler unter Verweis auf “theoretisch denkbare Risiken” gelegentlich noch bemühen, das fast erloschene Flämmchen der Verbraucherfurcht neu zu entfachen.

“Wir sind alle in Gefahr!”

Welch ein Kontrast zur Situation der Jahre 2000 und 2001! Damals raste eine Welle der Angst durch Deutschland. Jede neue “verrückte” Kuh löste Alarm aus. “Wir sind alle in Gefahr”, lautete das Leitmotiv von Medien und Experten. Der Rinderwahn wirkte als hochinfektiöser Virus, der Journalisten, Forscher, Politiker und Verbraucher gleichermaßen befiel. Quer durch Europa wurden Hunderttausende gesunder Rinder auf dem Altar der öffentlichen Angst geopfert. Man keulte ganze Kohorten und erklärte Rindfleisch für “lebensgefährlich”. Landauf, landab verbreiteten Wissenschaftler düstere Prognosen über eine dramatische Epidemie von vCJK, einer bis heute unheilbaren “Variante der Creutzfeld-Jakob- Krankheit”, dem menschlichen Pendant des Rinderwahns. Hunderte von Millionen Euro flossen als Forschungsmittel an die Zunft der Prionenforscher, die verkündete, mit einem falsch gefalteten Eiweiß im Hirn den tückischen “Erreger” Spongiformer Encephalopathien ausgemacht zu haben.

Hauptsache, das Publikum erschaudert

Die Medien betrieben auf dem Höhepunkt der BSE-Krise in Deutschland wie anderswo zumeist nur Angstmache. Wo Distanz und nüchterne Skepsis angebracht gewesen wäre, bauschten sie auf. Nur eine Voraussetzung musste erfüllt sein: Das Publikum hatte vor Entsetzen zu schaudern. An einem Abend in der ARD wurden zur besten Sendezeit Prionen für Lebensmittel von Wurst über Milch bis Rindersteak vergeben: Je mehr Prionen, desto höher das tödliche Risiko für die Verbraucher. “Kein Zweifel” befanden die Experten und Journalisten, “der Rinderwahn ist auf den Menschen übergesprungen”. Der medial-wissenschaftliche Komplex trieb Politiker im Bund wie in den Ländern zu oftmals mindestens zweifelhaften Beschlüssen.

Und heute? Entwarnung an allen Fronten. Die Schreckensvisionen haben sich nicht erfüllt. In Großbritannien blieb die prognostizierte vCJK-Epidemie aus. Wie eh und je futtern die Verbraucher Steak, Hamburger und Wurst. Dabei sind die Rinderherden Europas nun nicht etwa frei von BSE. Großbritannien zählte im vergangenen Jahr 343 BSE-Rinder. Deutschland kam 2003 auf 54 BSE-Fälle, 2004 auf 65, und in diesem Jahr bislang auf 25. Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen den britischen und deutschen Fällen von “Rinderwahn”: In Deutschland handelt es sich offenkundig nicht um Tiere mit den klinischen Symptomen der Krankheit, wie sie jene britische BSE-Kuh aufwies, die im Fernsehen unzählige Male torkelnd und mit einknickenden Hinterbeinen zu besichtigen war. Wenn außerhalb Großbritanniens “BSE-Fälle” gemeldet werden, handelt es sich fast immer um Rinder, die nicht diese Symptome aufwiesen, sondern in deren Gehirnen man durch die heute verfügbaren Tests posthum, nach der Schlachtung Hinweise auf BSE entdeckt hat, nämlich die molekularen Müllhalden eines falsch gefalteten, körpereigenen Eiweißes.

Die Irrwege von Wissenschaft und Politik

Der Amerikaner Stanley Prusiner hatte diese Substanz, Prionprotein genannt, zu einem ganz neuartigen, weil erbgutfreien Erreger für Spongiforme Encephalopathien erklärt – wozu neben BSE und Scrapie beim Schaf auch die menschliche Version, die Kreutzfeld-Jakob-Krankheit gehört. Dafür wurde der Amerikaner mit dem Nobelpreis geehrt – voreilig, wie seine wissenschaftlichen Kritiker meinen. Die ohnehin nie ganz verstummten Zweifel an seiner These sind nun wieder lauter geworden. Der Kieler Zoologe Sievert Lorenzen weist darauf hin, dass es bis heute nicht gelungen ist, mit diesem Prionprotein auch nur eine einzige Spongiforme Encephalopathie auszulösen. Zusammen mit dem emeritierten Münchener Biochemiker Roland Scholz zeichnet Lorenzen in dem Buch Phantom BSE-Gefahr die “Irrwege von Wissenschaft und Politik” nach. Fachwelt wie Wissenschaftsjournalismus haben auf das Buch mit Schweigen reagiert, was man sehr optimistisch vielleicht als Zeichen betretener Scham deuten kann.

Tatsächlich ist eine kritische Zwischenbilanz des Dramas längst überfällig. Es enthält Lehren, die weit über BSE selbst hinausreichen – und auch für unseren Umgang mit der Vogelgrippe bedeutsam sein können. Die entscheidenden Thesen über Ursprung und Gefahr des Rinderwahns, begierig aufgegriffen und medial in dräuendem Ton verbreitet, erweisen sich bei genauem Hinschauen als bloße Annahmen, die nie durch wissenschaftliche Tests erhärtet wurden. Dennoch werden sie immer noch wie unumstößliche Wahrheiten behandelt.

Dazu gehört allen voran der immer wieder beschworene kausale Zusammenhang zwischen Rinderwahn und vCJK, der (angeblich) neuen Variante der Kreutzfeld-Jakob-Krankheit beim Menschen, die auf den Verzehr infizierten Rindfleisches zurückgeführt wird. Dies ist eine unbewiesene These geblieben, die sich wissenschaftlich nicht belegen ließ und selbst statistisch von Beginn an unplausibel war. In Großbritannien erkrankten bis Ende dieses Jahres 151 Menschen an vCJK, anders als bei der sporadischen Kreutzfeld-Jakob-Krankheit vor allem jüngere Menschen. Nie wurde eine klare Kurve nach oben verzeichnet, die auf eine Korrelation oder gar einen kausalen Zusammenhang mit dem Verzehr des Fleisches von BSE-Rindern hingedeutet hätte, das in die menschliche Nahrungskette gelangt war. Auch Vegetarier erkrankten an vCJK, und mehr Menschen in ländlichen Regionen Britanniens waren betroffen als in den Ballungsgebieten, wo man die meisten der dubiosen Hamburger aus Knochenresten, Innereien und Fett verzehrte. Die staatlich massiv geförderte Forschung ignorierte sogar die Hinweise darauf, dass es offenbar gar keine “neue” Variante der Kreutzfeld-Jakob-Krankheit gibt. Schon beim ersten Fall, den der deutsche Mediziner Kreutzfeld 1913 in Breslau diagnostiziert hatte, handelte es sich um eine 23-jährige Patientin.

Eine Epidemie, die es nie gab

Die Übertragung von BSE auf den Menschen war nie mehr als eine theoretische Möglichkeit, eine unbewiesene Hypothese, die gleichwohl in den Kanon der institutionalisierten Wissenschaft einging. Im British Medical Journal schrieb George Vernter vom schottischen Gesundheitsamt unter der Überschrift “vCJK – eine Epidemie, die es nie gab”, die Krankheit sei weder neu noch werde sie durch Prionen verursacht. Unter Medizinern sei diese reine “Spekulation” zu einer Orthodoxie mutiert, die niemand mehr anzuzweifeln wage. Vernter machte sich damit nicht viele Freunde. Immerhin hat SEAC, das wissenschaftliche Gremium der Londoner Regierung zum Thema Spongiforme Encephalopathien, die Vorstellung von einer vCJK-Epidemie mittlerweile für “unplausibel” erklärt, freilich ohne sich im Übrigen auf die Stichhaltigkeit der Theorien einzulassen, die eine Seuche auf uns zukommen sahen. Das ist eine bittere Pille für die Prionenforscher, die zwar angesichts der geringen, dazu noch sinkenden Zahl der vCJK-Fälle in den zurückliegenden Jahren mit ihren Angaben über die zu erwartende Zahl menschlicher Opfer der “Seuche” spürbar zurückhaltender geworden sind, von ihren Thesen jedoch nicht abrücken.

Die Natur kennt keine Injektionen

Der Münchener Soziologe Ulrich Beck beschreibt die moderne Risikogesellschaft als eine Epoche, in der Entscheidungen oftmals auf der Grundlage “gewussten Nichtwissens” getroffen werden. BSE und vCJK liefern dafür ein Paradebeispiel. Die Ursache von BSE ist unbekannt; die “revolutionäre” Prionentheorie bleibt die Antwort darauf schuldig, was Prionproteine mutieren, sich falsch falten und in krankhafte Eiweißmoleküle verwandeln lässt. Dafür aber steht fest, dass BSE schon lange existiert. In Mecklenburg kannte man “verrückte” Kühe schon vor hundert Jahren. In Bayern gab es stets “wepsige” Kühe, die vom “Veitstanz” befallen waren. Die Tiere wurden notgeschlachtet, verwurstet oder als Einweißergänzung ins Viehfutter gemischt. Auch die Verbreitung des Rinderwahns durch das Tiermehl – Fundament der offiziellen, von London aus verbreiteten BSE-Theorie – bleibt eine unbewiesene Annahme. Der Futtertest des britischen Agrarministeriums mit einer geteilten Herde (eine Hälfte wurde mit inkriminiertem Mehl gefüttert, die Kontrollherde nicht) erbrachte keinen einzigen Fall von BSE. Die angebliche Fähigkeit des BSE-”Erregers”, die Artengrenze zu überspringen und so eine Gefahr für den Menschen zu bilden, fußt auf Labortests, bei denen Mäusen und Hamstern mit BSE infiziertes Gewebe ins Gehirn gespritzt wurde. Diese “intrazerebrale Infektionsübertragung” mag theoretische Erkenntnisse über Encephalopathien vermitteln. Sie besagt aber nichts über mögliche Ansteckungsgefahren oder über das Überspringen von einer Spezies auf die andere, denn in der Natur gibt es keine intrazerebrale Injektion. Schlimmer noch: Kontrollversuche unterblieben, bei denen man den Versuchstieren gesundes Hirngewebe von Rindern hätte ins Gehirn spritzen und dann ihre Reaktion untersuchen müssen. Lorenzen hat Recht, wenn er den BSE-Forschern ins Stammbuch schreibt, sie hätten geradezu “Unwissenschaft” betrieben.

Was also ist BSE und wie kam es zur massenhaften Ausbreitung dieser Krankheit ausschließlich in Großbritannien? Auch dieser Umstand nämlich geriet immer wieder aus dem Blickfeld. Sievert und Scholz bieten eine Erklärung an, die durch Faktenlage und Forschung außerhalb der institutionellen Bastionen der staatlich geförderten Wissenschaft erhärtet wird – etwa durch den Biochemiker David Brown von der Cambridge University: Großbritanniens Agrarindustrie war ganz besonders auf Effizienz getrimmt, und hat die Rinder auf hohen Milchertrag gezüchtet, was zur Verengung des Genpools geführt haben kann.

Hühnerkot und Nervengift

Hinzu kam eine Kombination von Umweltfaktoren, die in dieser Bündelung nur in Großbritanniens hocheffizienter Landwirtschaft existierte: Eine Eiweißvergiftung wegen Überdosierung von Tier- und Knochenmehl, manganbelasteter Hühnerkot, der zusammen mit Schadstoffen und Restbeständen der Farben- und Chemieindustrie ins Viehfutter wanderte und den Organismus der Kühe beschädigte, dazu das Insektizid Phosmet, ein Nervengift, mit dem britische Rinder in den achtziger Jahren gegen den Schädling Dasselfliege behandelt wurden. BSE ist zudem nicht ansteckend, befiel stets nur einige, genetisch disponierte Tiere in den Herden und endet mit dem Tod des betroffenen Rindes.

Mit Selbstkritik ist nicht zu rechnen

Es drängt sich der Schluss auf, dass die BSE-Krise ein Resultat von verengter, interessengeleiteter Forschung war, die von einem schrillen Chor der Medien begleitet wurde. Darauf reagierte die Politik zunächst mit der Leugnung des Risikos – und folgte dann doch, getrieben vielleicht von schlechtem Gewissen, der Wissenschaft. Die Wissenschaft ihrerseits legte sich früh fest und erklärte ohne hinreichende Evidenz Mutmaßungen und Spekulationen zu Gewissheiten. Journalisten verzichteten darauf, die Thesen der Wissenschaftler zu hinterfragen. Versagt hat hierbei vor allem der Wissenschaftsjournalismus, indem er sich völlig unkritisch die Orthodoxie der Prionenforscher aneignete, ohne deren offenkundige Schwachstellen wahrzunehmen. Die Forderung nach einem “kritischen Journalismus” sahen Medienvertreter erfüllt, wenn sie nur ganz auf die BSE-Apokalypse setzten. So verdanken wir dem wissenschaftlich-medialen Komplex eine “Seuche”, die keine war. Sie brachte Jahre unnötiger Furcht und gravierende Einbußen für die Landwirtschaft, immense Bekämpfungskosten und enorme vergeudete Forschungsmittel, die man sinnvoller hätte einsetzen können. Mit einer offiziellen Korrektur dürfen wir dennoch nicht rechnen. Sie würde die Verantwortlichen in Forschung, Politik und Medien zu dem Geständnis zwingen, gravierende Fehler begangen zu haben.

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