Der Vorhang zu. Und alle Fragen offen.

Über Michael Naumanns Abgang aus der Politik

Plötzlicher Abgang. Im Stück nicht vorgesehen. Irritiertes Publikum. Der Vorhang fällt. Unruhe. Dann doch anschwellender Applaus, länger anhaltend, nur vereinzelt Buhrufe von den teuren Plätzen. Die Zwangspause währt nur kurz, nicht mal eine Zigarettenlänge. Schon steht der Neue auf der Bühne. So fesch wie der Vorgänger, aber größer, na ja, länger zumindest. Ungläubiges Staunen. Wo hat es das schon gegeben: Der Hauptdarsteller verlässt vor Beendigung des letzten Aktes die Bühne - und wird ausgewechselt? Als ob man es geahnt hätte: Die Politik ist eben nur bedingt mit dem Theater vergleichbar. Vielleicht eher doch mit dem Fußball. Da wird regelmäßig vor und nach der Halbzeit ausgewechselt, was das Zeug hält.

Wie dem auch sei, die Kulturpolitik hat ein interessantes Gesicht und eine klare Stimme verloren. Michael Naumann verabschiedet sich als Politiker mit einem ordentlichen Theaterdonner. Der Erklärungsversuche gab es viele. Es bleiben Ratlosigkeit, auch Enttäuschung. Geht da doch jemand, der allemal etwas vorzuweisen hat. Der von Rot-Grün versprochene kulturpolitische Aufbruch in unserem Land ist gelungen. Das ist maßgeblich sein Verdienst. Bestimmt hätte er deshalb auch mehr verdient, aber öffentliche Ämter stecken fest in diversen Besoldungsordnungen. Naumann verlässt eine Baustelle. Viele Projekte sind nur als Skizzen vorhanden, wabern als Ideengespinste durch den Berliner Politikbetrieb. Wer Erfolge etablieren möchte, braucht einen langen Atem. Aufbruch ist gut, dessen Sicherung in einer langfristigen Perspektive wäre besser. Litt Michael Naumann also unter politischer Kurzatmigkeit?

Dass gerade die Sozialdemokratie die Kulturpolitik auf Bundesebene neu verortet, hätten ihr viele nicht zugetraut. Das Reden und Tun in der Kultur ist eben doch noch all zu oft eine eher bürgerliche Angelegenheit - trotz Hilmar Hoffmann und Hermann Glaser. Mit Michael Naumann hat die SPD ihren Anspruch bekundet, die Kulturpolitik des Bundes transparenter und öffentlicher zu gestalten. Eben auch ein Stückchen mehr Demokratie zu wagen! Was früher von unbekannten Ministerialbeamten und einem für seinen Kunstgeschmack wenig bekannten Kanzler in bürokratischen Hinterstübchen angerichtet wurde, fand endlich ein öffentliches Forum: In einem Beauftragten für die Angelegenheiten der Kultur und der Medien sowie einem entsprechenden Bundestagsausschuss.

Dabei glänzte der Sozialdemokrat Naumann nicht als linker Bürgerschreck. Auch wenn er die in Tradition erstarrten Bayreuther Festspiele kritisierte oder die Bad Hersfelder Festspiele als Lachnummer der Feuilletons verunglimpfte, wußte er um die Bedeutung so genannter Hochkultur - vor allem und gerade für das noch Abseitige und nicht Etablierte. Im Schatten hoch dotierter Kulturtempel wachsen und gedeihen häufig Pflänzchen der kulturellen Avantgarde. Aber eine emanzipierte, auf demokratische Teilhabe aller setzende Gesellschaft braucht Kultur. Ist sie doch bisweilen die schönste und spannendste Form der gesellschaftlichen Verständigung. Naumann sah sich als ein Promotor für die Kultur der Freiheit, die auf den Widerspruch und den kritischen Dialog setzt. Er war nie ein Mann der leisen Worte, des bedächtigen "Sowohl-als-auch". Etabliertes regelmäßig in Frage zu stellen, war für ihn kein Selbstzweck. Nur so konnte Traditionelles gesichert und Neues ermöglicht werden. Das erzeugt Gegnerschaft. Zumal er nicht als engstirniger Kulturbuchhalter, sondern stets als smarter, kluger Geist daherkam. Macht kann doch erotisch sein.

Bisweilen stürzte er sich allzu heftig in das weite Feld der nicht immer schönen Künste, die er sich zu beackern vorgenommen hatte. Das irritierte, verletzte bisweilen auch. So würdigte er kaum die mehr als zehn Jahre währende Debatte um ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas und verprellte schon vor Amtsantritt mit seiner anfänglich schroffen Ablehnung viele Mitstreiter. Gleichwohl griff er mit seinem Vorschlag eines Hauses der Erinnerung mannigfaltige Bedenken gegen das Eisenmansche Stelenfeld konstruktiv auf: Dem Holocaust vermag man durch ästhetische Monumentalität allein nicht zu begegnen. Dem Judenmord in seiner unbegreiflichen Monströsität muss ein Gesicht gegeben werden. Ohne Naumanns Beiträge wäre der Parlamentsbeschluss nach langen und heftigen Konflikten wohl nicht zustande gekommen. Das Denkmal wird gebaut. Aber eben auch ein - wenn auch bescheiden konzipiertes - Informationszentrum.

Seine Fraktion machte es ihm nie besonders leicht. Er selbst sah sich gelegentlich als Nelke im Knopfloch der sozialdemokratischen Regierungsfraktion missverstanden. Und wo Ökosteuer, 630-Mark-Gesetz und Rente mehr als genug Ärger verursachen, meinten andere, möge Ruhe an der kulturpolitischen Front herrschen. Mitnichten. Für Unruhe sorgte regelmäßig die sozialdemokratische Kulturausschussvorsitzende Elke Leonhardt. Sie schlug unablässig - begleitet vom Applaus der Opposition - auf die Naumannsche Achillesferse ein: Die Untiefen und Widrigkeiten des politischen Geschäftes waren ihm als Greenhorn eher fremd. Und um gleich mit einer Mär aufzuräumen: Nicht Naumann sie, sondern Leonhardt selbst katapultierte sich ins Abseits. Die Fraktion war ihrer Eigenmächtigkeiten endgültig überdrüssig geworden.

Die Kabalen legten weniger die Defizite Naumanns als die der sozialdemokratischen Kulturpolitik bloß. Naumann war ja von seiner ganzen Vita her nie unpolitisch, nur stand er dem klassischen Politikbetrieb völlig fern. Das hätten die selbst ernannten SPD-Granden der Kulturpolitik eben als Stärke, nicht als Schwäche öffentlich prononcierter darstellen müssen. Schließlich hatte ihn der Kanzler nicht als routinierten Politfunktionär, sondern als kreativen Kulturkopf ins Amt geholt. Kulturpolitik braucht die kritische Reflexion der Tradition und die mutige Suche nach neuen Wegen. In diesem Spannungsverhältnis hat Naumann durchaus erfolgreich gewirkt.

Mit Leidenschaft stritt er für das Buch als Kulturgut und setzte die Buchpreisbindung bei der EU-Kommission durch. Das sollten ihm Tausende von Buchhändlern und Millionen von Lesern nicht vergessen. Ebenso engagiert setzte er sich ein für die Wiederbelebung der Stiftungskultur in Deutschland. Der Einstieg in die grundlegende Reform des Stiftungsrechtes ist mit dem steuerrechtlichen Schritt geglückt. Während Helmut Kohl der Klientel der Vertriebenen immer neue Millionen für deren kulturelle Aktivitäten zuschusterte und damit überholte Strukturen zementierte, setzte Naumann auch hier auf Reformen. Von den Vertriebenenorganisationen wird statt rückwärts gewandter Traditionspflege ein zukunftsweisender Beitrag für Verständigung und Aussöhnung erwartet. Das stieß bei den Betroffenen auf ebenso massive Kritik wie die von ihm eingeforderten notwendigen Veränderungen bei der Deutschen Welle. Immerhin verschlingt der deutsche Auslandssender rund 600 Millionen Mark jährlich aus dem Bundeshaushalt. Dass alle Kulturpolitik vom Erinnern handelt, wurde zu einem geflügelten Wort des Staatsministers. Erstmalig bekräftigte der Bund seine Verpflichtung für die Erinnerungskultur in der gesamten Republik. Ausgehend von der verstetigten Förderung der Mahn- und Gedenkstätten in Ostdeutschland werden zukünftig auch Einrichtungen der Erinnerungskultur in den westdeutschen Ländern gefördert. Der Bund versteht sich bei dieser kulturpolitisch zentralen Aufgabe als Partner der Länder.

Um so lächerlicher mutet daher die schrille Kritik der Landesfürsten an Naumanns Forderung nach einer föderalen Neubesinnung der Kulturpolitik an. Allein die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache und strafen all diejenigen Lüge, die dem Bund einen kulturpolitischen Zentralismus zu unterstellen nicht müde werden. Während der Kulturetat des Bundes nur 1,65 Milliarden Mark zuzüglich 1,1 Milliarden Mark für die Auswärtige Kulturpolitik veranschlagt, fördern Länder und Kommunen kulturelle Belange mit insgesamt rund 20 Milliarden Mark. Bundeskulturpolitik vermag sich nur als Partner der Länderkulturpolitiken in Ergänzung ihrer vielfältigen Aktivitäten zu sehen. Unverständlich daher die Nörgelei auch seitens sozialdemokratischer Landespolitiker an dem selbstbewussten Auftreten des Bundeskulturbeauftragten. Ganz unbescheiden bleibt doch festzustellen, dass Michael Naumann der Kulturpolitik auf allen Ebenen zu einem profilierteren Auftritt verholfen hat. Oder kennt die interessierte Öffentlichkeit irgend einen sozialdemokratischen Landeskulturminister? Wer von ihnen macht durch Aufsehen erregende Projekte auf sich und seine Arbeit aufmerksam? Wird nicht gerade in Nordrhein-Westfalen, dem Stammland des föderalen Selbstbewußtseins der SPD, das Kulturressort wie ein Wanderpokal seit Jahren von einem Ministerium zum anderen weitergereicht?

Überhaupt greifen die Länder dem Bund gerne in die Taschen. Bayerns Kulturminister Zehtmaier verschweigt gerne, dass sein Freistaat zu den meistbegünstigten Empfängern finanzieller Wohltaten der Bundeskulturförderung gehört. Wie abstrus die Debatte bisweilen ist, erweist sich an der so genannten Hauptstadtkulturförderung. Sie ist auch für die Freundinnen und Freunde Berlins ein Ärgernis. Die Ansprüche der Berliner Landespolitik changieren zwischen unverschämter Großmannssucht und nervender Larmoyanz. Zurecht fördert der Bund mit rund 400 Millionen Mark jährlich kulturelle Aktivitäten in der Bundeshauptstadt. Das soll auch so bleiben. Gleichwohl kann es nicht angehen, dass finanzielle und strukturelle Defizite unablässig durch Forderungen nach weiteren Wohltaten durch den Bund behoben werden sollen. Berlin leidet nicht nur an Geldmangel, sondern auch an der fehlenden Bereitschaft, notwendige Strukturreformen anzugehen. Zuvörderst muss das Land Berlin für sich klären, was ihm die Kultur wert ist. Die Beantwortung dieser für den Stadtstaat wichtigen Frage darf ihm der Bund nicht abnehmen. So richtig es von Naumann war, durch die vollständige Übernahme von Berliner Kulturinstitutionen Klarheit zu schaffen, so falsch war es, dem Drängen des Kanzlers zu folgen und 3,5 Millionen Mark für die Berliner Staatskapelle zusätzlich in den Fördertopf zu werfen. Man mag Daniel Barenboim in Berlin gehalten und damit ein wichtiges Zeichen gesetzt haben. Langfristig jedoch wurde der Hauptstadtkulturförderung dadurch ein Bärendienst erwiesen. Der Bund darf nun einmal nicht in überlebensnotwendige Strukturdebatten der Berliner Kultureinrichtungen einseitig eingreifen!

Die Begrenzungen des Naumannschen Aktionsradius‘ durch die Begehrlichkeiten seiner Kabinettskolleginnen und -kollegen zeigten sich vor allem beim Gestalten eines zukunftsweisenden ordnungspolitischen Rahmens für die Kultur in der Bundesrepublik. Während die Reform der Künstlersozialkasse beim Arbeitsminister ressortiert, verantworten das Justiz- und das Finanzministerium federführend Fragen der Ausstellungsvergütung und des Urheberrechtes. Zu wenig wurde deutlich, dass die Verbesserung der sozialen Lage von Künstlerinnen und Künstlern eine zentrale Aufgabe sozialdemokratischer Kulturpolitik ist. Hier vor allem ist der Nachfolger gefragt, dem man nur wünschen kann, nicht von den Eifersüchteleien anderer Ressorts erdrückt zu werden.


Michael Naumann weiß selbst am Besten, dass er seine Rolle als Medienminister engagierter hätte spielen müssen. Die kulturpolitische Dimension der Medien, insbesondere in den modernen Informations- und Kommunikationstechnologien ist zu wenig deutlich geworden. Es geht nicht nur um ökonomische Prozesse der Globalisierung. Auch die Zukunft des öffentlichen Rundfunks kann in einem zunehmend europäisierten Markt nicht allein von den Bundesländern gestaltet werden. Hier steht möglicherweise neuer politischer Ärger zwischen Bund und Ländern ins Haus.

Welchem Minister kann schon bei seinem Ausscheiden der Beifall des gesamten Hauses gewiss sein? Wenngleich die auch in den Oppositionsfraktionen kleinen Häuflein der kulturpolitisch Aktiven sich gern in substanzloser Wadenbeißerpolitik gefielen, zollten auch sie dem Aussteiger Respekt und Anerkennung. Möglicherweise ahnt die Opposition, wen auch sie da verloren hat. Schließlich kann eine Preisgabe der von Naumann und seinem Team mühevoll aufgebauten Strukturen nicht im ernsthaften Interesse von Kulturpolitikerinnen und -politikern liegen - ganz unabhängig von ihrer parteipolitischen Zugehörigkeit!

In einem Interview mit der Berliner Republik erteilte Naumann unlängst dem politischen Heros ein klare Absage, weil das Heldentum überholt und für den demokratischen Prozess untauglich sei. Unheldenhaft war es trotzdem nicht, sich für einen emanzipatorischen, vielfältigen und demokratischen Ansatz in der Kulturpolitik eingesetzt zu haben. Verdienstvoll war sein Wirken gerade als so genannter Seiteneinsteiger, dem sich in aller Schonungslosigkeit die Abgründe des Berufspolitikerdaseins zeigten: Die Erosion zeitlicher und persönlicher Autonomie sowie die zum Teil brutale Preisgabe des Privaten machen auch vor einem Minister für Kultur nicht halt. Die Nächte taugen eben nur bedingt fürs Aktenstudium. Vielleicht mag auch dies ihn dazu bewogen haben, früher als von all seinen Mitstreitern erwartet, ernüchtert die Segel zu streichen. Die Berliner Bühne hat einen glänzenden Darsteller verloren. Der Journalismus hat hoffentlich einen kenntnisreichen Sympathisanten des Parlamentarismus gewonnen. Da hat sich einer aus dem Staub gemacht, dem man noch eine ganze Menge zugetraut hätte. Er wird der Politik fehlen. Und so schauen wir betroffen den Vorhang zu. Und alle Fragen offen.

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