Christsoziale, erhebt Euch gegen das Kapital!

über Tobias Dürr, Tafelsilber und Lebenslügen, Berliner Republik 5/2006

Selten noch war eine Analyse so scharfsinnig wie die von Tobias Dürr über die CDU. Meine Einwände beziehen sich deshalb weniger auf seine Beschreibung der drei Strömungen innerhalb der CDU, als auf seine Vorstellung, dass nur ein voluntaristisch programmiertes neues Ganzes den Abstieg der Volkspartei CDU aufhalten könne. Gegen diese Denkfigur sprechen historische, aber auch gesellschaftliche Gründe.

Seit ihrer Gründung ist die CDU ein Amalgam aus unterschiedlichen Strömungen, eben aus jenen konservativen, liberalen und den kirchlichen Soziallehren entnommenen Wertvorstellungen, die die Katastrophe des Dritten Reiches überlebt hatten. Was die CDU so erfolgreich gemacht hat, war das Gleichgewicht zwischen diesen Strömungen, dem ein gesellschaftliches Gleichgewicht entsprach. Aus dem Untergang von Weimar, der Katastrophe des Dritten Reiches und der Bedrohung durch den Kommunismus hatten die bürgerlichen Kräfte, die die CDU trugen, den richtigen Schluss gezogen: Das Zerstörungspotenzial einer Marktwirtschaft kann nur ordnungspolitisch, sozial eingebettet und immateriellen Werten verpflichtet gebändigt werden.

Wertefragen sind den Modernisierern egal

Diese gesellschaftliche Überzeugung, der das Liebäugeln der SPD mit dem Sozialismus entsprach, ist durch die gesellschaftliche Entwicklung systematisch ausgehöhlt worden und seit der Globalisierung extrem einsturzgefährdet. Das beginnt damit, dass den „marktfixierten Modernisierern“ (Dürr) Wertefragen herzlich gleichgültig sind, weil sie die Werte nicht mehr als eine Kraft gegen die Bedrohungen des Kommunismus benötigen. Im Gegenteil, je ungebundener der moderne Konsument einher kommt, desto erfolgreicher ist er als Wirtschaftsbürger, desto ökonomischer sein Verhalten. Udo Di Fabio drückt es unnachahmlich so aus: „Der freie moderne Mensch, bestens geeignet für Arbeitswelt und Konsum, muss mobil sein, sprachgewandt, weltoffen und vor allem ungebunden. Frauen mit mehreren Kindern, sozial tief verwurzelte Väter scheinen nicht in Unternehmen zu passen, die bedrohten und bedrohlichen Haifischen gleich im internationalen Wettbewerb stehen. Menschen mit tiefen Glaubensbindungen und einer als konservativ belächelten Lebensführung, aber auch mit allzu intensiver klassischer Bildung scheint einfach die Unbekümmertheit zu fehlen, die Offenheit für alles Neue, die bedenkenlose Anpassungsfähigkeit, die die notwendigen Voraussetzungen für rasches Agieren, Ausnutzen von Vorteilen, überraschende Innovationen sind.“

Das Tafelsilber wird auf den Markt getragen

Deshalb benötigen die modernen Leistungseliten das konservative Tafelsilber nicht mehr: Familie, Heimat, Vaterland und Kirche. Was Jörg Schönbohm so schätzt, ist für sie wertlos, ein Bündnis mit den „Tafelsilberkonservativen“ (Dürr) ökonomisch unsinnig. Tragischerweise erkennen die wenigen Konservativen in der CDU nicht, dass die Modernisierer das konservative Tafelsilber Stück für Stück einschmelzen, um den Silbergehalt dem Markt zuzuführen. Dabei befinden sie sich übrigens in Übereinstimmung mit jenen Achtundsechzigern, die diesen Modernisierungs- und Individualisierungsschub ursprünglich ausgelöst haben.

Auch die Sozialstaatler, als „Rheinische Nostalgiker“ von Dürr zu negativ beschrieben, wurden im Vorfeld des Leipziger Parteitags nicht mehr gebraucht. Ein soziales embedding des Kapitalismus als Anker gegen die Fluten des Sozialismus wird nicht mehr benötigt, es minimiert nur die Profitrate. Erst das fatale Wahlergebnis hat die Sozialstaatler um Rüttgers, Laumann, Stoiber und Seehofer wieder salonfähig gemacht. Plötzlich war klar geworden, dass das Volk anders denkt als die Eliten.

Wenn es also genügend gesellschaftlichen Druck in Richtung eines rheinischen Sozialmodells gibt, kann die alte Verbindung von konservativen, liberalen und sozialen Trieben der CDU wieder funktionieren. Setzt sich allerdings die neoliberale Wirtschaftselite auch gesellschaftlich durch, kann sie die Menschen von den notwendigen Härten einer globalisierten Wirtschaft überzeugen – dann ist die alte CDU am Ende ihres Weges angekommen. In diesem Fall dürfte auch der anderen großen Volkspartei kein langes Leben mehr beschieden sein.

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