"Wer zahlt, macht die Ansage"

»Poulette« - Jürgen Neumeyer speist und trinkt mit Jörg Asmussen, dem Staatssekretär im Finanzministerium und künftigen Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, im französischen Restaurant "Poulette", Knaackstraße 30-32, 10405 Berlin (täglich geöffnet, täglich wechselnde Speisekarte)

Jörg Asmussen schätzt „Geradlinigkeit“. Mit diesem Begriff begründet er auch die Wahl des Weines am heutigen Abend: Wir bestellen einen Sancerre Cuvée, die Flasche für 38 Euro. „Den trinkt Peer Steinbrück auch gerne“, sagt er. Wir sitzen in Jörg Asmussens Lieblingslokal, dem französischen Restaurant Poulette im Berliner Prenzlauer Berg. Als seine Frau mehrere Jahre in Frankreich arbeitete, wurde auch Asmussen frankophil. „Später wohnten wir im Bötzowviertel und gingen samstags häufig auf den Markt am Kollwitzplatz, irgendwann sind wir dann im Poulette hängengeblieben.“ Hier findet er es „nicht so schnöselig“ wie in vielen vermeintlichen Klassiker-Lokalen
in Mitte. „Es gibt anständige Bistroküche. Kein Firlefanz. Kein Kaninchenzoo mit Schaum von der australischen Erdbeere.“ Außerdem sei das Restaurant kinderfreundlich.

Es war der damalige Finanzminister Peer Steinbrück, der Asmussen im Jahr 2008 zum beamteten Staatssekretär machte. Seitdem gilt Asmussen als einer der wichtigsten Beamten Deutschlands und einflussreicher Manager der Finanzkrise. Auch Wolfgang Schäuble beließ den Sozialdemokraten im Amt. Am Jahresende steht nun der nächste Karrieresprung an. Dann soll Asmussen den zurückgetretenen Jürgen Stark als Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB) ablösen.

Im Poulette umgeben uns handgemalte Blumen an den Wänden, gedämpftes Licht und live gespielte Klaviermusik. Für Asmussen muss es eine Oase der Ruhe sein nach zwei Wochen Dauerstress mit Sitzungen in Paris, Frankfurt, Cannes und weiteren Städten. Heute war er seit langem erstmals wieder im Büro. Danach ist er nur kurz nach Hause gefahren, um seine Kinder ins Bett zu bringen. „Und um 22 Uhr bin ich noch mit meiner
amerikanischen Kollegin zum Telefonat verabredet.“ In Zeiten der Finanzkrise hat er ungefähr zwei freie Abende im Monat.

Asmussen ist so viel in der Welt unterwegs, weil in seine Zuständigkeit im Finanzministerium unter anderem die Abteilungen I und E fallen – Internationale Finanzpolitik und Europapolitik. Asmussen liebt die internationale Tätigkeit: „Es ist eine junge Generation, die hier sehr diszipliniert zusammenarbeitet.“ So seien die Finanzminister Finnlands und Großbritanniens in den siebziger Jahren geboren; Asmussen selbst ist Jahrgang 1966. Der Umgang miteinander sei freundschaftlich und locker. Viel werde in den Kaffeepausen der Sitzungen geklärt.
„Finanzbeamte sind keine Diplomaten, du kannst offen über Geld sprechen.“ Man müsse auch nicht lange um Dinge herumreden. Vielmehr sei klar: „Wer zahlt, macht die Ansage.“

Aus der Küche schwebt ein äußerst schmackhaftes Maronensüppchen auf unseren Tisch. Anschließend genießen wir unsere Baskische Fischsuppe für 7 Euro. Das leckere Essen bringt Asmussen auf das interne kulinarische Ranking bei den Sitzungen des Ministerrates. „Wir haben das halbe Jahr der französischen Präsidentschaft sehr genossen.“ Präsident Nicolas Sarkozy tische auf wie ein König: „Erst den 99er Schampus und danach einen 85er Sainte Julienne.“ Nach Frankreich lägen Italien und Österreich auf den ersten Plätzen der Tabelle. Deutschland befinde sich nur im unteren Mittelfeld.

„Das Netzwerk-Berlin ist meine Gruppe – als Beamter konnte ich leider nicht Mitglied werden“, sagt Asmussen. Wie ist das, als Sozialdemokrat unter einem christdemokratischen Finanzminister zu arbeiten? Asmussen hatte Schäuble während der Großen Koalition näher kennengelernt. „Manche behaupten ja, Schäuble sei schwierig, aber wir kommen gut miteinander klar.“ Von Beginn an gab es die klare Verabredung, dass Asmussen
nicht auf Parteiveranstaltungen der SPD auftritt. Auch im Koalitionsausschuss ist er nicht dabei. Aber im Tagesgeschäft sei sein Parteibuch irrelevant. In anderen Ressorts wäre es möglicherweise schwieriger geworden, aber im Finanzministerium gelte das Prinzip: „Ein Euro ist ein Euro.“ Übrigens habe seine Parteizugehörigkeit auch einen Vorteil: Die christdemokratischen Kollegen sind besonders höflich zu ihm. „Von den eigenen Leuten wirst du ja eher beschimpft.“

An seinen eigenen Leuten kritisiert er noch etwas anderes: Die SPD habe insgesamt kein positives Bild von Europa. „Und das als Partei des Europäers Willy Brandt.“ Dabei sei Deutschland im globalen Maßstab winzig. Genau deshalb müssten die Europäer die EU aktiv gestalten und langfristig ein gemeinsames Gesellschafts-
und Wirtschaftsmodell entwickeln. Dringend reformbedürftig ist für Asmussen auch die Nachbarschaftspolitik mit Afrika. „Es reicht nicht, die Flüchtlingsboote wieder zurückzuschicken.“ Stattdessen brauche es mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit. Weil ihm die Entwicklungsländer am Herzen liegen, sitzt Asmussen im Aufsichtsrat der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ. „Diese Tätigkeit macht leider
nur drei Prozent meiner Arbeit aus.“

Die Bedienung bringt das Entrecôte mit Grenaillekartoffeln und glasiertem Gemüse und Calavados-Jus (21 Euro). Es ist „well done“, auch im wahrsten Sinne des Wortes. „Manchmal darf es gern ein vernünftiges Stück Fleisch sein“, kommentiert Asmussen. Wenn er zum Jahresende als Chefvolkswirt ins Präsidium der EZB geht, wird sich sein Lebensmittelpunkt nach Frankfurt verlagern. „Eigentlich galt die Verabredung zwischen Schäuble und mir für eine Legislaturperiode.“ Doch als Jürgen Stark zurücktrat, war die Personaldecke extrem dünn, auch weil Jens Weidmann Chef der Deutschen Bundesbank wurde. Klar war, dass dem Deutschen Jürgen Stark ebenfalls ein
Deutscher nachfolgen sollte. „Wenn du von Wolfgang Schäuble und Angela Merkel gefragt wirst, ob du das machen willst, sagst du nicht nein.“ Wird er in seinem neuen Amt anders agieren als sein Vorgänger? „Ich bin sehr stabilitätsorientiert“, sagt Asmussen, „aber der Stil kann sich ändern.“ Auf dem internationalen Parkett komme ihm zugute, dass seine Frau und er mehrere Jahre im Ausland gelebt haben. „Der Ton macht die Musik.“

Auf seinen neuen Job freut sich der Volkswirt. „Es ist die zweitwichtigste Notenbank der Welt, mit sechs gleichberechtigten Leuten im Direktorium.“ Die Arbeit sei sehr diskret – „die wollen nicht in der Zeitung stehen“. Ich habe noch den Spruch „Wer zahlt, macht die Ansage“ im Kopf und frage, ob er auf dem neuen Posten denn mehr Einfluss haben werde als bisher? Jörg Asmussen lächelt. Dann erzählt er davon, dass der EZB-Präsident
kürzlich einen Brief mit 15 Punkten an Silvio Berlusconi geschickt hat. Zwei Tage nach unserem Essen tritt der italienische Ministerpräsident zurück. «

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