Das Kreuz mit Kaczynski

Das Ende der Ära Kaczynski in Polen und, parallel dazu, der Niedergang der radikalen Vertriebenen-funktionärin Steinbach in Deutschland eröffnen neue Perspektiven im Verhältnis beider Nationen

Der tragische Absturz der Präsidentenmaschine im April auf dem Weg zum symbolisch bedeutsamen Ort Katyn in Russland ist für die Polen ein nationales Trauma. Alle 89 Passagiere und die 7 Besatzungsmitglieder starben im russischen Smolensk – darunter neben Präsident Lech Kaczynski viele weitere hohe Repräsentanten des Landes wie der Fraktionsvorsitzende der Regierungspartei Platforma Obywatelska (PO) oder der Chef der polnischen Zentralbank, Slawomir Skrzypek.

Wenig später errichteten katholische Pfadfinder ein großes Holzkreuz vor dem Präsidentenpalast in Warschau, das an Lech Kaczynski erinnern soll. Eigentlich befürwortet niemand dieses Kreuz so richtig: nicht die Regierung, nicht die katholische Kirche, nicht das Parlament und laut Umfragen auch nicht die Mehrheit der Warschauer. Dennoch spaltet es die polnische Gesellschaft dieser Tage mehr als jedes andere Thema. Die Partei der Gebrüder Kaczynski, Prawo i Sprawiedliwosc (PiS), versuchte sich damit zu profilieren. In Deutschland wäre ein solcher Konflikt heute nicht vorstellbar. Darf man ihn dennoch kommentieren?

„Polen hat noch einmal Glück gehabt“

Das schwierige Verhältnis zwischen Deutschland und Polen ist nicht zuletzt dadurch geprägt, dass deutsche Staaten als Beteiligte und Verursacher von vier polnischen Teilungen gewirkt haben. Der traurige Höhepunkt waren die von SS und Wehrmacht verübten Gräueltaten während des Zweiten Weltkrieges. Die Spaltung Europas in Ost und West erschwerte  eine angemessene Aufarbeitung dieser Geschichte jahrzehntelang. Der Kniefall Willy Brandts in Warschau war ein erster sichtbarer Versuch. Später folgten die Unterstützung der Gewerkschaft Solidarnosc durch westdeutsche Gewerkschafter und Intellektuelle oder die Gründung eines deutsch-polnischen Jugendwerkes. Das Verhältnis zu Deutschland hat in Polen immer wieder innenpolitische Kontroversen erzeugt. Besonders negativ instrumentalisiert wurde es in den zwei Jahren der Regierung von Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski von 2006 bis 2007.

Hingegen steht der im Juni neu gewählte polnische Präsident Bronislaw Komorowski für eine pro-europäische Politik und ein entspanntes Verhältnis zu seinem westlichen Nachbarn. Sein erster Staatsbesuch führte ihn nach Deutschland. Als er noch Parlamentspräsident war, hatte er die Spitzen des polnischen Parlaments Sejm und des Bundestages nach Krzyzowa eingeladen. Im Gespräch versuchten die Teilnehmer, europapolitische Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.

Eine junge Warschauerin kommentierte die Wahl Komorowskis erleichtert mit dem Satz „Polen hat noch einmal Glück gehabt“. Denn der Sieg des 58-Jährigen fiel knapp aus: Komoroswki erhielt bei der Stichwahl 53,1 Prozent der Stimmen, sein Kontrahent Jaroslaw Kaczynski bekam 46,9 Prozent. Das sonnige Wetter und die anstehenden Ferien waren gewiss ein Grund, warum es Komoroswkis liberal-konservativer Bürgerplattform Platforma Obywatelska (PO) nicht im gleichen Maße wie bei der Parlamentswahl 2006 gelang, die junge städtische Bevölkerung zu mobilisieren.

Zwei Brüder, eine Mission

Bei Pro-Europäern ist die Erinnerung an die zweijährige Periode des Doppelgespanns aus Präsident Lech und Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski noch wach: zwei Brüder, beseelt von der Mission, die Bedrohung der Europäischen Union abzuwehren, gezeichnet von tiefem Misstrauen gegen Veränderungen – sei es in gesellschaftlichen Fragen wie dem Familienrecht und Schwangerschaftsabbrüchen oder was normalisierte Beziehungen der EU zu Russland betrifft. Im Präsidenten-Wahlkampf 2005 diffamierte die PiS den Kandidaten der PO und heutigen Ministerpräsidenten Donald Tusk als Spross eines Nazi-Kollaborateurs – eine glatte Lüge, aber ein wirkungsvolles Instrument, das zum Wahlsieg Lech Kaczynskis beitrug.

Nach den Parlamentswahlen zimmerte Jaroslaw Kaczynski eine Koalition unter Beteiligung einer extrem rechten Partei. Diese Regierungskonstellation hatte verheerende Auswirkungen für Polen, das sich in den Augen der EU-Mitgliedsstaaten zunehmend isolierte. Das Vetorecht im Europäischen Rat wurde zum „polnischen Votum“. Beispielsweise legte Polen gegen das Partnerschaftsabkommen EU-Russland ein Veto ein – und zerstörte so ganz gezielt die Ergebnisse der finnischen Ratspräsidentschaft. Das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und der Russischen Förderation wurde dadurch extrem belastet und eine Kultur des Misstrauens befördert. Vielen ist auch die Debatte um das von der damaligen polnischen Regierung als Ausgleich für „historisches Unrecht“ geforderte höhere Stimmgewicht im Europäischen Rat in Erinnerung, ebenso wie die lange Verweigerung des Präsidenten Lech Kaczynski, den Lissabonner Vertrag zu unterschreiben.

Besonders Deutschland wurde innenpolitisch zum – machttaktisch ergiebigen – Feindbild stilisiert. Auch wenn die Attitüden der Präsidentin des Bundesverbandes der Vertriebenen, Erika Steinbach, und das Verhalten der Preußischen Treuhand tatsächlich Anlass zu Kritik bieten – die Szenarien von der angeblichen deutschen Bedrohung grenzten an Hysterie. Dabei spielten die polnischen Zeitungen des Springer-Verlages das Spiel übrigens kräftig mit, wahrscheinlich um vom deutschen Eigentümer abzulenken. Absurd war zum Beispiel der Vorwurf eines polnischen Regierungsmitglieds, die deutsche Marine sei illegal in polnische Gewässer eingedrungen. In Wirklichkeit handelte es sich um ein gemeinsames Manöver der Nato.

Innerhalb Polens entwickelte sich unter den Kaczynskis ein mit Jakobinischem Eifer praktizierter staatlich organisierter Machtmissbrauch, definiert als „anti-stalinistische Säuberung“. Dieser Begriff wurde im Umfeld der Kaczynskis tatsächlich verwendet. Er ist ein weiteres Indiz für die wenig ausgeprägte historische Sensibilität einer Partei, die sich „Recht und Gerechtigkeit“ nennt. Die PiS diffamierte Homosexuelle, beschwor ein altmodisches Frauenbild und ließ Koalitionspartner bespitzeln.

In den Städten fiel Kaczynski durch

Im Kern trat hier in Form der PiS das ländliche, traditionelle, östliche Polen in den Kulturkampf gegen die modernen Metropolen Warschau, Danzig, Krakau oder Posen. Bei den Parlamentswahlen am 21. Oktober 2007 waren es die jüngeren, städtischen und westpolnischen Wähler gewesen, die der rückwärtsgewandten Politik der Regierung Kaczynski eine klare Abfuhr erteilten. Die Städte waren entscheidend. Nur mit Hilfe der ländlichen Bevölkerung kam die PiS noch auf 32,1 Prozent.

Bei diesem Kulturkampf spielen nicht zuletzt die Kirchenoberhäupter einiger polnischer Bistümer eine wichtige Rolle. Ihr Einfluss wurde nach dem Unglück von Smolensk erneut deutlich: Nach der furchtbaren Tragödie erlaubte der Erzbischof von Krakau, Stanislaw Dziwisz, die Bestattung des Leichnams von Präsident Kaczynski in der Kathedrale der Krakauer Königsburg Wawel, ohne zuvor die Regierung konsultiert zu haben. Es war ein Treuebekenntnis zur Politik eines Präsidenten, der Polen in seiner viereinhalbjährigen Amtszeit zurück in einen katholisch geprägten Traditionalismus führen wollte. Vielleicht sind Kardinal Dziwiszs Bemühungen, das Holzkreuz vom Präsidentenpalast entfernen zu lassen, ein erstes Indiz dafür, dass er seine Auffassung geändert hat. «

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