Als der Wein noch süß war

Jürgen Neumeyer isst mit Werner A. Perger, Publizist und Autor, ehemaliger Politikchef und stellvertretender Chefredakteur der Zeit, im Restaurant Il Pane e le Rose - Brot und Rosen, Am Friedrichshain 6, 10407 Berlin/Bötzowviertel (täglich ab 12.00 Uhr geöffnet)

Ich habe das Bötzowviertel erst neu für mich entdeckt“, sagt Werner A. Perger. Und zwar im September, während des jüngsten Sonderparteitages der SPD in Berlin. Perger moderierte die Festveranstaltung zu „20 Jahre Sozialdemokratie im vereinten Deutschland“, anschließend ging er auf das Fest des vorwärts. Aber weil er sich nach dem Parteitag „heimatlos“ gefühlt habe, ließ er sich von dem Schriftsteller Ingo Schulze bereitwillig ins Brot und Rosen mitschleifen. Seitdem war Perger, der am Kollwitzplatz wohnt, häufiger in diesem Teil vom Prenzlauer Berg. Wir bestellen uns beide ein Menü mit italienischer Vorspeise und Hauptgang. Die Menüs kosten alle zwischen 9 und 13 Euro. Das Restaurant hat drei große Räume mit schlichtem, aber geschmackvollen Interieur. Am Wochenende bekomme man hier ohne Vorbestellung selten einen Platz, sagt Perger.

Als der Österreicher im Jahr 1970 nach Bonn kam, hatte er, der Auslandskorrespondent, gegenüber seinen jungen einheimischen Kollegen den Vorteil, für alle deutschen Themen zuständig zu sein. Auf diese Weise fand er früh Kontakt zu verschiedenen Ebenen der Bonner Republik. Damals schrieb er für Die Presse – „eine wichtige Zeitung eines unwichtigen Landes“. Unter anderem besuchte er auch den damaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Helmut Kohl: „Der hatte einen Tick für Österreich.“ Später wurde Perger Vorsitzender des Vereins der Auslandspresse und durfte in diesem Amt gelegentlich am Internationalen Frühschoppen teilnehmen. Es war die Zeit, in der die Studiogäste reichlich rauchten und Alkohol tranken. Perger war der Wein aber immer zu süß. Er trank im Fernsehen lieber Apfelsaft: „Ich tat so als ob, und schenkte den Saft ins Weinglas. Der hatte ja eine ganz ähnliche Farbe.“

Zurzeit ist der 68-Jährige selten in Berlin, dafür häufig in Wien. Dort betreut er für das Renner-Institut der SPÖ eine Veranstaltungsreihe zum Thema „Perspektiven für die Sozialdemokratie in Europa“ und lädt Sozialdemokraten wie Peer Steinbrück, Pär Nuder, Job Cohen oder Frank-Walter Steinmeier ein. Ihm liegt viel an progressiver Politik. Aber: „Progressives Denken findet ja nicht nur bei der SPD und den Gewerkschaften statt.“ Schon als politischer Korrespondent der Presse in den siebziger Jahren fand er den Kontakt zu „Progressiven in der CDU“ im Umfeld von Heiner Geißler und Helmut Kohl: Warnfried Dettling, Horst Teltschik, Peter Radunski oder Wulf Schönbohm. „Diese modernen Konservativen haben mich
immer interessiert“, sagt Perger. „Da gab es keinerlei protokollarische Probleme.“ Zu den Themen der Konservativ-Progressiven gehörten die Modernisierung der CDU oder das Subsidiaritätsprinzip.

Und dann schwärmt Perger von den vielen Jugendlichen mit frischen Ideen auf Katholikentagen in den siebziger Jahren, noch bevor sich die Grünen gegründet hatten. Und von einem Kongress über „Lebensqualität“ der IG Metall: „Das muss man sich heute mal vorstellen!“ Die Mitarbeiter aus den Planungsstäben der SPD erkannten es sehr wohl: „Wir verpassen da etwas.“ Die intellektuellen Gallionsfiguren der Sozialdemokratie hießen damals Oskar Negt und Erhard Eppler, erinnert sich Werner Perger fast ein bisschen wehmütig. Heute treibt ihn die Frage um, ob es so etwas wie einen „modernen, aufklärerischen Populismus“ geben könne, um dem antiaufklärerischen Populismus der Haiders, Wilders und Lafontaines etwas entgegenzusetzen. Vor allem auch von Frank-Walter Steinmeier wünscht sich Perger „mehr Populismus“. Schließlich sei der Transfer neuer, progressiver Ideen in die Gesellschaft bisher nicht gelungen. „Und wer weiß, ob er noch gelingt?“ Immerhin, einige Erfolge gebe es: „Steinbrücks Buch ‚Unterm Strich‘ ist eines der besten politischen Bücher der vergangenen Jahre.“

Die SPD stehe heute objektiv besser da, als es die Umfragen ahnen ließen, meint Perger, denn die sozialdemokratischen Werte seien so aktuell wie eh und je. Dennoch brauche die SPD eine Generalüberholung. „Sie sollte den Wunsch der Bürger nach Mitsprache aufnehmen.“ Außerdem müsse die Partei stärker daran arbeiten, „das Zusammenleben der Bürger zu verbessern“. Dabei sieht Perger besonders die sozialdemokratischen Abgeordneten in der Pflicht. Sie müssten so etwas sein wie „der Petitionsausschuss vor Ort“. Als mögliches Vorbild nennt er Hans-Jochen Vogel, der sich als Bundestagsabgeordneter akribisch um die Anliegen der Bürger seines Wahlkreises gekümmert habe. „Wo klagen denn die Leute heute ihr Leid? Beim Arzt, nicht bei den Politikern!“

Wir sprechen über die Zeit, für die er seit 1991 arbeitet, zuletzt als Politikchef und stellvertretender Chefredakteur. Früher, sagt Perger, seien die Hierarchien flach gewesen. So hätten etwa die Redakteure des Bonner Büros die Themen gar nicht untereinander aufgeteilt – jeder durfte über alles schreiben. Heute sei der Betrieb viel straffer organisiert. „Das Hauptstadtbüro ist riesengroß, mehr Leute erfordern auch mehr Koordinationsaufwand.“ Und einen Vorgesetzten: „Wenn der Chef gern Chef ist, verfestigt sich das. Die Achtundsechziger sind in Frieden herausgewachsen.“ Werner Perger zählt sich ungesagt dazu.

Gibt es etwas, das ihm an der Zeit missfällt? In einer bestimmten Phase habe die Hamburger Wochenzeitung so einen „gepflegt dozierenden Tonfall“ angeschlagen. Motto: „Ich erklär’ euch die Welt!“ Perger wollte dabei nicht mitmachen, sondern seine Position genau und abwägend erläutern. Wie sein Kollege und Freund Gunter Hofmann habe er sich nicht auf die Seite eins gedrängt, dafür lieber Portraits auf „der zwei oder drei“ geschrieben. „Da konnte man Werteprioritäten besser transportieren.“ Leider kehre die dozierende Zeitdiktion zurück, beobachtet Perger: „Erstens! Zweitens! Drittens! Die Regierung muss! Die Kanzlerin muss!“

Der Oktopussalat hat ihm sehr geschmeckt. Die Küche des Brot und Rosen sei so gut, dass er sogar seine Freunde aus West-Berlin hierher ins Bötzowviertel locken könne; normalerweise trifft man sich auf neutralem Boden: in Mitte. „Um das beliebteste Modewort aus der Politik zu benutzen: Hier ist es authentisch.“ Außerdem gehe es nicht so laut und hektisch zu wie etwa bei der Konkurrenz Herr Rossi in der Winsstraße. Hat Werner Perger noch eine besondere Empfehlung für die Leserinnen und Leser? „Die Spaghetti mit den schwarzen Trüffeln sind hervorragend!“ «

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