95 Prozent Schwarzarbeit

Für haushaltsnahe Dienstleistungen gibt es derzeit in Deutschland so gut wie keinen formellen Markt. Damit dieser Markt entstehen kann, bedürfen solche Tätigkeiten öffentlicher Subventionierung

In einer alternden Gesellschaft bergen personenbezogene und haushaltsnahe Dienstleistungen große Potenziale. Gerade haushaltsnahe Dienstleistungen gelten als wichtiges Beschäftigungsfeld. Gäbe es auf diesem Gebiet mehr formelle Beschäftigung, so könnte die Erwerbstätigkeit der Nutzer von Dienstleistungen ebenfalls zunehmen: Sie würden von der informellen Pflege ihrer Angehörigen beziehungsweise Eigenarbeit entlastet. Beide Seiten – die Nutzer und die Dienstleistungserbringer – würden in größerem Umfang für ihre Tätigkeit entlohnt; Steuern und Sozialabgaben würden steigen. Zudem bieten regulär erbrachte Dienstleistungen zusätzliche Möglichkeiten der Qualifizierung und Professionalisierung.

In welchem Umfang formelle Dienstleistungen erbracht werden, hängt davon ab, wie erschwinglich und – aus Sicht der Dienstleister – attraktiv ausgestaltet sie sind. Doch bis jetzt wurde in Deutschland noch kein Gesamtkonzept dafür entwickelt, wie ein formeller Markt geschaffen werden könnte. Was es gibt, sind Modellprojekte von Dienstleistungsagenturen auf lokaler Ebene und mit zeitlich befristeter Projektfinanzierung.

Um Dienstleistungen zu formalisieren, haben manche Staaten im großen Stil öffentlich kofinanzierte zweckgebundene Gutscheinmodelle eingeführt. Die belgischen „titres-services“ sind auf haushaltsbezogene Dienstleistungen beschränkt wie Putzen, Waschen, Bügeln, Kochen und Einkaufen. Sie werden von Unternehmen angeboten, die auf Gutscheine spezialisiert und staatlich anerkannt sind. Es erbringen also Angestellte der Anbieterfirmen die Dienstleistungen, und nicht direkt in den privaten Haushalten angestellte Personen.

In Frankreich besteht seit 2006 mit dem „Chèque Emploi Service Universel“ (CESU) ein Gutscheinmodell, das sich von dem belgischen Programm in vieler Hinsicht unterscheidet: Die Schecks können bei Banken erworben und zur Entlohnung von Pflegepersonal, Kinderbetreuern, Haushaltshilfen oder Handwerkern verwendet werden. Zugleich werden damit die Anmeldeformalitäten im Fall einer direkten Anstellung im privaten Haushalt geregelt und die Sozialabgaben der Arbeitgeber beglichen. Alternativ können die Nutzer damit externe Dienstleister bezahlen. Ferner bietet der CESU die Möglichkeit, sozialstaatliche Dienstleistungen abzuwickeln. Diese Variante stellen Gebietskörperschaften oder Sozialversicherungsträger etwa für Pflegebedürftige zur Verfügung. Auch besteht die Option, dass Unternehmen an ihre Beschäftigten vorfinanzierte Schecks ausgeben.

In vielen EU-Staaten sind hauswirtschaftliche Dienstleistungen überwiegend im informellen Bereich angesiedelt. Einige Länder, die das Ziel vermehrter formeller Beschäftigung in diesem Sektor strategisch verfolgen, streben eine Professionalisierung an, wenngleich diese Tätigkeiten häufig von Menschen mit geringer beruflicher Qualifikation gewählt werden, die längere Phasen der Erwerbslosigkeit hinter sich haben. Dabei erreichen die belgischen und französischen Fördermodelle auf der Basis von Dienstleistungsschecks eine stärkere Einbindung in normale Beschäftigungsbedingungen mit tariflicher Abdeckung und sozialer Absicherung als die Minijobs in deutschen Privathaushalten. Das hängt mit der stärkeren Rolle formeller Dienstleistungsunternehmen und Tarifverträge zusammen. Allerdings sind die Entlohnungs- und Aufstiegschancen in der Regel begrenzt. Seit 2007 besteht im belgischen „titres-services“ jedoch ein Bildungsfonds, der dazu dient, den Arbeitgebern die Kosten für die Aus- und Weiterbildung teilweise zu erstatten. Dieser Fonds wird aus Steuermitteln bezuschusst. In Frankreich gehen die beruflichen Qualifizierungsmöglichkeiten auf Anstrengungen des für diesen Sektor zuständigen Verbandes zurück. Erworbene Qualifikationen können zertifiziert werden.

Angemessene Quantität und Qualität

Die Verlagerung von Dienstleistungen aus dem informellen Bereich in den formellen Markt, die Verfügbarkeit von formellen Dienstleistungen in angemessener Quantität und Qualität, aber auch die Arbeitsbedingungen in diesem Sektor werden wesentlich davon beeinflusst, in welchem Umfang für eine ausreichende und dauerhafte Finanzierung gesorgt wird. In Arbeitsmärkten, die durch hohe Sozialbeiträge und Steuerbelastungen gekennzeichnet sind, besteht eine starke Konkurrenzbeziehung zwischen formellen Dienstleistungen und Eigenarbeit beziehungsweise Schwarzarbeit. Dienstleistungen werden nur dann regulär erbracht, wenn der Keil zwischen Arbeitskosten und Nettoverdiensten durch Steuer- und Abgabenentlastungen so verringert wird, dass sie für die nachfragenden Haushalte erschwinglich und für die Erbringer attraktiv werden.

Um einen formellen Markt zu schaffen, die Schwarzarbeit zu bekämpfen und die Arbeitsmarktchancen von Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten zu verbessern, existiert bei den belgischen „titres-services“ seit 2004 ein mehrstufiges Subventionierungsmodell. Maximal 750 Dienstleistungsschecks zum Preis von 7,50 Euro, aber mit einem Gegenwert von 20,80 Euro für eine Arbeitsstunde können jährlich erworben werden (2 000 Schecks pro Jahr bei Haushalten mit Kindern, bei Älteren oder Menschen mit einer Behinderung). Sie werden also zu zwei Dritteln staatlich bezuschusst. Des Weiteren können die registrierten Nutzerhaushalte die Aufwendungen für Schecks zu 30 Prozent steuerlich absetzen, bis zu einer Obergrenze von 2.510 Euro pro Jahr. Somit kostet eine Arbeitsstunde nur 5,25 Euro. Im Jahr 2010 nutzten rund 760 000 Belgier die Gutscheine, das sind rund acht Prozent der Bevölkerung. Etwa 2 600 Unternehmen mit knapp 140 000 Beschäftigten waren im Jahr 2010 in diesem Feld tätig. Zur Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen gibt Belgien jährlich rund 1,4 Milliarden Euro aus. Dem stehen zusätzliche Steuereinnahmen und Sozialabgaben in Höhe von 360 Millionen Euro und Einsparungen bei Sozialleistungen von etwa 260 Millionen Euro gegenüber. Insgesamt belaufen sich die Nettokosten also auf ungefähr 800 Millionen Euro. Zieht man weitere Kreislaufeffekte mit in Betracht, zum Beispiel die höhere Erwerbstätigkeit auf Seiten der Nutzer, liegen die Nettokosten schätzungsweise bei 300 Millionen Euro – das heißt bei einem Viertel der Bruttokosten. Befragungen der Nutzerhaushalte zeigen, dass das Fördermodell zu einer Verlagerung aus dem informellen in den formellen Bereich beigetragen hat.

In Frankreich sind die Dienstleistungsschecks für Erwerbstätige bis zu einer Obergrenze von 12.000 Euro pro Jahr zur Hälfte steuerlich absetzbar. Je Kind oder älterer Person können weitere 1.500 Euro angerechnet werden, maximal bis zu einer Grenze von 15.000 Euro. Geringverdiener erhalten eine Steuergutschrift von maximal 1.500 Euro. Werden externe Dienstleister beauftragt, kommt ein ermäßigter Umsatzsteuersatz von 5,5 Prozent zur Anwendung; bei einer direkten Anstellung im Haushalt werden die Sozialabgaben des Arbeitgebers ermäßigt beziehungsweise fallen ganz weg. Für Unternehmen sind diese Aufwendungen bis zu 1.830 Euro pro Jahr und Beschäftigtem von den Sozialabgaben befreit. Außerdem können die Arbeitgeber maximal 25 Prozent der Aufwendungen bis zu 500.000 Euro pro Jahr steuerlich geltend machen.

Die Beispiele Belgiens und Frankreichs zeigen, dass ein erhebliches Potenzial an formellen Tätigkeiten im haushaltsnahen Bereich mobilisiert werden kann, wenn die Arbeitskosten mittels staatlicher Bezuschussung auf ein Maß reduziert werden, das diese Dienstleistungen erschwinglich macht. Zudem ist auffällig, dass in beiden Ländern Unternehmen die Dienstleistungen erbringen und es nicht allein um direkte Anstellungsverhältnisse in den privaten Haushalten geht. Im Gegensatz zu Belgien zeichnet sich Frankreich dadurch aus, dass auch externe Sponsoren wie Arbeitgeber in die Kofinanzierung einbezogen werden, unterstützt mit steuerlichen Anreizen. Dies vermindert die direkten staatlichen Aufwendungen.

Jetzt muss die Gesellschaft sich entscheiden

Mit dem „Haushaltsscheckverfahren“ ist zwar auch in Deutschland eine vereinfachte Anmeldung von Haushaltshilfen möglich, doch beschäftigt der Privathaushalt den Dienstleister direkt auf der Basis eines Minijobs. Die steuerliche Förderung in Höhe von 20 Prozent der Ausgaben bis maximal 510 Euro pro Jahr bedeutet im Grunde, dass der Staat in Deutschland auf die Sozialabgaben verzichtet. Kommen sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zustande, können 20 Prozent bis maximal 4.000 Euro steuerlich geltend gemacht werden. Neben der direkten Anstellung im Privathaushalt können haushaltsnahe Dienstleistungen zu 20 Prozent bis maximal 4.000 Euro sowie Renovierungsarbeiten durch Handwerker zu 20 Prozent bis maximal 1.200 Euro im Jahr steuerlich abgesetzt werden. Insgesamt fällt diese Bezuschussung deutlich geringer aus als in Belgien und Frankreich. Dies erklärt auch das niedrige Niveau von etwa 240 000 Minijobs in Privathaushalten bei nur etwa 40 000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten auf diesem Gebiet. Mit diesem Modell konnte die Schwarzarbeit bislang nicht in nennenswertem Umfang reduziert werden. Schätzungsweise werden haushaltsnahe Dienstleistungen in 95 Prozent aller Fälle schwarz erbracht.

Der Aufbau formeller Dienstleistungen setzt eine stabile Finanzierung voraus, die sowohl im personenbezogenen als auch im haushaltsnahen Bereich nicht ohne öffentliche Mittel auskommt. Nur so bleiben die Dienstleistungen für die Nutzer erschwinglich, ohne sie im Niedriglohnsektor anzusiedeln. Integrierte Dienste, die für die jeweiligen Bedarfslagen angemessene Lösungen bieten, werden immer im Grenzbereich zwischen der sozialstaatlich finanzierten Pflege und teilweise öffentlich geförderten haushaltsnahen Dienstleistungen operieren. Während in Kernbereichen personenbezogener, vor allem pflegerischer Dienstleistungen eine sozialstaatliche Finanzierung am wichtigsten erscheint, ist in anderen Bereichen eine private Ko-Finanzierung durchaus vertretbar. Werden etwa Arbeitgeber, die zum Beispiel von einer Entlastung ihrer Beschäftigten bei der Erbringung informeller Dienstleistungen profitieren, in die Kofinanzierung mit einbezogen, so kann das die notwendigen staatlichen Aufwendungen vermindern.

Fachkräftesicherung kann also auch eine Unterstützung der Arbeitgeber bedeuten, die die Dienstleistungen auf dem Markt erwerben. Den Kosten der Förderung über öffentliche Mittel stehen Erträge aus einer höheren Erwerbstätigkeit der Erbringer von Dienstleistungen und einer höheren Erwerbstätigkeit der Angehörigen von Pflegebedürftigen, besonders Frauen, gegenüber.

Es geht jedoch nicht einfach nur um mehr Geld und öffentliche Förderung, sondern auch um wirksame Mechanismen der Steuerung und Qualitätssicherung, um Mittel gezielt und effizient zu verwenden und hochwertige Dienstleistungen hervorzubringen. Umfassende Systeme, die für alle Bürger zugänglich sind, brauchen einen effizienten Mitteleinsatz, damit sie auf Dauer funktionieren. Sinnvoll ist die Kombination und Abstimmung der personenbezogenen (mehr pflegerischen) und der haushaltsbezogenen Dienstleistungen, um Über- wie Unterversorgung zu vermeiden.

Ohne einfache Abwicklungsmodalitäten und eine langfristig angelegte Förderung wird es nicht gelingen, den formellen Markt zu entwickeln. Wir brauchen keine weiteren befristeten regionalen Modellprojekte. Mit dem Haushaltsscheck, der über die Minijobzentrale abgewickelt wird, steht im Grunde bereits eine einfache administrative Lösung zur Verfügung, auf die aufgebaut werden kann. Der Übergang zu einem Modell mit gebündelten Angeboten durch spezialisierte Dienstleistungsanbieter würde auch die Schaffung von Arbeitsplätzen mit Arbeitszeiten in Vollzeit oder Teilzeit mit höheren Stundenzahlen sowie die Etablierung von Ausbildungsstandards und eine bessere Einbindung in arbeits- und sozialrechtliche Regelungen erleichtern. Auf diese Weise könnte das Tätigkeitsfeld insgesamt aufgewertet und als „normaler“ Teil des Arbeitsmarktes etabliert werden.

Fazit: Unterstützende Dienstleistungen bieten ein erhebliches wirtschaftliches Potenzial. Neue Arbeitsplätze können geschaffen und bislang informell Tätige entlastet werden. Um diese positiven Wirkungen zu entfalten, sind jedoch finanzielle Investitionen und innovative Lösungen erforderlich. Knappe Ressourcen erschweren die Erbringung guter Dienstleistungen zu attraktiven Arbeitsbedingungen, denn Qualität hat ihren Preis. Ein universelles System unterstützender Dienstleistungen erfordert deshalb eine gesellschaftliche Entscheidung darüber, ob man diese Dienstleistungen in einem formellen Arbeitsmarkt zu akzeptablen Bedingungen entwickeln möchte oder nicht. Professionelle und qualitativ hochwertige Dienstleistungen werden ohne dauerhafte Förderung nicht zu haben sein. Diese dauerhafte Förderung muss mit effizienten Organisationsstrukturen und Qualitätsstandards verbunden werden. 

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