Der Schnaps der späten Stunde

Wie eine Nacht in Peine mit Hassan, Darts und Raki doch noch anständig lang wurde

Wer in Peine abends ausgeht, muss sich beeilen. Um zwei Uhr sind alle Schotten dicht. Nach 18 Uhr leert sich die Fußgängerzone und die Peiner Szene konzentriert sich auf den "Alten Markt" und den "Hagenmarkt". Kein kompliziertes Nachtbussystem oder lange Taxifahrten behindern den Wechsel von Lokal zu Lokal. Alles ist zu Fuß erreichbar. Unser Plan, das Nachtleben der niedersächsischen Kleinstadt zu erkunden, löst mitleidiges Schmunzeln aus: Anna geht in Braunschweig aus, Andreas in Hannover. Nur Exoten erkunden die Provinz.


Zur Stärkung folgen wir einer Empfehlung von Insidern, und gehen in die Wurstapotheke. Ein "Peiner Lümmel" (Currypommes) weckt Heimweh nach Berlin und kostet 4,60 Euro. Das übrige Angebot ist gut und frisch zubereitet - aber nicht günstig. Fehlende Konkurrenz macht sich auch beim Dönerpreis (3 Euro) im Grill-Snack bemerkbar. Während wir in der Imbissbude warten, lächelt uns der lokale SPD-Kandidat vom Plakat im Innenraum wohlwollend zu. Gleich schmeckt alles noch besser.


Einzige Cocktail-Bar ist das 1827 am alten Markt. Dort gibt es bis Mitternacht zwei Cocktails zum Preis von einem. Dienstags wird die Bar auf die Weise voll - Jung und Nicht-ganz-so-jung sitzen auf dem Markt und laden sich gegenseitig ein. Zwischen 5,50 für den Caipirinha und 10 Euro für den Long Island Ice Tea müssen investiert werden; die Qualität der Drinks fällt je nach Laune des Barkeepers unterschiedlich aus.


Gern würde das Cafe Capriccio am Hagenmarkt Konkurrenz machen. Allein, dem Wirt fehlt ein Barkeeper. "Wo soll man so einen in Peine finden?", klagt er. Wenn der Chef selbst Hand anlegt, dauert es etwas länger, bis alle Zutaten zusammen sind. Doch der Pina-Colada mundet. Im Übrigen bleibt man bei Caipi oder Tequila Sunrise. Das Café erinnert an ein traditionelles Kaffeehaus, das Interieur vermittelt italienisches Flair - mitten in Peine!

Wo das künftige Urgestein fit gemacht wurde

Wir treten wieder hinaus in die laue Nacht, folgen dem Licht gegenüber und betreten die Insel. Die Insel erinnert an eine Hafenkneipe. Am Eingang prangt das Schild der Norddeutschen Lloyd, von der Decke hängt ein verstaubter Fischkutter. Auch das Buddelschiff vermittelt maritimes Flair. Der Kapitän ist weiblich, heißt Rita und kennt die Gäste beim Namen. Dass Rita von der weiten Welt träumt, belegen die vielen internationalen Geldscheine an der Wand. Vom Peiner Nachtleben hat Rita nicht viel: "Ich muss ja jeden Abend hier arbeiten." Dafür gibt sie den Gästen (ab 35 Jahren aufwärts) eine Heimat.


Auch wir fühlen uns wohl. Die Musik ist erstaunlich abwechslungsreich - es gibt gute Coverversionen alter Rockballaden und NDW - und wird von Rita auf einem eindrucksvoll geschnitztem Schrank hinter dem Tresen selbst gemischt. Rita erzählt von angehenden sozialdemokratischen Urgesteinen, die in dieser Kneipe für die neue Hauptstadt und ihr Umland fit gemacht wurden. Am Tresen können sich die Gäste bei hohem Biergang an einer Reeling festhalten. Das machen sie auch, aber nebenbei nehmen die Peiner Stadtmatrosen Kurs auf unsere weibliche Begleitung: "Ich hab ne Werkstatt, du kannst mit Deinem Wagen gern bei mir vorbeikommen."


Nebenan liegt das Mephisto. Hier trifft sich die Jugend. Der Laden besticht durch gute Pizza (5 bis 8 Euro) und Tische, die wie geschaffen sind für bierselige Runden. Einen halben Liter Peiner Härke Pils gibt es für 2,60 Euro. Das Junge Wahlkampfteam der SPD hat den Laden zu seinem Treffpunkt erklärt, und auch sonst geht es hier aufgeschlossen zu.


Die Garage nennt sich "Disco-Kneipe-Treff". Das stimmt bedenklich. Hinter dem Eingang spielen vier Leute Billard. Im großen Fenster hängt das an Orten wie diesem unvermeidliche "Route 66"-Schild. Schwarzlicht und Discokugel deuten darauf hin, dass hier auch getanzt werden könnte. Könnte! Am Tisch in einer dunklen Ecke sitzen Gestalten mit Armeewesten. Vor dem Tresen trifft sich der Rest der insgesamt acht Gäste. Ttom, der Wirt, heißt im Ernst so und sieht aus, als käme er tatsächlich gerade aus der Garage. In Jeans und Rippshirt steht er mit einer Becksflasche in der Hand hinter der Theke und raucht "Drehstoff". Als wir zu den Typen in den Armeeklamotten hinüber lugen, beruhigt uns Ttom. Seine Gäste und er wählen PDS - und zwar straight ticket, mit Erst- und Zweitstimme. Früher habe er Grün gewählt, heute betreibt er "die einzige linksalternative Kneipe in Peine". Ökofutter gibt es hier deshalb noch lange nicht: Die Spezialität des Hauses heißt "Chemosnack", ein Baguette aus dem Tiefkühler. Dafür riecht das Klo, wie ein ordentliches linkes Szeneklo wohl immer und überall riechen muss.


Krönender Abschluss des Abends sollte die Discothek Chillies werden, der einzige Club in Peine, wie man uns versichert hatte. Doch gegen halb eins waren die Türen schon zu. So schnell wollen wir uns nicht geschlagen geben. Etwas weiter leuchtet noch das Schild der Kleinen Kneipe. Die Barkhocker sind leer und der Wirt steht allein hinter seinem raumfüllenden Tresen. Er trägt eine interessante Vokuhila-frisur, die ihm nicht einmal schlecht steht; das krause, türkische Haupthaar macht es möglich - wobei sich Hassan eher als Kurde denn als Türke sieht.

Hassan hätte auch ohne Gäste durchgehalten

Wir bestellen und kommen schnell ins Gespräch. Den Wodka-Lemon serviert Hassan ohne Kohlensäure, und so wird Raki zum Schnaps der späten Stunde. Auch Hassan, tagsüber Kontrolleur bei der Deutschen Bahn, trinkt jetzt gerne einen mit. Auf die Frage, ob es in Peine Probleme mit Schutzgeldern gebe, lächelt er nur verschwiegen. Wenn die Jukebox "Firebird" (ein Euro für fünf Titel) angeht, stellt Hassan das RTL-Nachtjournal leiser. Wenn arabische Titel laufen, dreht er den Fernseher fast ganz runter. Wir entschließen uns, gemeinsam Darts zu spielen. Hassan gewinnt, denn Übung macht den Meister. Zwischendurch trinken wir weiter Raki. Hassan hätte auch ohne Gäste bis zwei Uhr durchgehalten. Am nächsten Tag erfahren wir von erfahrenen Peinern, dass in die Kleine Kneipe nun wirklich keiner reingeht. Schade eigentlich, wir hatten eine nette Nacht - mit Darts und Raki. Und mit Hassan.

wurstpotheke - Am Markt
mephisto - Am Hagenmarkt
kleine kneipe - Marktstr. 18
garage - Pulverturmwall 68
café capriccio - Goethestr. 2
die insel - Am Hagenmarkt
1827 - Markt
grillsnack - Am Hagenmarkt

zurück zur Ausgabe