Gibt es gute Leiharbeit?

Die Große Koalition plant ein Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs von Leiharbeit und Werkverträgen. Über den vorliegenden Gesetzentwurf und die Perspektiven der Leiharbeit diskutierten unter Leitung von Michael Miebach die Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Carola Reimann, und der Stellvertretende Bundesvorsitzende des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen iGZ, SVEN KRAMER

Herr Kramer, angesichts der Flüchtlingskrise hat Ihr Verband eine Kampagne zur Öffnung der Zeitarbeitsbranche für Geflüchtete gestartet. Ist das ein Akt der Humanität oder fehlt es Ihnen an Personal?

Kramer: Beides. Wie viele andere haben auch wir uns überlegt, welchen Beitrag wir in der aktuellen Situation leisten können. Die Zeitarbeit zeichnet sich ja dadurch aus, dass sie auch Menschen mit Vermittlungshemmnissen einen Weg in den Arbeitsmarkt bereitet. Dieses Know-how wollen wir in der Flüchtlingskrise einbringen.

Welche rechtlichen Änderungen fordern Sie?

Kramer: Es ist gut, dass die Große Koalition das Zeitarbeitsverbot für Asylbewerber und Geduldete abschaffen will, und dass Flüchtlinge nun bereits nach 15 Monaten eine Beschäftigung in der Zeitarbeit aufnehmen können – bisher waren es 48 Monate. Das reicht aber nicht: Wir brauchen eine Gleichstellung der Zeitarbeit mit allen übrigen Beschäftigungsarten, also eine Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland. Das hat Horst Seehofer verhindert. Zugleich fordern wir, die Vorrangprüfung abzuschaffen. Hier einen Unterschied zwischen Zuwanderern und Einheimischen zu machen ist reiner Populismus. Jeder Tag, an dem Flüchtlinge in den Erstunterkünften sind und nichts zu tun haben, ist verlorene Zeit. Wir müssen sofort mit Sprachkursen beginnen, mit der Berufsvorbereitung, mit der Berufsausbildung.

Reimann: Das geschieht doch alles schon. Der Schlüssel zu Integration und zur Arbeitsaufnahme ist natürlich die Sprache. Deshalb müssen die Sprachkurse so früh wie möglich beginnen. Das Arbeitsministerium verfolgt da ein integriertes Konzept, bei dem auch berufsorientierte Fachkenntnisse vermittelt werden. Indem wir den Flüchtlingen zunächst etwas Zeit geben, sich zu orientieren, verhindern wir auch, dass sie in erster Linie nur ausgenutzt und nicht gefördert werden. Die Vorrangprüfung werden wir nicht abschaffen, sie gilt für Mangelberufe ja sowieso nicht. Das Ergebnis wäre, dass viele Arbeitnehmer – besonders die geringer qualifizierten – die Flüchtlinge als Bedrohung erleben würden.

Kramer: Ich sehe keinen Grund, warum Unternehmen und Zeitarbeitsfirmen unterschiedlich behandelt werden. Auch wir möchten die Geflüchteten bereits nach drei Monaten beschäftigen dürfen – zumal es doch unsere Branche ist, die für Menschen mit Vermittlungshemmnissen erwiesenermaßen einen positiven Beitrag leistet.

Reimann: Ich glaube, die Diskussion geht am Leben vorbei. Die Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen müssen sich doch erst einmal organisieren und die Sprache lernen. Das dauert seine Zeit.

Kramer: Es gibt durchaus Betriebe, die international arbeiten und sich über Menschen freuen, die den arabischen Raum kennen. Ich weiß, in der Regel wird es nicht möglich sein, jemanden nach drei Monaten in Beschäftigung zu bringen. Aber in den Einzelfällen, wo es möglich ist – warum nicht? Bei diesem Thema sollten alle an einem Strang ziehen und die Grabenkämpfe sein lassen. Wir haben doch alle dasselbe Ziel.

Frau Reimann, was ist die Leiharbeit für die SPD – eher eine Chance oder ein notwendiges Übel?

Reimann: Es ist zumindest nicht immer das, was wir unter „guter Arbeit“ verstehen. Wir haben bei der Leiharbeit lange auf den Klebeeffekt gesetzt – also darauf, dass Leiharbeitnehmer von den Betrieben, in die sie entsendet werden, anschließend übernommen werden. Einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt– und Berufsforschung (IAB) zufolge bleiben aber nur sieben Prozent der Leiharbeitnehmer „kleben“. Was sich Rot-Grün von der Flexibilisierung der Leiharbeit einmal versprochen hat, ist nicht eingetreten. Und selbst wenn der Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt gelingt, sind es häufig keine unbefristeten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse. Andererseits wird Leiharbeit bei derzeit etwa 850 000 Beschäftigten immer ein Bestandteil unseres Wirtschaftsmodells sein. Deswegen müssen wir sie gut regeln. Dann kann sie tatsächlich eine Chance sein – auch für Geflüchtete.

Viele Leiharbeitnehmer fühlen sich in den Betrieben unsicher. In der Hoffnung, irgendwann übernommen zu werden, verhalten sie sich unterwürfiger als andere. Und wenn sie krank sind, ist der Druck groß, schnell wieder gesund zu werden – sonst macht ja jemand anderes den Job. Herr Kramer, wie begegnen Sie dieser Kritik?

Kramer: Wir verweisen auf die Fakten. Unsere Arbeitnehmer haben in der Regel ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis mit sämtlichen Arbeitnehmerschutzrechten. Der überwiegende Anteil der Arbeitsverhältnisse wird unbefristet geschlossen, entgegen dem Trend in der übrigen Wirtschaft. Was den Klebeeffekt angeht, muss man sich die Zahlen genau angucken: Die genannten sieben Prozent aus der IAB-Studie beziehen sich auf Personen, die zuvor langzeitarbeitslos waren. Die Bundesagentur für Arbeit wäre froh, wenn sie in diesem Personenkreis eine solche Vermittlungsquote hätte. Wenn wir die qualifizierten Arbeitnehmer hinzuzählen, liegt der Klebeeffekt bei rund 30 Prozent.

Leiharbeiter sind zudem länger und deutlich häufiger arbeitsunfähig geschrieben als regulär Beschäftigte.

Kramer: Das bedauern wir. Es liegt auch daran, dass die Mitarbeiter an unterschiedlichen Orten eingesetzt werden und die Gefahrenquellen in den Betrieben teilweise nicht gut genug kennen. Zusammen mit unserer Berufsgenossenschaft betreiben wir aber einen großen Aufwand, um die Risiken zu minimieren.

Die Stammbelegschaften beäugen Zeitarbeiter eher kritisch, auch weil sie aus der Mitbestimmung teilweise ausgeschlossen sind. Wie lässt sich verhindern, dass Leiharbeit die Belegschaften spaltet?

Reimann: Leiharbeit ist für jede Belegschaft eine Herausforderung, wenn sie sehen, dass die gleichen oder ähnliche Arbeiten von Leihbelegschaften erledigt werden. Es gibt ja sogar Konzerne mit hauseigenen Leiharbeitsfirmen. Wir unterstützen daher die Forderung der Betriebsräte, dass Leiharbeitnehmer mitbestimmungsrechtlich stärkere Berücksichtigung finden sollen. Zum Beispiel sollen sie mitzählen, wenn es um die Schwellenwerte für die Betriebsverfassung und die Unternehmensmitbestimmung geht. Außerdem sollen Leiharbeitnehmer nicht als Streikbrecher eingesetzt werden dürfen.

Kramer: Nichts dagegen. Ich bin auch dafür, den Einsatz von Leiharbeitern als Streikbrecher zu verbieten, wie es die Regierung vorhat.

Die Große Koalition will den „Equal Pay“-Grundsatz nach neun Monaten. In vielen Branchen gibt es für die Leiharbeitnehmer nach Tätigkeitsdauer gestaffelte Zuschläge. Bleiben diese erhalten?

Reimann: Ja, wenn die entsprechenden Tarifverträge eine stufenweise Heranführung des Lohns an Equal Pay vorsehen. Dann ist es ja eine Besserstellung der Arbeitnehmer. Die Regelung ist ein Anreiz zum Abschluss von Tarifverträgen und erhöht die Tarifbindung.

Kramer: Ich bin Tarifverhandlungsführer des iGZ und wir haben in elf Branchen Zuschlagstarifverträge. Wer behauptet, die Tarifvertragsparteien seien nicht in der Lage, diesen Bereich selbst zu regulieren, hat beim Thema Tarifautonomie irgendetwas nicht richtig verstanden. In unseren Branchenzuschlagstarifverträgen steht sinngemäß drin: Sobald der Gesetzgeber das Thema Equal Pay angeht, gibt es ein Sonderkündigungsrecht. Wenn der Gesetzgeber – nach meiner Auffassung unerlaubterweise – so in die Tarifautonomie eingreift, ist nicht auszuschließen, dass wir gezwungen werden, die Branchenzuschläge zu kündigen. Die Folge: Viele Leiharbeitnehmer würden neun Monate lang den Flächentariflohn ohne Zuschläge bekommen – und erst danach die gesetzlich vorgeschriebene gleiche Bezahlung. Außerdem: Wonach bemisst sich denn Equal Pay? Sind da Aktienoptionen oder Gewinnbeteiligungen der Belegschaften enthalten? All das muss umständlich definiert werden. Glauben Sie doch den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden, dass wir das Thema Entgelt besser regeln können als Sie hier aus dem Berliner Elfenbeinturm heraus.

Frau Reimann, wie wollen Sie verhindern, dass Equal Pay am Ende zu niedrigeren Löhnen führt?

Reimann: Equal Pay soll ja bewirken, dass für gleiche Arbeit gleicher Lohn bezahlt wird. Angesichts der vielen sehr kurzzeitig Beschäftigten in der Leiharbeitsbranche ist eine starre Equal Pay-Lösung nach neun Monaten nicht optimal. Daher werden Branchentarifverträge hiervon abweichen können, wenn Zuschläge bereits nach sechs Wochen gezahlt werden und Equal Pay dann erst später erreicht wird. Das hilft den allermeisten Arbeitnehmern in der Leiharbeit. Unter Equal Pay sollen übrigens alle Lohnbestandteile fallen, die auch auf der Lohnabrechnung der Stammbeschäftigten auftauchen. Einfacher geht es nicht.

Die Regierung will eine Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten. Klingt doch vernünftig: Wer so lange in einem Betrieb arbeitet, kann doch nicht mehr ernsthaft als Leiharbeitnehmer bezeichnet werden.

Kramer: Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu, aber die Regelung hat einen Haken. Was passiert denn, wenn das Kundenunternehmen nach 18 Monaten sagt: Ich möchte den Arbeitnehmer nicht einstellen, weil er in einem zeitlich begrenzten Projekt arbeitet? Oder wenn der Mitarbeiter bei seiner Zeitarbeitsfirma bleiben möchte, weil die ihn dort gut behandeln? Dann wird er also anderswo eingesetzt, wo er womöglich von vorne anfängt und viel weniger verdient.

Reimann: Für solche Fälle werden wir eine Öffnungsklausel vorsehen. Das steht schon im Koalitionsvertrag. Gerade wenn es um die höher Qualifizierten geht, die projektbezogen arbeiten, sind die Tarifpartner in der Lage, differenzierte Lösungen zu finden. Wird jemand ohne diese Möglichkeit länger als 18 Monate lang beschäftigt, entsteht ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher. Es sei denn, der Arbeitnehmer beziehungsweise die Arbeitnehmerin widerspricht dem. Dann bleibt es bei dem -Arbeitsverhältnis mit der Leiharbeitsfirma.

Kramer: Welche Tarifpartner haben Sie denn da auf dem Schirm? Ich bin skeptisch, wenn die IG Metall mit dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall die Höchstüberlassungsdauer in der Metall- und Elektroindustrie regeln soll. Gesamtmetall hat mit den Zeitarbeitnehmern nämlich nichts zu tun. Auch der iGZ möchte mit der IG Metall verhandeln dürfen, für wie lange man in einer bestimmten Branche von den 18 Monaten abweichen darf. Auch das hat ja etwas mit Tarifautonomie zu tun.

Reimann: Die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche können am ehesten entscheiden, ob es tatsächlich notwendig ist, von der Regelung abzuweichen. Auch deshalb, weil wir die Höchstüberlassungsdauer ja vor allem zum Schutz der Stammbelegschaften einführen wollen.

Viele Firmen verzichten zunehmend auf Leiharbeitnehmer und vergeben stattdessen Werkverträge. In der Diskussion wird beides häufig in einen Topf geworfen. Herr Kramer, ärgert Sie das?

Kramer: Ja, weil es zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Zeitarbeit bedeutet: Ein Mitarbeiter wird von Unternehmen A zu Unternehmen B geschickt, das dann – zeitlich begrenzt – weisungsbefugt ist. Beim Werkvertrag erstellt ein Unternehmen für ein anderes ein Gewerk und entscheidet frei, wie es das hinbekommt. Und wenn das Produkt nicht stimmt, muss eben nachgebessert werden.

Reimann: Das Problem ist, dass es Arbeitgeber gibt, die vor allem durch die Ausbeutung von Menschen im Wettbewerb bestehen wollen und nicht über die Qualität ihrer Produkte. Seit Leiharbeit wieder besser reguliert ist, versuchen sie ihre Lohndrückerei über Werkvertragskonstruktionen zu organisieren. Das wollen wir in Zukunft unterbinden.

Aber viele Menschen mit Werkverträgen wollen die Selbständigkeit. Viele sind gut ausgebildet und verdienen gut. Wo liegt das Problem?

Reimann: Werkverträge gibt es seit 140 Jahren, und gute Werkverträge wollen wir erhalten. Aber in einigen Branchen gibt es Auswüchse. Viele Betriebsräte haben das Problem, dass sie keinerlei Informationen über die Werkvertragsnehmer bekommen. Künftig sollen sie besser informiert werden, damit sie gegebenenfalls etwas gegen Missbrauch unternehmen können. Wir brauchen außerdem mehr Rechtssicherheit bei der Abgrenzung von Werkverträgen und Leiharbeit. Und wir wollen unterbinden, dass Arbeitgeber, die missbräuchliche Werkverträge vergeben, ihr Verhalten nachträglich als Leih-arbeit umdeklarieren können.

Viele Werkverträge werden an entsendete Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland vergeben – eine Konstruktion, die besonders anfällig für Missbrauch ist. Müsste man die Werkverträge europäisch regeln?

Reimann: Europäische Lösungen halte ich derzeit leider nicht für machbar. Aber schon die Ankündigung, gegen Missbräuche bei den Werkverträgen vorzugehen, hat dazu geführt, dass in vielen Branchen geprüft wird, ob das alles rechtens ist, was bisher gemacht wird. Selbst in der Fleischbranche scheint man die gröbsten Wildwüchse beseitigen zu wollen. Unsere nationale Politik wirkt also.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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