Die Modernisierung des deutschen Modells

Im Vergleich der Länder Europas ist Deutschland wirtschaftlich und sozial ins Hintertreffen geraten. Die deutsche Konzentration auf Industrie und Export statt auf Dienstleistungen und privaten Konsum verlängert die Misere. Eine Agenda für Erneuerung

Der deutsche Kapitalismus hat in jüngster Zeit viel Prügel einstecken müssen. Aus dem ehemals hoch gelobten Modell, das im Ausland Bewunderung hervorrief, wurde in den letzten 15 Jahren die „rote Laterne“ Europas; das Land mit den geringsten Wachstumsraten in der EU, mit einer rasant ansteigenden Verschuldung und hoher Arbeitslosigkeit. Und während sich um uns herum ein Land nach dem anderen erfolgreich der Globalisierung stellte, türmen sich in Deutschland die Probleme.

Das deutsche Modell steckt im Modernisierungsstau. Der Erfolg der siebziger Jahre hat in den Achtzigern die Reformnotwendigkeit zu lange verdeckt. Die Wiedervereinigung hat viele Kräfte dafür gebunden, den neuen Ländern die westdeutschen Regulierungen überzustülpen, anstatt das gesamte Land an die neuen Bedingungen von Globalisierung und Deindustrialisierung anzupassen. Deshalb ist heute eine umfassende Modernisierung erforderlich – sowohl bei der Finanzierung des Sozialstaats als auch bei der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen, der Regulierung des Arbeitsmarktes und im Hinblick auf die konservative Arbeitsteilung in den Familien. Nur mit einer ernsthaft entwickelten Modernisierungsagenda können wir in einem positiven und konstruktiven Sinne an der Debatte über das Europäische Sozialmodell teilhaben.

Wer orientiert sich schon an Erfolglosen?

Es ist nicht verwunderlich, dass bei der Suche nach dem europäischen Sozialmodell die deutsche Variante nicht zu den Favoriten gehört. Wer orientiert sich schon an erfolglosen Vorbildern, noch dazu wenn das deutsche Modell aufgrund niedriger Geburtenraten zu den aussterbenden gehört? Hoch auf der Rangliste sind vielmehr die Länder mit der größten wirtschaftlichen Dynamik und der geringsten Arbeitslosigkeit. Dazu gehören sowohl liberale angelsächsische Modelle wie Großbritannien und Irland, als auch die skandinavischen Länder Dänemark und Schweden. Beide Modelle rangieren jedoch an einander entgegengesetzten Polen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Das skandinavische Modell verfügt über eine hohe Staatsquote, einen ausgeprägten öffentlichen Sektor, umfangreiche sozialpolitische Leistungen des Staates an seine Bürger – und zwar sowohl in Form von Geldleistungen als auch von sozialen Dienstleistungen – und eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Das liberale angelsächsische Modell hingegen baut auf einen kleinen Staatssektor, niedrige Abgaben und Steuern, deregulierte Arbeitsmärkte und mehrheitlich private personenbezogene Dienstleistungen.

Auf dem mittleren Weg in die Sackgasse

Deutschland lag schon immer zwischen diesen beiden Polen und kombinierte verschiedene Elemente der beiden Modelle: Die Beschäftigung im öffentlichen Dienst und die Steuerlast sind eher auf angelsächsischem Niveau. Die beitragsfinanzierten Sozialleistungen gehen jedoch weit darüber hinaus und der Anteil des Sozialbudgets am Bruttosozialprodukt hat skandinavische Dimensionen. Auch in der Arbeitsmarktpolitik orientiert sich Deutschland eher an den skandinavischen Ländern, ohne jedoch eine aktive keynesianische Wirtschaftspolitik zu verfolgen, die für die skandinavischen Länder selbstverständlich war. Der „mittlere Weg“, wie der Heidelberger Politikwissenschaftler Manfred G. Schmidt das deutsche Modell nennt, kombiniert eine restriktive Wirtschaftspolitik, eine strenge Ordnungspolitik und eine starke außenwirtschaftliche Öffnung mit relativ großzügigen Sozialleistungen, die sich am Status der Beschäftigten orientieren.

Darüber hinaus zeichnet sich der deutsche Kapitalismus durch spezifische wirtschaftliche Institutionen aus, die sich von den liberalen und skandinavischen Modellen unterscheiden, jedoch dem skandinavischen Modell näher stehen als dem angelsächsischen. Es sind Institutionen, welche die sozialen Beziehungen zwischen Arbeitnehmern, Managern und Anteilseignern so koordinieren, dass sie Marktmechanismen stabilisieren und Austauschbeziehungen auf eine langfristige Grundlage stellen: Die Kooperation im Betrieb – vermittelt durch die betriebliche Sozialpartnerschaft, ein vergleichsweise rigides Kündigungsschutzrecht und überbetriebliche Tarifverträge – erlaubt und erzwingt eine langfristige Personalpolitik. Das duale Ausbildungssystem – ermöglicht durch die Einbindung der Unternehmen durch Kammern und Verbände wie auch durch tariflich regulierte Löhne – basiert auf einer langfristigen Investition des Betriebes in die Auszubildenden wie auch umgekehrt der Auszubildenden in die betrieblich vermittelte Qualifikation. Langfristige Kapitalbeziehungen zwischen Unternehmen sowie zwischen Unternehmen und Banken werden durch eine geringe Marktkapitalisierung von Unternehmen und das System der Hausbanken gefördert. Die einzelnen Bestandteile des deutschen Kapitalismus stützen sich dabei gegenseitig: Die berufliche Bildung hängt von dem Tarifsystem ab, das wiederum nur im Zusammenspiel mit der betrieblichen Sozialpartnerschaft funktionieren kann.

Den Ton bestimmte die Exportwirtschaft

Der wirtschaftliche Erfolg der deutschen Mittellage zwischen angelsächsischem Liberalismus und skandinavischer Sozialdemokratie beruhte in der Vergangenheit auf einer starken politischen Orientierung an den Bedürfnissen der großen Unternehmen der Exportwirtschaft. Kooperative Beziehungen im Betrieb basierten auf der betrieblichen Mitbestimmung und ermöglichten schmerzlose Rationalisierungsprozesse und die schnelle Einführung neuer Technologien. Umfangreiche sozialpolitische Leistungen für Vorruheständler unterstützten den Prozess der ständigen Erneuerung der exportierenden Unternehmen. Das duale Ausbildungssystem stellte die notwendigen Qualifikationen bereit, die relativ günstig für die Unternehmen mobilisiert werden konnten.

Gewerkschaften akzeptierten vergleichsweise moderate Lohnzuwächse bei hohem Produktivitätsfortschritt. Die Löhne stiegen zwischen 1970 und 2000 inflationsbereinigt um durchschnittlich 2,2 Prozent im Jahr und lagen damit im Mittelfeld der EU (EU 15). Gleichzeitig lag das deutsche Wirtschaftswachstum deutlich über dem Durchschnitt der Euro-Länder. Der überwiegende Teil des Ausbaus des Wohlfahrtsstaates wurde zudem von den Arbeitnehmern selbst finanziert: Zwischen 1970 und 2000 stieg der Beitragssatz zu den Sozialversicherungen um 15 Prozentpunkte. Damit zahlten die Arbeitnehmer pro Jahr einen halben Prozentpunkt zusätzlich für sozialpolitische Ausgaben. Gleichwohl stiegen damit auch die Lohnzusatzkosten für Unternehmen.

Durch die Ausrichtung der Wirtschafts- und Sozialpolitik auf die Bedürfnisse der exportorientierten verarbeitenden Industrie konnten sowohl hohe Exportraten wie auch Marktanteile für Industrieprodukte gesichert werden. Noch immer ist Deutschland das Land in der OECD mit dem mit Abstand höchsten Anteil der Beschäftigten in der verarbeitenden Industrie. Auch wenn wir den Eindruck haben, dass die Industrie seit Jahren mit nichts anderem als dem Abbau von Arbeitsplätzen beschäftigt ist, gibt es im Vergleich bei uns davon noch immer erheblich mehr als in den anderen entwickelten Industrieländern.

Mittlerweile haben sich jedoch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geändert. Die Wiedervereinigung führte zu hohen Belastungen der sozialen Sicherungskassen und der öffentliche Haushalte. Die europäische Währungsunion dämpfte das Wachstum in Deutschland, da sie uns ein relativ höheres reales Zinsniveau als in den boomenden Euro-Ländern bescherte. Und schließlich hat sich die Wachstumsdynamik in den entwickelten Ländern verändert. Während Deutschland früher aufgrund seiner hohen Industrieproduktion zu den Ländern mit hohen Wachstumsraten gehörte, ist die Wachstumsdynamik seit den neunziger Jahren stärker zurückgegangen als in allen anderen Ländern der EU (siehe Tabelle). Heute scheinen diejenigen Länder wirtschaftlich besser abzuschneiden, deren Wirtschaftswachstum nicht auf einer Exportorientierung der Industrie, sondern auf niedrigen Sparquoten, einem starken Konsum und einer hohen Nachfrage im Dienstleistungssektor beruht. Getragen wird der private Konsum dabei sowohl in den angelsächsischen als auch in den skandinavischen Ländern von einem anhaltenden Boom der Immobilienpreise, der den im Vergleich zu Deutschland zahlreicheren Hauseigentümern zusätzlichen Wohlstand verschafft.

Für das deutsche Modell bedeutet dies, dass sich die auf die Bedürfnisse der Industrie zugeschnittenen Regulierungen zunehmend zum Nachteil der deutschen Wirtschaft und der Gesellschaft insgesamt entwickeln. Zwar sind wir noch immer Exportweltmeister und profitieren von der positiven Leistungsbilanz. Allerdings geht in allen Ländern – auch bei uns – der Anteil der Industriebeschäftigten an der Gesamtbeschäftigung zurück. Im Hinblick auf andere Wirtschaftssektoren sind jedoch unsere Institutionen viel weniger geeignet, um auf die Globalisierung und den Strukturwandel in Richtung Dienstleistungsökonomie zu reagieren. Modernisierungsbedarf besteht besonders in den folgenden Bereichen:

Die Steuerfinanzierung von Sozialleistungen. Die Finanzierung von Sozialleistungen beruht zu über 60 Prozent auf Beitragsleistungen der Arbeitnehmer und nur zu knapp 40 Prozent auf öffentlichen Zuschüssen. Damit sind wir heute wieder auf dem Niveau der sechziger Jahre. Von 1960 bis 1990 ging der Anteil der steuerfinanzierten Sozialleistungen zulasten der Sozialkassen von 42 auf 32 Prozent zurück. Die hohe Belastung der Einkommen durch Sozialversicherungsbeiträge macht besonders die Beschäftigung von niedrig qualifizierten Arbeitnehmern zu teuer. Die Umschichtung der Finanzierung der Sozialleistung von Beiträgen auf Steuermitteln, wie sie mittlerweile von allen Parteien befürwortet wird, bleibt daher von hoher Bedeutung. Ob dies durch einen Bundeszuschuss zu bestehenden Versicherungssystemen oder durch andere Formen der Bereitstellung sozialpolitischer Leistungen erfolgen kann, ist eine Debatte wert.

Die Umstellung von Transferleistungen auf Dienstleistungen. Das der Sozialversicherung noch immer innewohnende Versicherungsprinzip und die Zuordnung von Versicherungsbeiträgen zu spezifischen Versicherungsrisiken verhindern die Umstellung von Transferleistungen (Rente, Arbeitslosengeld) auf die Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen. Der soziale Dienstleistungssektor ist in Skandinavien nicht nur ein wichtiger Arbeitgeber, besonders für Frauen, sondern unterstützt auch berufstätige Mütter durch Kinderbetreuungseinrichtungen. In Deutschland wird die Lage zudem dadurch erschwert, dass die Zuständigkeiten für die Kinderbetreuung und Bildung sowie für Transfer- und Sozialversicherungsleistungen zwischen Ländern, Kommunen und dem Bund aufgeteilt sind. Für den Ausbau sozialer Dienstleistungen besteht somit eine doppelte Bremse: Die Finanzierung durch Sozialversicherungsbeiträge und die Zuständigkeit der finanzschwachen Länder. Die anstehende Reform des Föderalismus sollte diesen Aspekt berücksichtigen.

Mehr Durchlässigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Stark umstritten ist die Erhöhung der Durchlässigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Der deutsche Arbeitsmarkt ist stärker als andere Arbeitsmärkte segmentiert. Langzeitarbeitslosigkeit und die Arbeitslosigkeit Älterer sind stärker ausgeprägt als anderswo. In den letzten Jahren wurde diese Segmentierung mittels Maßnahmen wie Mini- und Midi-Jobs, die Ausweitung von Befristungen und den reduzierten Kündigungsschutz für Ältere noch weiter verstärkt. Wir wissen mittlerweile, dass eine starke allgemeine Regulierung des Arbeitsmarktes mit Öffnungen für einzelne Gruppen nicht die Arbeitslosigkeit per se erhöht, wie auch eine Deregulierung nicht zu mehr Jobs führt. Allerdings beeinflusst diese Art der Regulierung die Zusammensetzung der Arbeitslosen und die Dauer der Arbeitslosigkeit.

Die Schwächeren finden keinen Einstieg

In Ländern mit starker Arbeitsmarktregulierung haben es die schwächeren Teilnehmer – die Jungen und die Frauen, die Älteren und die Geringqualifizierten – besonders schwer, eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. Die vom Arbeitsmarkt Ausgegrenzten sind in diesen Ländern stärker ausgegrenzt als in Ländern mit flexiblem Arbeitsmarkt. Die zum Kern gehörenden Beschäftigten – die Arbeiter bei DaimlerChrysler zum Beispiel – werden sozusagen zu Lasten der Außenseiter vor Arbeitslosigkeit geschützt und bestenfalls in den Vorruhestand entlassen. Wir wissen zudem, dass die Idee der Einsteigerjobs sich empirisch nicht belegen lässt. Es gibt kaum Umsteiger von Mini-Jobs geschweige denn von Ein-Euro-Jobs in den ersten Arbeitsmarkt. Diese Art der Segmentierung des Arbeitsmarktes macht den Strukturwandel nicht nur teuer, sondern diskriminiert dazu systematisch bestimmte Bevölkerungsgruppen. Erforderlich ist vielmehr eine Bereinigung des Kündigungsrechts von Rechtsunsicherheiten durch Abfindungsregelungen.

Weniger Beruflichkeit im Ausbildungssystem. Während das duale System noch immer der Garant für eine relativ niedrige Jugendarbeitslosigkeit ist, hat die starke berufliche Identität der Facharbeiter in der Dienstleistungsökonomie auch Nachteile. Zwar ist die Mehrheit der Ausbildungen des dualen Systems noch immer hochwertig und vermittelt sehr fachspezifische Fähigkeiten. Allerdings sind aufgrund dieser sehr fachspezifischen Orientierungen die Übergänge zwischen einzelnen fachlichen Ausbildungen nicht durchlässig. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer bevorzugen spezifische gegenüber allgemeinen Qualifikationen, die besonders im Hinblick auf kommunikative und soziale Fähigkeiten systematisch unterbewertet werden. In Dienstleistungssektoren kommt es jedoch verstärkt auf allgemeine kommunikative Fähigkeiten an. Der Übergang vom gelernten Installateur zum Fachverkäufer in einem Heimwerkermarkt fällt vielen Arbeitsuchenden noch schwer, weil sie auf diese Art der Tätigkeit nicht vorbereitet sind.

Modernisierung des Familienbilds. Dem traditionellen deutschen Modell liegt ein konservatives Familienbild zugrunde. Männliche Facharbeiter erhalten einen Familienlohn, während die Beschäftigung von Müttern aufgrund der schlechten Kinderbetreuung auf den Zuverdienst in Teilzeitjobs begrenzt bleibt. Diese familiäre und gesellschaftliche Arbeitsteilung wird von Frauen zunehmend abgelehnt. Qualifizierte Frauen sind nicht mehr bereit, auf interessante Beschäftigung zu verzichten und bleiben eher kinderlos, als sich in die Teilzeitsackgasse drängen zu lassen. Gleichzeitig ist die Vollzeitbeschäftigung von Müttern in den meisten Fällen nicht nur durch fehlende Kinderbetreuung erschwert, sondern auch durch steuerliche Anreize wie das Ehegattensplitting sowie durch konservative Vorurteile über Kindererziehung und die Leistungsbereitschaft von Müttern, die sich sowohl in den Familien selbst als auch bei Arbeitgebern und Kollegen finden lassen. An diesen Vorurteilen liegt es auch, dass selbst kinderlose Frauen in Deutschland seltener in führenden Positionen vertreten sind als in Ländern mit hoher Geburten- und Partizipationsrate von Frauen. Eine gleichberechtigte Teilhabe von Müttern auf dem Arbeitsmarkt würde allen Frauen nützen, nicht nur den Müttern. Sie erfordert bei allen Beteiligten die Modernisierung der Einstellung. Dabei geht es nicht darum, Teilzeitbeschäftigungen zurückzudrängen, sondern sie nicht länger als minderwertige Beschäftigung zu diskriminieren. Zudem wären Teilzeitstellen auch für Männer attraktiver, wenn sie keine Karrierekiller mehr wären.

Qualifikation und Durchlässigkeit

Die Hebel für eine Modernisierung des deutschen Modells sind damit genannt: Die Finanzierungsstrukturen der Sozialleistungen, die Klärung der Zuständigkeit für soziale Dienstleistungen im Rahmen der Reform des Föderalismus, weniger Regulierungen für alle Bereiche des Arbeitsmarktes statt immer mehr Ausnahmetatbestände für einzelne Gruppen, mehr allgemeine als berufliche Qualifikationen im dualen System und eine aktive Bekämpfung der Diskriminierung von berufstätigen Müttern. Wie beim traditionellen deutschen Modell hängen auch hier die einzelnen Elemente systematisch miteinander zusammen: Der Ausbau sozialer Dienstleistungen hilft der Beschäftigung von Frauen; ein durchlässigerer Arbeitsmarkt und die höhere Wahrscheinlichkeit, nach Arbeitsplatzverlust wieder in Arbeit zu kommen, stärkt den privaten Konsum; eine breitere Qualifikation durch das duale System erhöht die Flexibilität von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, auch in qualifikationsfremden Bereichen nach Arbeit zu suchen und sie anzunehmen.

Warum Frauen die Gewerkschaften meiden

Eine Modernisierungsoffensive des deutschen Modells würde zudem die im traditionellen Modell innewohnenden konservativen Elemente thematisieren und dessen verborgene Vorurteile offen legen. Die Verteidiger des deutschen Modells, besonders die Gewerkschaften, übersehen geflissentlich, dass in den wirtschaftlichen Institutionen und Regulierungen des Arbeitsmarktes eine konservative und auch diskriminierende Grundhaltung der deutschen Gesellschaft gegenüber Frauen, Älteren und Nichtdeutschen verankert ist. Die Betroffenen haben dies jedoch längst bemerkt. Im Unterschied zu den skandinavischen Gewerkschaften, die mittlerweile mehrheitlich weiblich sind, fokussiert sich die Mitgliedschaft der deutschen Gewerkschaften nach wie vor auf den männlichen Arbeiter. Zwar ist mittlerweile die Hälfte der Arbeitnehmer in Deutschland weiblich, aber nur 30 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder und 23 Prozent der Betriebsräte.

In entwickelten Industrieländern hat Wachstum, so scheint es, etwas mit Modernisierung, dem Konsum von privaten und sozialen Dienstleistungen, der Partizipation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und einer wirtschaftlich aktiven Gesellschaft zu tun. Ein Rückzug in die Vergangenheit der Industriegesellschaft mit aktiven hoch qualifizierten Facharbeitern und geringfügig beschäftigten Müttern ist schon allein aus Gründen einer notwendigen wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik immer weniger möglich. Zum Glück.

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