Der Einsatzleiter grüßte mich vom Pferd herab

Die Studentenbewegung hat gesellschaftliche Veränderungen bewirkt - aber glücklicherweise nicht jene, die ihre radikalsten Repräsentanten forderten. Wie es vor 40 Jahren rund um die Universität von Frankfurt am Main zuging, teilnehmend beobachtet

Berlin und Frankfurt waren die beiden Zentren der Studentenbewegung von 1968. Aber anders als im geteilten Berlin gab es in Frankfurt und im Parteibezirk Hessen-Süd zu Beginn der außerparlamentarischen Opposition breite Mehrheiten in der SPD und in den Gewerkschaften, die der Politisierung der Studentenschaft offen und sogar mit Sympathie begegneten.

In Frankfurt residierte der Hauptvorstand der IG Metall, ein Zentrum der gewerkschaftlichen Linken. In der Frankfurter SPD dominierte der linke Flügel der Sozialdemokratie. Dieser knüpfte personell und ideologisch an die linken Positionen der Weimarer Zeit an, die – wie Rosa Luxemburg und die SAP – anti-stalinistisch geprägt gewesen waren. Gleichzeitig stand er aufgrund dieser linken Wurzeln dem Godesberger Grundsatzprogramm der SPD kritisch gegenüber.

In Frankfurt begann die linke Protestbewegung lange vor dem Jahr 1968. Ihr wichtigstes Thema war der Protest gegen den Vietnam-Krieg. Als die Frankfurter Polizei am 27. März 1965 Teilnehmern einer Anti-Vietnamkrieg-Demonstration der „Kampagne für Abrüstung“ Plakate entriss, die sich gegen den Krieg in Vietnam und die Anwendung von Gas durch die Amerikaner richteten, protestierte die Linke innerhalb und außerhalb der SPD gemeinsam. In Reaktion auf das Vorgehen der Polizei koordinierte ich als Tutor im evangelischen Studentenwohnheim im Frankfurter Westend einen gemeinsamen schriftlichen Protest beim Frankfurter Oberbürgermeister. Wir beriefen uns auf das Recht auf freie Meinungsäußerung. Auf dieser rechtsstaatlichen Grundlage unterschrieb ein breites Bündnis aus deutsch-israelischer Studiengruppe, Jungdemokraten, Jungsozialisten, Gewerkschaftsjugend und Sozialistischem Studentenbund (SDS) unsere Protestnote.

Der Unvereinbarkeitsbeschluss zwischen SPD und SDS wurde in der SPD im Frankfurter Westend nie praktiziert – hier wo auch das Bundessekretariat des SDS, die Universität, das Frankfurter Institut für Sozialforschung lag und Professor Theodor W. Adorno wohnte. Nicht nur im evangelischen Studentenwohnheim, sondern auch im SPD-Ortsverein saßen verschiedene politische Orientierungen friedlich nebeneinander. Diese breite Koalition linksliberaler und linker Jugendverbände einschließlich der Evangelischen Studiengemeinde (ESG) und Minderheiten in der Katholischen Studiengemeinde (KSG) hielt auch noch bei Protesten und Aktionen gegen die damals erstarkende NPD, die Notstandsgesetze und die Große Koalition. Das begann sich erst 1967/68 zu ändern.

Am Anfang stand Solidarität mit Israel

Am Beginn des Sechs-Tage-Krieges vom 5. bis 10. Juni 1967 gelang es uns aber noch einmal, die politischen Kontakte der Bewohner des evangelischen Studentenwohnheims zugunsten einer breiten Solidarität für Israel zu nutzen. Der SDS hatte anfangs einen Aufruf zum Frieden im Nahen Osten abgelehnt, unter Hinweis auf die Gegensätze zwischen dem kapitalistischen und dem anti-imperialistischen Weltlager. Zunächst mobilisierten Vertreter der ESG, der jüdischen Studentengruppe, der Jungsozialisten und des RCDS die Unterstützung für Israel. Schließlich gelang es mir durch intensive Gespräche, eine breite Mehrheit im SHB und sogar eine Mehrheit im Frankfurter SDS zur Unterstützung Israels zu organisieren. So fand am 3. Juni eine Demonstration „Für den Frieden in Nahost“ statt, von der Frankfurter Universität zum Römerberg. Es war meiner Erinnerung nach das letzte Mal, dass sich radikale Teile der Studentenbewegung, hier vertreten durch den SDS, für Israel engagierten.

Auch in unserem evangelischen Studentenwohnheim waren die Meinungen geteilt. Die überwiegende Mehrheit engagierte sich zugunsten Israels: Medizinstudentinnen sammelten Medikamente; die im Hause lebenden israelischen Studenten wollten in ihre Heimat zurückkehren – und kamen doch nicht fort. Gleichzeitig kündigte ein im Hause lebender Jordanier an, er wolle zurück, um gegen Israel zu kämpfen. Obwohl alle nett zu ihm waren, hatte er die Stimmung gegen sich. Die Nachrichten über die militärischen Siege der Israelis lösten im evangelischen Studentenwohnheim Jubel aus. Trotzdem warfen mir nach dem Ende des Krieges einige Bewohner vor, ich hätte mich als Tutor zu einseitig pro-israelisch positioniert.

Wir vereinbarten ein gemeinsames Seminar

Faktisch zeitgleich, am 2. Juni 1967, wurde in Berlin Benno Ohnesorg erschossen. Zwei Tage später trafen wir uns im benachbarten, SDS-geprägten Kolb-Heim zur Vorbesprechung über gemeinsame Aktionen. Bereits am 5. Juni fanden sich rund 3.000 Teilnehmer zu einem Teach-in auf dem Campus der Universität ein, unter ihnen die Professoren Jürgen Habermas, Iring Fetscher und Tobias Brocher. Zahlreiche Bewohner unseres evangelischen Studentenwohnheims verteilten in den nächsten Tagen Handzettel. Aus mehreren Fenstern des Hauses hingen als Zeichen der Trauer schwarze Fahnen.

Im Zuge ihrer Politisierung radikalisierten sich einige Teile der Studentenbewegung. Gleichzeitig nahmen die Spannungen zwischen unterschiedlichen Teilen der Linken zu. Da ich zur SPD und zu den Gewerkschaften enge Kontakte unterhielt, warb ich bei beiden Organisationen für den Dialog mit den Frankfurter Studenten. Der einigende gemeinsame Nenner war die geteilte Gegnerschaft gegen die geplante Notstandsgesetzgebung. Am 4. Oktober 1967 kam es auf meine Anregung hin zu einem Gespräch zwischen der Frankfurter SPD und dem Bundesvorstand des SDS. Auf Seiten des SDS nahm unter anderem der gerade neu gewählte Bundesvorsitzende K. D. Wolff teil, auf Seiten der SPD neben mir unter anderem der spätere Frankfurter Oberbürgermeister Walter Möller.

Wir vereinbarten ein gemeinsames Seminar, an dem am 9. Dezember auch Mitglieder sozialdemokratisch orientierter Studentengruppen wie SHB und HSU, Vertreter der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie einige Professoren teilnahmen. Parallele Kommunikationsstränge zwischen den radikalen Teilen der Studentenbewegung und den etablierten Organisationen der Arbeiterbewegung existierten damals in Frankfurt zudem über das „Kuratorium Notstand der Demokratie“ (das von der IG Metall finanziert wurde und dessen Geschäftsführer Helmut Schauer früher Bundesvorsitzender des SDS gewesen war) und über den Trägerkreis der Monatszeitung express international. In deren Redaktion trat ich Anfang 1968 ein.

Auch bei den Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg nahmen in Frankfurt Anhänger des SDS ebenso teil wie Studenten aus der ESG und Mitglieder der SPD. Eine dieser Demonstrationen führte am 21. Oktober vor das Einkaufszentrum für amerikanische Soldaten. Während die Anhänger des SDS ihre Losungen für den Sieg des Vietkong skandierten, diskutierten wir mit amerikanischen Soldaten, die zum Teil deutliche Skepsis gegenüber dem Kurs ihrer Regierung äußerten.

Früher oder später: die Große Koalition

Dennoch begann sich der Ton zwischen den reformistischen und den sich revolutionär definierenden Teilen der Linken zu verschärfen. Ich warf den Revolutionären vor, mit ihrer Bejahung von Gewalt den reaktionären Kräften in Deutschland in die Hände zu spielen. Sie beschuldigten mich, früher oder später in der Großen Koalition zu landen. Die Themen „Gewalt“ und „Parlamentarismus“ wurden immer mehr zur Scheidelinie zwischen der SPD-Linken und dem radikalen Flügel der APO.

Bei der Tagung des Trägerkreises der express international am 24. und 25. Februar 1968 ging es um integrierbare und systemüberwindende Reformen. Der Anlass war ein Referat des Philosophen André Gorz, in dem er die Thesen seines Buches „Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus“ vortrug. Anwesend waren neben mir unter anderem die späteren Landesvorsitzenden der SPD Jochen Steffen und Peter von Oertzen, die späteren Professoren Helmut Seifert, Eberhard Zoll und Eberhard Schmidt, die Mitglieder des IG Chemie-Vorstandes Hermann Rappe und Werner Vitt, das Mitglied des IG Metall-Vorstandes Olaf Radke, die späteren DGB-Landesvorsitzenden Gert Lütgert und Dieter Kretschmar sowie Helmut Schauer vom Kuratorium „Notstand der Demokratie“ und Meino Büning vom Frankfurter SDS. Aus dieser Diskussionsrunde entwickelte sich Anfang der siebziger Jahre der „Frankfurter Kreis“, der über viele Jahre hinweg die Linke in der SPD koordinierte und zu dessen Sekretär ich nach meinem Ausscheiden als Bundesvorsitzender der Jungsozialisten gewählt wurde.

Der Pfarrer beruhigte seine Gemeinde

Anfang April 1968, nach dem Anschlag auf Rudi Dutschke in Berlin, überschlugen sich auch in Frankfurt die Ereignisse. Kurz nach dem Attentat – noch am 11. April – wurde ich telefonisch über eine geplante Demonstration am Frankfurter Hauptbahnhof informiert. Wir brachen sofort auf. Wir, das waren Jungsozialisten, junge Gewerkschafter, aber auch zahlreiche Studenten, die ich noch aus dem evangelischen Studentenwohnheim kannte, aus dem ich inzwischen ausgezogen war. Erst veranstalteten wir ein kurzes Go-in ins Frankfurter Schauspielhaus, dann zogen wir durch die Innenstadt zur Frankfurter Sozietätsdruckerei, wo nicht nur die Frankfurter Allgemeine Zeitung, sondern auch Springers Bild gedruckt wurde. Da die Zeitungen aber bereits ausgeliefert worden waren, brachen wir die Blockade ab und zogen mit etwa 1.000 Personen zum Hauptbahnhof.

Am folgenden Tag, einem Karfreitag, versammelten wir uns um 9.30 Uhr vor der Katharinenkirche in der Frankfurter Innenstadt. Um eine Diskussion mit der Kirchengemeinde zu provozieren, veranstalteten wir ein Go-in. Hans-Jürgen Krahl, der „Frankfurter Dutschke“, hielt eine kurze Ansprache, dann zogen wir weiter. (Ab Mittag fand dann auf Einladung des Gemeindepfarrers eine lange und ruhige Diskussion zwischen der Gemeinde und den Demonstranten statt.) Von der Katharinenkirche ging es weiter zur Peterskirche. Der dortige Pfarrer beruhigte seine Gemeinde mit dem Hinweis, die Kirche habe normalerweise Mühe, genügend Besucher anzuziehen. Deshalb solle sie auf überraschende Gäste nicht abweisend reagieren. Außerdem verwies er auf eine Diskussionsveranstaltung im Mai über das Thema „Revolution oder Evolution“. Als die Gemeinde einen Choral anstimmte, interpretierten viele Demonstranten dies als Versuch, die Diskussion zu unterbrechen und stimmten die „Internationale“ an. Als beide Gesänge zu Ende waren, sprach Krahl einige Worte von der Kanzlei und verließ ruhig die Kirche. Der Frankfurter Studentenpfarrer Kratz und sein Vikar, die bei dem Go-in dabei gewesen waren, zeigten sich anschließend entsetzt über die Unbeweglichkeit der Gemeinde, die eine Chance zur Diskussion ungenutzt hatte verstreichen lassen.

Gudrun Ensslin äugte argwöhnisch herüber

Am gleichen Tag versammelten wir uns um 17 Uhr in der Uni. Dort sprachen der ASTA-Vorsitzende sowie Günther Amendt und Hans-Jürgen Krahl vom SDS. Sie erläuterten den Plan, die Sozietätsdruckerei zu blockieren. Ungehindert von der Polizei zogen wir dorthin. Unter den Demonstranten traf ich auf weitere SPD-Mitglieder, die ebenso wie ich dem Frankfurter SPD-Vorstand angehörten. Ich beteiligte mich aktiv an der Blockade der Zeitungsauslieferung. Ab 21 Uhr setzte die Polizei Schlagstöcke und Wasserwerfer ein. Völlig durchnässt entfernte ich mich vom Ort der Demonstration. Auf dem Heimweg begegnete ich einer Einheit der berittenen kommunalen Polizei auf dem Weg zur Demonstration. Ihr Einsatzleiter – ein Sozialdemokrat – grüßte mich als Mitglied des Frankfurter SPD-Vorstandes vom Pferd herab. Mich, der ich durchnässt von Wasserwerfern gerade von dieser Demonstration kam.

Selbstverständlich hatten Demonstranten und Polizisten unterschiedliche Sichtweisen über den Verlauf dieser und der folgenden Demonstrationen, was zu wachsenden Konflikten zwischen dem Frankfurter SPD-Vorstand und der SPD-Stadtverordnetenfraktion führte. Typisch für diesen innerparteilichen Konflikt war die Tatsache, dass der Rechtsanwalt Christian Raabe, damals Mitglied im Frankfurter SPD-Vorstand und früher Nebenkläger beim Auschwitz-Prozess, den ASTA der Goethe-Universität bei seiner Strafanzeige gegen die Frankfurter Polizei vertrat.

Angesichts dieser Konflikte traf ich mich in einem Café im Frankfurter Westend mit dem Leiter der politischen Polizei, Panitz, und vereinbarte eine Diskussion mit der SPD-Betriebsgruppe der Polizei. Während unseres Gesprächs beäugte uns ein paar Tische weiter argwöhnisch Gudrun Ensslin, die einige Zeit später ein Frankfurter Kaufhaus in Brand steckte. Dies war charakteristisch für das damalige Frankfurt: Auf engstem Raum prallten völlig gegensätzliche Positionen aufeinander, zugleich standen deren Vertreter zumindest in indirekter Kommunikation miteinander.

Am Ostermontag interessierten uns die Abschlusskundgebungen des Ostermarsches wenig, weil dort auch Sänger aus der DDR auftraten, die gegen den Prager Frühling waren. Denn das Engagement für den Prager Frühling einte die APO und die SPD-Linke. (Als die Truppen des Warschauer Paktes am 21. August 1968 gegen die CSSR intervenierten, organisierte die SPD auf dem Römerberg eine Kundgebung für den „demokratischen Sozialismus“, und anschließend zogen Sozialdemokraten und APO gemeinsam Richtung Frankfurt-Niederrad, um dort gegen die sowjetische Militärmission zu demonstrieren.)

Das Vermitteln wurde immer schwieriger

Umso mehr wollten wir uns bei den anschließenden Anti-Springer-Aktionen engagieren. Aber diese führten zu immer gewalttätigeren Konflikten zwischen Demonstranten und Polizei. Wieder versuchte ich über den Stacheldraht hinweg, Demonstranten und Polizei zur Diskussion miteinander zu bewegen, um Gewaltpotenziale abzubauen. Doch ein anderer Teil der Demonstranten strebte bewusst Eskalation und Konfrontation mit der Polizei als Symbol der verhassten Staatsgewalt an.

Hans-Jürgen Krahl forderte die Demonstranten jetzt auf, von der Sozietätsdruckerei und der Galluswarte zum Hauptbahnhof zu ziehen und später ein Go-in im Römer zu veranstalten. Ich fragte ihn, was der Quatsch solle und merkte erst später, dass er Angst vor den von ihm mobilisierten Demonstranten hatte und ziemlich unsicher war. Während wir zum Römer zogen, einigten wir uns schließlich darauf, dass er und andere SDSler vor dem Römer für ein Go-in plädieren und ich anschließend ihr Megafon erhalten sollte, um dagegen zu reden. So konnten wir die Lage dann allmählich beruhigen: Hans-Jürgen Krahl und K. D. Wolff sprachen sich für das Go-in aus, ich dagegen. Unterbrochen von einem kurzen improvisierten Polizeieinsatz, den ich durch ein Gespräch mit dem Einsatzleiter der Polizei beenden konnte, der mir von der SPD her bekannt war, wurde die Diskussion ruhiger und Krahl konnte die Demonstration mit einer Aufforderung zu einem Teach-in in der Universität am folgenden Tag beenden. Auf diesem Teach-in sprach ich auf Wunsch von Krahl ebenfalls.

In der SPD warb ich um Verständnis für die Demonstration und kritisierte die unverhältnismäßige Gewaltanwendung der Polizei, ohne die Gewaltanwendung einer Minderheit der Demonstranten zu rechtfertigen. Es wurde immer schwieriger, in der SPD und bei den Gewerkschaften Mehrheiten für eine derart vermittelnde Position zu gewinnen. Dazu trug die sich im SDS beschleunigende Radikalisierung und Bejahung gewalttätiger Aktionen bei. Auch gegenüber der SPD und den Gewerkschaften wurden die SDS-Vertreter immer feindseliger.

Hardenberg-Korn und Heintje-Lieder

Am 20. April ging ich zu einer Mitgliederversammlung des SDS, wo ein Film mit gewalttätigen Aktionen der italienischen APO gezeigt wurde. Hans-Jürgen Krahl bezeichnete diese Gewalttaten als vorbildlich auch für Deutschland. Einige Zeit später traf ich ihn im Club Voltaire, wo er – wie häufig – Hardenberg-Korn trank und gerührt Heintje-Lieder hörte. Ich griff ihn wegen seiner Thesen zur positiven Rolle symbolischer Gewaltanwendung an. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung war ein öffentliches Streitgespräch zwischen uns beiden im Club Voltaire: Er vertrat unter ausdrücklicher Berufung auf Michail Bakunin eine Neuauflage der anarchistischen Strategie von der „Propaganda der Tat“. Ich erläuterte mein Ziel eines positiven Zusammenwirkens zwischen gewaltfreier außerparlamentarischer Mobilisierung und innerparteilicher Opposition (APO plus IPO). Ich warf ihm vor, dass seine Strategie der Aktion militanter Minderheiten notwendigerweise zum Terrorismus führen werde – wie auch früher in der Geschichte. Er warf mir vor, meine Strategie müsse mit einer Integration in das parlamentarische System enden. Im Nachhinein gesehen hatten wir beide Recht.

Entsprechend war ein auf meine Anregung hin zwischen ASTA und SPD vereinbartes Teach-in am 19. April vor der Frankfurter Universität mit rund 1.000 Teilnehmern verlaufen. Es diskutierten Studenten, Professoren und Teile der Frankfurter SPD-Führung – nicht nur angesichts der vergangenen Polizeieinsätze – über die Themen „Gewalt-Gegengewalt“, „legal-legitim“, „Parlamentarismus-Faschismus-revolutionäre Aktion“. Auf diesem Teach-in, dessen Diskussionsinhalte teilweise erschreckend waren, konnten sich SPD-Mitglieder in einer relativ ruhigen Atmosphäre mit ihren Argumenten immerhin noch einbringen. Wahrscheinlich war dies der Grund dafür, dass Hans-Jürgen Krahl mehrfach vergeblich versuchte, die Veranstaltung abzubrechen.

Die Metaller fürchteten den Anarchismus

Aber auch die diskussionsbereiten Teile des Frankfurter SPD-Vorstandes (unter ihnen der spätere Oberbürgermeister Walter Möller und der spätere Bundesfinanzminister Hans Matthöfer) hatten große Schwierigkeiten, den aggressiven Stil und die anarchistischen und aktionistischen Thesen des SDS mit ihren Vorstellung von sozialistischer Theorie und Praxis auch nur annähernd in Übereinstimmung zu bringen. Am 6. Mai 1968 machte Walter Möller noch einmal den Versuch, im Frankfurter Club Voltaire für seine Vorstellungen vom demokratischen Sozialismus zu werben. Günther Amendt und Hans-Jürgen Krahl waren zwar im Raum, beteiligten sich aber demonstrativ nicht an der Diskussion.

Auch Otto Brenner und weitere Vorstandsmitglieder der IG Metall begannen, sich mir gegenüber immer kritischer über die vom SDS geführten Teile der Studentenbewegung zu äußern. Wie Helmut Schauer vom „Kuratorium Notstand der Demokratie“ mir berichtete, fürchteten sie den Anarchismus. Im Trägerkreis der express international wurden immer häufiger Vorbehalte gegen die Tendenzen zur Gewaltbereitschaft und zum Anti-Parlamentarismus in Teilen der APO artikuliert.

Im SDS selbst nahmen die Fraktionskämpfe zu. Auf der Bundesdelegiertenkonferenz im September 1968, an der ich als Gast teilnahm, wurde die kommunistische Fraktion ausgeschlossen. Am 14. September gab es am Rande des SDS-Kongresses ein Treffen der internationalen Gäste im evangelischen Dietrich-Bonhoeffer-Studentenwohnheim. In Anwesenheit von K. D. Wolff und Daniel Cohn-Bendit wurde über die Gründung einer fünften anti-autoritären Internationale geredet. Im Vorraum der SDS-Delegiertenkonferenz warben unterschiedliche trotzkistische, marxistische und traditionelle kommunistische Gruppen für ihre Überzeugungen. Die Studentenbewegung begann sich immer mehr in sektiererische Gruppen zu spalten. Meine spätere Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag, Mona Steffen, gehörte schließlich zu jenen Mitgliedern des SDS-Bundesvorstandes, die dessen Auflösung durchsetzten und die Übernahme durch anarchistische und gewaltbereite politische Strömungen verhinderten.

Vorsprung durch Politisierung

Gleichzeitig strömten große Teile der politisierten Jugendlichen und Studenten in die SPD. Sie trugen im Herbst 1969 zum Wahlsieg der SPD und damit zur Bildung einer sozial-liberalen Koalition in Bonn bei. Die Politisierung unter Jugendlichen und Studenten war im Dezember 1969 die entscheidende Ursache für meine Wahl zum Bundesvorsitzenden der Jungsozialisten. Die Achtundsechziger haben gesellschaftliche Veränderungen bewirkt. Aber glücklicherweise nicht jene, die ihre radikalsten Sprecher forderten.

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