Altersarmut kann verhindert werden

Zum Interview mit Kristina Vaillant, 1889 war die Rente progressiver, Berliner Republik 6/2016

Die Rentenpolitik ist keine Insel. Sie ist immer auch ein Abbild der gesellschaftlichen, sozialen, familiären und wirtschaftlichen Grundentscheidungen, die eine Gesellschaft für sich trifft. Über Jahrzehnte hinweg wurden Entscheidungen in der Rentenpolitik im gesamtgesellschaftlichen Konsens geschlossen. Die Rente ist damit im Wesentlichen Ausdruck der überwiegenden Grundeinstellungen der Menschen in unserem Land.

Unser Rentensystem weist eine starke Beitragsbezogenheit auf. Die gesetzliche Rente berechnet sich in erster Linie danach, wie viel jemand in seinem Erwerbsleben verdient und eingezahlt hat. Solidarische Elemente finden sich vor allem, wenn jemand erwerbsgemindert wird und nicht mehr arbeiten kann, sowie im Bereich der Sorgearbeit, also bei Kindererziehung und der Pflege von Angehörigen. Nicht zu vergessen ist der Zugang zu den umfangreichen und guten Leistungen der Rehabilitation, die allen Versicherten gleichermaßen offen stehen.

Kristina Vaillant weist zu Recht darauf hin, dass viele Menschen in unserem Land die Sorge umtreibt, dass sie im Alter nicht ausreichend versorgt sein werden. Das ist nicht verwunderlich, schließlich hören wir seit nunmehr zwei Jahrzehnten, dass die Rente nicht sicher sei. Oder dass sie aufgrund des -demografischen Problems der Babyboomer-Generation kollabieren wird. Oder dass das Umlagesystem der gesetzlichen -Rente nicht zukunftsfest sei, beziehungsweise dass kapitalgedeckte Alterssicherungssysteme in Zeiten des Niedrigzinses nicht mehr leistungsfähig seien.

Diese permanente Diskussion hat bei vielen Bürgerinnen und Bürgern den Eindruck erweckt, dass Altersarmut zukünftig stark zunehmen wird und auch sie betreffen kann. Dieser Eindruck ist aber nach Aussagen der intensiv mit Alterssicherung befassten Sachverständigen und Wissenschaftler nicht zutreffend. Auch in Zukunft wird Altersarmut kein Massenphänomen sein.

Gleichwohl gibt es aber bestimmte Gruppen von Beschäftigten, bei denen Altersarmut tatsächlich droht. Hierzu zählen besonders Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Erwerbsgeminderte, niedrig Qualifizierte und nicht zuletzt Soloselbständige. Und es sind vor allem Frauen, die davon betroffen sind. Hier ist die Politik aufgefordert, die richtigen Weichen zu stellen.

Der Schlüssel zur Vermeidung von Armut ist in erster Linie gute Arbeit. Denn wer gute Arbeit hat und ordentlich verdient, braucht seltener staatliche Unterstützung – sowohl in der Erwerbsphase als auch im Alter. Deshalb waren der in dieser Wahlperiode auf SPD-Initiative durchgesetzte gesetzliche Mindestlohn, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die gestärkte Tarifautonomie sowie die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen wichtige Schritte. Das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit wird hoffentlich noch in den nächsten Monaten Gesetz werden und zukünftig gerade Frauen vor der so genannten Teilzeitfalle bewahren. Weitere wichtige Maßnahmen – etwa die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung und die Weiterentwicklung der Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung, die die Weiterbildung stärkt – waren in der Koalition mit der Union leider nicht durchsetzbar und müssen nach der Bundestagswahl angepackt werden.

Es gehört zu den Kernversprechen unseres Sozialstaates, dass die Arbeitnehmer nach einem Leben voller Arbeit im Alter abgesichert sind. Deshalb hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles im November 2016 ein Gesamtkonzept zur Alterssicherung vorgestellt, das neue Weichen für eine verlässliche Alterssicherung stellt. Zugleich ist es das umfassendste Programm gegen Altersarmut, das es in Deutschland jemals gab.

Mit dem Gesamtkonzept zur Alterssicherung können Lösungen für die derzeitigen und zukünftigen Herausforderungen in der Alterssicherung gefunden werden. Es gibt Anworten auf die Fragen der demografischen Entwicklung, der veränderten Erwerbsbiografien und des Wandels der Arbeitswelt. Hierbei stehen drei Ziele im Zentrum des Gesamtkonzeptes:

Altersarmut soll erstens mit zielgenauen Maßnahmen für besonders gefährdete Gruppen verhindert werden: Absicherung von Selbständigen, weitere Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten und eine gesetzliche Solidarrente für diejenigen, die auch nach langjähriger Arbeit keine auskömmliche Rente erreichen.

Zweitens soll allen Beschäftigten durch ein verlässliches gesetzliches Rentenniveau, eine Ausweitung der betrieblichen Altersvorsorge sowie durch eine verbesserte und transparentere Riesterrente eine Rente ermöglicht werden, die den Lebensstandard sichert.

Die gesetzliche Rente soll drittens durch eine dauerhafte doppelte Halte- und Ziellinie beim Rentenniveau und den Beitragssätzen für alle Generationen verlässlich und planbar bleiben.

Dieses Gesamtkonzept zeigt Wege auf, wie es gelingen kann, das Vertrauen in unseren Sozialstaat zu festigen. Über Details und noch notwendige Ergänzungen wird man diskutieren müssen. Mit der Absicherung von Selbständigen werden wir einen ersten wichtigen Schritt in Richtung einer Erwerbstätigenversicherung gehen. Damit wird auch die von Kristina Vaillant kritisierte Mehrklassengesellschaft in der Alterssicherung bald der Vergangenheit angehören.

Auch wenn mit dem Gesamtkonzept für Alterssicherung wesentlichen Fehlentwicklungen entgegengewirkt werden kann, weist Kristina Vaillant auf einen wichtigen Punkt hin, der bei allen Bemühungen, unsere Gesellschaft gerechter zu machen, immer berücksichtigt werden muss: Gerade für die Frauen der Babyboomer-Generationen waren die Rahmenbedingungen vielfach so, dass sie die an sie gerichteten Anforderungen gar nicht meistern konnten. Zwar sollten und wollten sie sich aus der finanziellen Abhängigkeit von ihren Ehepartnern befreien und eine auskömmliche eigenständige Alterssicherung aufbauen, doch verlässliche und flächendeckende Strukturen zur Familiensorge, besonders zur Kinderbetreuung, waren nicht vorhanden. Und wenn die Einzelne es in einem bewundernswerten persönlichen Kraftakt doch geschafft hatte, den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden, gab es keinen aufnahmebereiten Arbeitsmarkt. Arbeiten in ungewollter Teilzeit und unterhalb der Qualifikation war und ist für viele dieser Frauen die ernüchternde Realität.

Realistische Lösungsansätze sind hier ein rares Gut. Auch eine Art Ausgleich für strukturelle Benachteiligung – den ich ebenfalls schon in Betracht gezogen habe – ist derzeit kein erfolgversprechender Weg. Um jedoch zumindest die schwersten Verwerfungen dieser gesellschaftlichen Benachteiligung auszugleichen, haben wir das Modell der gesetzlichen Solidarrente entwickelt. Dieses hat auch andere „Benachteiligte“ im Blick, die jahrzehntelang gearbeitet haben. Mit der Solidarrente wollen wir sicherstellen, dass jede und jeder langjährig Beschäftigte ein Alterseinkommen erhält, das zehn Prozent über dem regionalen durchschnittlichen Bedarf bei der Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung liegt. Die Berücksichtigung der regionalen Bedarfe ist notwendig, weil die Wohnkosten je nach Region sehr unterschiedlich ausfallen. Wichtig ist auch, dass die Solidarrente bei der Rentenversicherung unbürokratisch zu erhalten ist und die Bezieher ihre Berechtigung in aller Regel nur dann nachweisen müssen, wenn sie die Leistung beantragen.

Die gesetzliche Solidarrente ist eine Frage von Respekt, Wertschätzung und Gerechtigkeit. Wer trotz langjähriger Arbeit im Alter zu wenig hat, muss sich auf die Solidarität der Gesellschaft verlassen können.


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