Die Einsicht des Profis: Peter Strucks Theorie der Führung und Erziehung



Führung ist die eine Sache. Sie funktioniert nicht immer. Jeder, der eine größere Gruppe von Menschen führen muss, weiß, dass auch Erziehung dazu gehört. Sonst klappt keine Führung, ganz Unerzogene neigen zur Anarchie. Und die ist den rot-grünen Zeiten nicht gemäß.

Das ist unbestritten. Führung und Erziehung hängen zusammen, die Frage ist nur, wie. Wer das nicht genau weiß, muss das Problem wenigstens anspruchsvoll beschreiben. Das ist üblich, damit die Unsicherheit nicht so offensichtlich wird. Komplex und interdependent seien Führung und Erziehung sagen die einen. Von einer dialektischen Beziehung reden andere.

Weil Führung notwendig ist, aber bei Chaoten versagt, ist es kein Wunder, dass sich Peter Struck nicht erst in den letzten Wochen grundsätzlich, intensiv und schriftlich mit diesem Komplex befasst hat. Führung und Erziehung haben nach seiner Auffassung ein Ziel: "Die Balance aus Fallen und Aufrichten ist das Kunststück des Gehens im vordergründigen Sinne, aber auch des Zurechtkommens im Leben im tieferen Sinne. Lebenstüchtigkeit ist nicht ohne Welt- und Handlungserfahrungen, ohne Fehlermachen und ohne Grundschritte zu erlangen." Wobei man "Lebenstüchtigkeit" auch durch "Regierungsfähigkeit" ersetzen kann.

Es gibt im Leben meist einen Koalitionspartner. Auch mit diesem muss umgegangen werden: "Jedenfalls bringt das Durchhalten auf Dauer und bezogen auf statistische Wahrscheinlichkeiten größere Erfolge als permanente Trennungen und Neuanfänge, die mehr kaputt machen, als sie alternativ wieder aufzubauen vermögen." So koalitionstreu ist er also doch.

Und ein klein wenig selbstkritisch klingt: "Fehler sind etwas Gutes, sie sind für Kinder, aber auch für das Lernen notwendig. Über Fehler lernt man schneller und langanhaltender als über Vorbilder oder Erfolge."

Und - das wird meine Fraktionskollegen interessieren - es geht nicht immer nur mit Druck: "Aber wer ... dressieren oder immer nur zwingen will, arbeitet ja ohne ihre Zustimmung. Er macht sich dann durchweg nicht die Mühe, sie mit Argumenten von der Notwendigkeit derjenigen Leistungen und Verhaltensweisen vorsichtig zu überzeugen, die er erwartet." Klingt alles gut und sehr aktuell, da werden sich manche freuen.

Peter Struck überlegt auch wahlstrategisch: "Bindungen ergeben sich nicht von selbst, und sie sind fast nie für immer da. Sie sind eine soziale Leistung; sie müssen erkämpft, kultiviert und immer variiert werden ... Bindungen sind nichts statisches; sie funktionieren nur, wenn sie als dynamische Wandlungsprozesse in der Weise gepflegt werden, dass man bereit ist, jeden Tag wieder mit neuen Chancen von vorne anzufangen."

Also: Wahlkampf ist immer, und der Wähler ist ein scheues Wesen. Die Einsicht des Profis. Aber zurück zur Führung: "Ohne lange und wiederholte Gespräche, ohne eine kompromissbereite Akzeptanz auf beiden Seiten und ohne Bemühen, neue Konflikte als Folge einer Vereinbarung zu vermeiden, gehen Erwartungskrisen nur selten auf beiden Seiten schadlos aus. Wenn Erwartungskonflikte aber mit einer Übereinkunft gelöst sind, dann ist allerdings auch Konsequenz angesagt ..." Gilt das nur gegenüber der Fraktion oder auch gegenüber der Regierung? Wohl beides, wie wir ihn kennen.

Schließlich: "Jede Erziehung dient dem Zweck, dass sich der Erzieher nach und nach überflüssig macht." Das klingt echt utopisch und ziemlich unsozialdemokratisch. Ernst gemeint, lieber Peter? Ich kenne uns doch. Wir brauchen einen Vorsitzenden.

Die Zitate sind den Büchern "Die Kunst der Erziehung" und "Zuschlagen, zerstören, selbst zerstören" von Peter Struck entnommen. Peter Struck ist Pädagoge in Hamburg. Ich bin aber sicher, dass das alles in Niedersachsen und von Niedersachsen genauso gesehen wird.

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