Angst vor dem Griechenland-Szenario

Während Nicolas Sarkozy in der Krise den Kapitalismuskritiker markiert, verharren die Sozialisten in steriler Neinsagerei

Die Finanzkrise hat auch Frankreich böse erwischt. Das Wirtschaftswachstum wird 2008 nur bei 0,8 Prozent liegen; für das Jahr 2009 wird ein Rückgang von 0,5 Prozent erwartet. Das Haushaltsdefizit soll 2008 bei circa 2,9 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) liegen; im Jahr 2009 werden 3,9 Prozent erwartet. Die Staatsverschuldung wird 2008 etwa 67 Prozent des BIP erreichen und im kommenden Jahr auf 69 Prozent steigen.


Das französische Konjunkturpaket ähnelt stark dem deutschen Ansatz. Mehrwertsteuersenkungen sind auch in Frankreich nicht vorgesehen, favorisiert werden vielmehr Investitionen und die Stützung von Unternehmen. Politpsychologisch ergänzt wurde dies durch eine sehr „sarkozystische“ Geste symbolischer Politik: Anfang Dezember ernannte er einen „Minister für Konjunkturbelebung“ (Ministre de la Relance). Gern gibt sich Sarkozy zurzeit auch als Kritiker des Finanzkapitalismus: An den Reden des Präsidenten können sich auch gestandene Sozialdemokraten das Herz wärmen.


Der Staat will in den kommenden zwei Jahren 26 Milliarden Euro (1,3 Prozent des BIP) für die Stützung der Konjunktur aufwenden. Sektoriell sollen vor allem die Automobilbranche und der Immobiliensektor gestützt werden. 10 Milliarden Euro zusätzlich sollen der Staat, die Städte und Regionen sowie die staatlichen Großkonzerne EDF und SNCF investieren. Geplant ist zudem, die Privatwirtschaft mittels der vorzeitigen Rückzahlung von etwa 10 Milliarden Euro Steuern an die Unternehmen zu stützen (Mehrwertsteuerrückerstattung, Steuerabschreibungen). Direkt in den Konsum geht hingegen nur ein kleiner Teil der Aufwendungen: Etwa 3,8 Millionen arme Haushalte sollen im März eine Sonderzahlung im Wert von 200 Euro erhalten, ausgezahlt von den Familienkassen. Darüber hinaus sind eine Abwrackprämie sowie Nullzinskredite für Neuwagen und Immobilien vorgesehen, um die Nachfrage anzukurbeln. Nach den Angaben der Regierung soll dieser Plan einen Wachstumseffekt von 0,6 bis 1 Prozent des BIP hervorrufen.


Kritiker halten diese Angaben jedoch für irreführend. Der reale Umfang sei viel geringer, nämlich lediglich 10 Milliarden Euro im Jahr 2009. Aufgrund der Planungsvorläufe für Infrastrukturgroßprojekte könnten 2009 bestenfalls zusätzliche 5 Milliarden Euro tatsächlich investiert werden. Die 10 Milliarden Euro an vorgezogenen Steuerrückzahlungen stellen in Wirklichkeit keine zusätzliche Investition dar, da sie ohnehin an die Unternehmen geflossen wären. Der zu erwartende zusätzliche Wachstumseffekt werde 2009 höchstens bei 0,4 Prozent des BIP liegen.

Bleibt es bei den üblichen Versprechungen?

Nach einem kontinuierlichen Rückgang ab 2006 steigt die Arbeitslosigkeit seit Mitte 2008 wieder an. Der November brachte den höchsten monatlichen Anstieg seit 20 Jahren. Am Jahresende betrug die Arbeitslosenquote 7,3 Prozent, mit rasch wachsender Tendenz. Die negative Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt soll mithilfe einer Reihe von Initiativen begrenzt werden:

-der Ausweitung subventionierter Arbeitsplätze im zweiten Arbeitsmarkt um 100.000 auf insgesamt 300.000 Stellen;
-der Ausweitung eines Programms zur aktiven Wiedereingliederung von Entlassenen aus kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs);
-der Beschleunigung der Zusammenlegung von Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in einer neuen „Arbeitsagentur“ mit den üblichen Versprechungen einer effizienteren Betreuung der Arbeitslosen;
-einer besseren Absicherung jugendlicher Arbeitsloser.

Zunächst ging es aber auch in Frankreich darum, den Bankensektor zu stabilisieren. Hierfür wurden zwei neue Institutionen gegründet: Eine „Refinanzierungsgesellschaft“ soll die Kredit- und Liquiditätsprobleme überwinden helfen; dafür sollen bis zu 265 Milliarden Euro auf dem Kapitalmarkt aufgenommen werden. Der Rekapitalisierung angeschlagener Banken soll eine Beteiligungsgesellschaft dienen, die sich ebenfalls über den Kapitalmarkt finanzieren soll.

Verliert die Regierung die Kontrolle?

Anders als in Deutschland oder Großbritannien erfolgen die französischen Stützungsaktionen in einer Form, die dem Staat keine Mitsprache in den Geschäften der betroffenen Banken gibt. Mittlerweile ist deutlich geworden, dass dies ein Problem ist. Die Kreditversorgung der Unternehmen, vor allem der KMUs, scheint nicht wie gewünscht zu funktionieren. Staatliche Überwachungsmaßnahmen sollen nun dafür sorgen, dass die Liquiditätshilfen des Staates auch tatsächlich der Kreditvergabe zugute kommen. Und Ende Oktober kündigte Sarkozy die Schaffung eines (sehr gering kapitalisierten) öffentlichen Interventionsfonds zur Verhinderung der Übernahme strategischer französischer Unternehmen durch ausländische sovereign funds an.


Die Krise hat Auswirkungen auch in der Politik. Die Regierung hat erkennbar Sorgen, in einer angespannten wirtschaftlichen und sozialen Situation die Kontrolle zu verlieren. Die Angst vor einem Griechenland-Szenario – wo ein politischer fait divers einen Flächenbrand auslöste – ist deutlich spürbar. Entsprechend hat Nicolas Sarkozy in den vergangenen Wochen einen Großteil der politisch problematischen Reformprojekte auf die lange Bank geschoben. Man ist weit weg von der Hybris Sarkozys vom Frühjahr, als er spottete, die „Gewerkschaften streiken und die Franzosen bemerken es nicht einmal“.


Für die Opposition hat die Krise bisher keinen Aufschwung gebracht. Die Partie Socialiste (PS) war bis Mitte Dezember hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Die Wahl der neuen Vorsitzenden Martine Aubry geriet zum Imagedesaster. Seither hat die Partei noch keine erkennbare Linie gefunden. Die Kritik der PS am Konjunkturprogramm konzentriert sich bisher auf den zu geringen Beitrag zur Nachfragestützung.


Klar ist, dass die PS sich sehr viel stärker als in den vergangenen eineinhalb Jahren als Oppositionspartei profilieren will. Dabei besteht die größte Gefahr darin, dass sich die Partei in eine einseitige Neinsager-Position manövriert und den Eindruck erweckt, auf eine Zuspitzung der sozialen Krise zu hoffen. Auch Äußerungen des neuen Parteisprechers Benoit Hamon von der „sozialen Krise, die unausweichlich in eine politische Krise“ münden werde, lassen diesen Eindruck entstehen.

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