Alte Mode

Ein kleines Glossar der ökonomistischen "Modernisierer"

Noch immer bestimmt die Sprache der Wirtschaftsverbände, der Wirtschaftspresse und der Wirtschaftswissenschaft ganz wesentlich das Denken, Reden und Handeln der Politik in Deutschland. Dass das so ist, folgt keiner Naturgesetzlichkeit, sondern einer Mode. Es wird sich wieder ändern, zum Beispiel indem weniger Sozialdemokraten die Modephrasen der ökonomistischen "Modernisierer" nachplappern und mitschwatzen. Dazu eine kleine Distanzierungshilfe.

DEUTSCHLAND AG Diese vor fünfzehn Jahren mal originelle Spiegel-Formulierung sollte wohl den Wettbewerb der Volkswirtschaften untereinander betonen, die Konkurrenz der Deutschland AG mit der USA Inc., der Frankreich S.A. oder des VEB Sowjetunion. Da allerdings hatte und hat Deutsachland bis heute nie wirklich ein Problem: Kein großes Land der Erde exportiert pro Kopf der Bevölkerung mehr Güter und Dienstleistungen als unseres. Das muss wohl mit der enormen "Wettbewerbsfähigkeit" der von diesem Land aus tätigen Exportwirtschaft zu tun haben. Heute scheint das alt-witzige Sprachbild Deutschland AG noch eine neue, weitere Bedeutung aufgebürdet bekommen zu haben, nämlich dass Deutschland am besten so zu führen sei wie ein Wirtschaftsunternehmen. Das unterstellt, dass die Wirtschaft letztlich die Leitsphäre der Gesellschaft sei; dass ökonomische Rationalität alle anderen, "niederen" Rationalitäten - der Kirchen, des Militärs, der Wissenschaft, des Karnevals oder der Politik - im Hegelschen Sinne aufhebe. So aber ist die Welt nicht. Und Generationen von Demokraten, auch und gerade Sozialdemokraten, haben dafür gekämpft, dass vielmehr die politische Arena der Ort werde, an dem die Rationalitäten der gesellschaftlichen Subsysteme zu einem, dem gemeinen Wohl verpflichteten Ganzen geformt würden, national wie international.

REFORM Zwei Kampfhundbesitzer unterhalten sich auf einer Karikatur in der FAZ über ihre lieben Tiere. Fragt der eine: "Wie heißt deiner denn?" Sagt der andere: "Ich nenne ihn Reform, davor haben die Leute am meisten Angst." Reform soll heute heißen: Schmerzen, Einschnitte, Verzicht. Und die das so fordern, richten sich nicht an die Reichen, sondern an die Vielen.

FLEXIBILISIERUNG Die stete Klage des besitzenden Bürgertums gegen den Staat lautet seit zweihundert Jahren, alles Regelwerk sei zu starr und eng. Das kann nicht anders sein. Es ist die gesellschaftliche Aufgabe des wirklichen Unternehmers, Grenzen überschreiten, Hindernisse überwinden, Barrieren durchbrechen zu wollen. Und die Aufgabe des Staates ist es, Regeln, Verbindlichkeit, Sicherheit für alle zu garantieren. Der Konflikt um "Flexibilisierung" ist nicht auf ein Ende, auf einen Siegfrieden hin angelegt, sondern muss immer wieder neu ausgetragen werden. Dabei verändern sich die Grenzen, Hindernisse und Barrieren. Die Rollenverteilung aber ändert sich nicht. Das müssen auch die politischen Mitspieler auf der Seite des Staates wissen.

BÜROKRATIEABBAU Niemand hat jemals gewagt, in ein politisches Programm die Forderung "Mehr Bürokratie wagen" zu schreiben. Trotzdem haben viele den Eindruck, es gebe tatsächlich immer mehr Bürokratie. Und das, obwohl alle Parteien auf allen Ebenen sich einig sind: Bürokratie ist dazu da, "abgebaut" zu werden. Woran liegt das? Die Bürokratieabbau-Forderung konkurriert mit den scheinbar verwandten liberalen Forderungen nach "Flexibilisierung" und "Deregulierung". Diesen zu folgen, heißt, stets neue Ausnahmen von der Regel zu schaffen, also: neue Regeln. Es dürfte im übrigen auch grundsätzlich wenig realistisch sein, dass in einer insgesamt komplexer werdenden Gesellschaft das verbindliche Regelwerk immer einfacher werden kann. Die richtige fortschrittliche politische Folgerung aus solcher Erkenntnis könnte lauten, statt "weniger": bessere und nettere Bürokratie!

EIGENVORSORGE Der Begriff suggeriert, man könne fürs Alter heute ganz individuell, nur für sich sparen oder anlegen, damit die Erträge einem Jahrzehnte später, im Alter, ganz allein gehören, damit niemand sie einem kürzen oder wegnehmen kann. Wer Eigenvorsorge betreibt, will gewissermaßen der Gesellschaft, der Politik und der Zukunft ein Schnippchen schlagen: meins bleibt meins. Kann sein, kann nicht sein. Sicherer als die solidarische Umlagerente mit ihren Beiträgen oder die soziale Sicherung mit ihrer Steuerfinanzierung, gegen die sich die "Eigenvorsorge"-Propaganda oft richtet, ist das individuelle Modell mit den erhofften Zinserträgen am Ende auch nicht. Ob in dreißig Jahren die Dividenden steigen, die Aktienkurse klettern, die Mieteinnahmen sprudeln und Zins und Zinseszins goldene Eier legen, hängt allein davon ab, wie es dann unserer Volkswirtschaft gehen wird. Geht es ihr schlecht, fallen die Kapitalerträge gering aus, wie auch das Aufkommen aus Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern. Geht es gut, sind alle drei Faktoren ordentliche Rentenzahler. Der Königsweg wäre wohl, die drei Faktoren - Beiträge, Steuern und Kapitaldeckung ("Eigenvorsorge") - zu annähernd gleichen Teilen zu verbinden (das ist das Programm der rot-grünen Rentenreform). Zu welchem Lebensniveau das im Alter führt, kann heute wirklich niemand ausrechnen. Es hängt entscheidend davon ab, ob unsere Gesellschaft sich mit ihrer Geburtenrate von 1,3 auf je zwei Erwachsene sukzessive, aber zügig selber abschafft oder nicht. Einen Altersvorsorge-Trick, mit dem dieses Problem der Demographie sich per raffiniertem Gesetzesbeschluss aus der Welt schaffen ließe, gibt es nicht. So heißt am Ende die "Eigenvorsorge", die allen zugute kommt: Kinder.

zurück zur Person