Unser Amerika

EDITORIAL

"Now on the street tonight the lights grow dim The walls of my room are closing in There′s a war outside still raging you say it ain′t ours anymore to win" Bruce Springsteen, No Surrender

"Man kann kein Antiamerikaner sein, wenn man Bruce Springsteen mag", schreibt Eric Alterman, renommierter Kolumnist der amerikanischen Zeitschrift The Nation, in seinem Essay "USA oui! Bush non!" in dieser Ausgabe der Berliner Republik. Das ist so richtig wie beruhigend. Allzu oft in den vergangenen Wochen und Monaten haben Unwissende oder Böswillige den Versuch unternommen, begründete Zweifel am außenpolitischen Kurs der Regierung Bush als Ausdruck von Antiamerikanismus zu denunzieren. Doch George W. Bush, Donald Rumsfeld oder Richard Cheney stehen nicht für das ganze Amerika. Und niemand in Amerika, in Deutschland oder irgendwo sonst muss sich einreden lassen, er übe Verrat an Amerika, wenn er die Politik, ja auch den Gestus und Habitus der gegenwärtigen amerikanischen Administration ablehnt.

"Amerika und wir" heißt der Schwerpunkt dieses Heftes. Wir hätten auch das Motto "Unser Amerika" wählen können. Denn gerade in diesen Tagen kommt einiges darauf an, dass auf beiden Seiten des Atlantik nicht das Bewusstsein davon abhanden kommt, dass wir gemeinsame Hoffnungen, Interessen und zivilisatorische Fundamente besitzen, die zu verteidigen sich lohnt. Es gibt ein Amerika diesseits von George W. Bush. Dies nicht zu vergessen (und sich auch nicht ausreden zu lassen), wird in dieser finsteren Zeit umso wichtiger. Europa wird sich in Zukunft weit stärker aus eigener Kraft behaupten müssen - auch in verteidigungspolitischer Hinsicht, wie etwa Markus Frenzel in diesem Heft darlegt. Aber damit darf nicht einmal ansatzweise eine Abwendung von denjenigen Gruppen in der amerikanischen Gesellschaft einhergehen, die die universalistischen Elemente unserer gemeinsamen nordatlantischen Zivilisation teilen.

Wie nie zuvor taucht in dieser Ausgabe der Berliner Republik das Thema des Heftschwerpunktes auch in nahezu allen anderen Beiträgen auf, wo nicht ausdrücklich, da zumindest implizit. Ob es etwa um die Lage Polens vor dem Beitritt zur EU geht (die Ulrike Mühlberg und Julia Walter analysieren) oder um die historiographische Aufarbeitung des alliierten Bombenkrieges gegen Deutschland im Zweiten Weltkrieg (mit der sich Frank Lübberding in einem großen Review-Essay beschäftigt) - stets geht es heute zugleich um Amerika und Europa, um Krieg und Frieden, um Zivilisation und Anarchie. Dass ein einziges Thema auf nahezu alle Lebensbereiche ausstrahlt, illustriert die ganze Dramatik der Lage, in die wir geraten sind. "We are on a fast train to hell", schreibt John B. Judis. Gerade deshalb brauchen das Andere Amerika und das Alte Europa einander heute umso mehr.

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