»Auch der Humor ist ein anderer«

Die aktuelle Auswanderungswelle aus Griechenland bringe die fortschrittlichsten Menschen ihres Landes nach Deutschland, sagt Elektra Paschali im Gespräch mit Felix Krämer. Diese Zuwanderer seien dynamisch und qualifiziert - aber stießen auf Vorbehalte, sagt die griechische Expertin Elektra Paschali, die an der Humboldt Universität lehrt und als Moderatorin beim rbb arbeitet.

Deutschland ist eines der beliebtesten Zielländer für griechische Auswanderer. Und das, obwohl in Griechenland derzeit Ressentiments gegen Deutschland hochkochen. Ein Widerspruch?

Viele griechische Auswanderer hatten bereits einen Bezug zu Deutschland. Einige haben Verwandte in Deutschland, andere haben Deutsch gelernt. Sie fühlen sich dem Land aus verschiedenen Gründen vertraut – unabhängig von der öffentlichen Stimmung oder dem Bild in den Medien. Und die meisten Migranten haben einen handfesten wirtschaftlichen Grund auszuwandern: Sie suchen Arbeit. Logisch, dass es sie in Länder mit einer stabilen Wirtschaft und einem gesunden Arbeitsmarkt zieht. Zwischenstaatliche Beziehungen spielen bei solchen Entscheidungen eine geringe Rolle.

Welche Unterschiede bestehen zwischen der neuen Generation griechischer Einwanderer und den Einwanderern der sechziger Jahre?

Erstens sind die neuen Einwanderer – anders als die Einwanderer der sechziger Jahre – sehr gut ausgebildet. Sie sind mehrsprachig, flexibel und dynamisch. Zweitens folgte die erste Generation noch einer vorgefertigten Migrationsroute: Die meisten hatten schon vor ihrer Ankunft einen Arbeitsvertrag mit der Bundesrepublik und einem Unternehmen unterzeichnet. Es war vorgesehen, dass sie nur kurze Zeit bleiben, Geld verdienen und anschließend nachhause zurückkehren. Dagegen kommen die neuen Einwanderer meist auf eigene Faust und für zunächst unbegrenzte Zeit. Eine Arbeit suchen sie erst, wenn sie in Deutschland angekommen sind. Drittens hatten die ersten griechischen Einwanderer andere Treff- und Bezugspunkte: die örtliche griechische Gemeinschaft, die Kirche, die Botschaft und die griechische Schule. Heute spielen das Internet und soziale Netzwerke eine zentrale Rolle. Die neuen Einwanderer sind deutlich individueller. Sie sind lockerer im Umgang mit der deutschen Gesellschaft und offen gegenüber Neuem.

Sie selbst sind 2008 nach Deutschland eingewandert. Als wie integrativ empfinden Sie Staat und Gesellschaft hierzulande?

Die Wirtschaftskrise in Europa schafft einen fruchtbaren Boden für Xenophobie und Rechtsextremismus. Das gilt für ganz Europa, auch für Deutschland. Aber Deutschland ist längst ein Einwanderungsland und schon aus volkswirtschaftlichen Gründen auf neue Einwanderer angewiesen. Dennoch gibt es strenge gesetzliche Vorgaben für die Integration von Unionsbürgern in die deutsche Gesellschaft – ganz zu schweigen von Einwanderern aus außereuropäischen Staaten. So haben Unionsbürger, die nach Februar 2012 eingewandert sind, in Deutschland kein Anrecht auf staatliche Fürsorge. Dies steht im Widerspruch zu dem Recht jedes Unionsbürgers, sich ungehindert in Europa zu bewegen und zu arbeiten.

Aber gibt es im Vergleich zu den Zeiten der so genannten Gastarbeiter positive Veränderungen?

Es gibt immer noch viele Vorbehalte gegenüber europäischen Einwanderern und besonders gegenüber Griechen – nicht nur auf politischer, sondern auch auf sozialer und kultureller Ebene. Viele Neuankömmlinge aus Griechenland klagen über Schwierigkeiten bei der Suche nach einer Wohnung, nach einer Schule für die Kinder und nach einer Arbeit, die ihrer Ausbildung entspricht. Aber in urbanen Zentren gibt es inzwischen zahlreiche Projekte zugunsten von Toleranz und sozialem Zusammenhalt.

Die erste Voraussetzung für eine gelungene Integration ist das Beherrschen der Landessprache. Welche Sprachangebote können Griechen nutzen?

Deutsch wird an allen griechischen Schulen als zweite Fremdsprache von der fünften Klasse an gelehrt. Der DAAD und die Goethe-Institute in Athen bieten unterschiedliche Austauschprogramme und Stipendien für griechische Schüler und Studenten an. Und in Deutschland veranstalten die Volkshochschulen staatlich finanzierte Integrationskurse.

Nutzen die Griechen dieses Angebot?

Seit 2010 nimmt die Zahl der Teilnehmer an der staatlichen Sprachprüfung und an den Sprachkursen der Goethe-Institute stetig zu. Auch entscheiden sich immer mehr Studierende für ein Studium der deutschen Sprache und Literatur. Viele Griechen lernen Deutsch, um in Deutschland einen Job suchen zu können. Zudem betrachten griechische Unternehmen und Einrichtungen Deutschkenntnisse als wertvolle Qualifikation.

Ist eine erfolgreiche Einwanderung also eine Frage der Ausbildung? Oder eine Frage des Geldes, womöglich der Familie?

Die wirtschaftliche Situation der Familie scheint einen Einfluss auf den Einwanderungsprozess zu haben. Es gibt unter Einwanderern deutliche Unterschiede zwischen einer „Elite“ und einem „akademischen Proletariat“. Die Angehörigen der Elite verfügen über ein hohes kulturelles und soziales Kapital. Sie haben an Top-Universitäten studiert und sind sprachlich versiert. Oft gibt es einen direkten Zusammenhang mit der finanziellen Situation der Eltern, die ihre Kinder während des Studiums im Ausland und auf der Suche nach gut bezahlter Arbeit unterstützen. Die Angehörigen des akademischen Proletariats üben im Ausland Tätigkeiten aus, die nicht ihren Qualifikationen entsprechen. Aber sie haben keine Wahl, denn in Griechenland gibt es kaum Aussichten auf eine Beschäftigung. Und von ihren Familien werden sie wenig oder gar nicht unterstützt.

Wie steht es mit Menschen ohne akademischen Hintergrund?

Es gibt auch diese Gruppe der unskilled workers. Diese Menschen wandern oft zusammen mit ihren Familien aus und suchen Arbeit in den Bereichen Service, Gastronomie und Tourismus. Für sie ist der Einwanderungsprozess oft noch schwieriger. Nicht selten kehren sie nach längerer erfolgloser Jobsuche in ihr Heimatland zurück.

Werden die griechischen Bildungsabschlüsse in Deutschland anerkannt?

Seit Jahren ist die Anerkennung des griechischen Abiturs in Deutschland ein Problem, weil dafür keine europäische Regelung existiert. Zwar gibt es seit Jahrzehnten eine Vereinbarung zwischen den Mitgliedsstaaten, sie ist aber nicht rechtlich bindend. Mit Hochschulabschlüssen ist es ähnlich. Griechenland hat das Bachelor-Master-System nicht eingeführt. Die reguläre Studienzeit für einen Hochschulabschluss beträgt vier Jahre, während ein Bachelor-Abschluss in Deutschland nur drei Jahre dauert. Dennoch werden alle griechischen Hochschulabschlüsse nur als Bachelor gewertet. Hinzu kommt: Für eine Anerkennung in Deutschland müssen die griechischen Absolventen in den meisten Fächern Zusatzkurse an deutschen Universitäten belegen.

Planen die neuen Einwanderer, dauerhaft in Deutschland zu bleiben?

Das hängt davon ab, ob sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine Chance erhalten. Und davon, ob es dem deutschen Staat gelingt, die Neuankömmlinge mit entsprechenden Eingliederungsbemühungen und der richtigen Strategie einzubeziehen. Werden diese Leute die Möglichkeit haben, sich aktiv in das soziale, kulturelle und politische Leben in diesem Land einzubringen? Kommen ihre Kinder an den Schulen zurecht? Werden solche Bedingungen nicht erfüllt, suchen sie ihr Glück womöglich in anderen Ländern mit einem attraktiven Arbeitsmarkt, etwa in den Niederlanden, in Großbritannien, in Skandinavien oder in den Vereinigten Staaten.

In der Einwanderungsdebatte ist immer wieder von so genannten Parallelgesellschaften die Rede, die einer tiefergehenden Integration auf der zwischenmenschlichen Ebene im Weg stünden. Beobachten Sie unter der neuen Einwanderergeneration die Tendenz, unter sich zu bleiben?

Parallelgesellschaften bilden sich unter den wirtschaftlich schwächsten und sensibelsten sozialen Gruppen heraus – auch Migranten zählen dazu. Staatliche Maßnahmen zur Integration können diesen Prozess aufhalten und Minderheiten stärken. Ob dies gelingt, hängt aber auch von der Fähigkeit dieser Gruppen ab, sich in das neue Umfeld einzugliedern – ohne assimiliert zu werden. Wie gesagt: Die neuen Einwanderer sind aus individueller Initiative heraus ausgewandert, unabhängig von den traditionellen Netzwerken ihrer Vorgänger. Zu den ersten griechischen Einwanderern in Deutschland haben sie kaum Kontakt. Stattdessen bauen sie ihre eigenen Netzwerke auf und versuchen eher, mit den Einheimischen oder anderen Einwanderern in Deutschland in Kontakt zu kommen.

Gibt es kulturelle Barrieren, die den Aufbau eines sozialen Umfelds und eines Freundeskreises erschweren?

Natürlich bestehen kulturelle Unterschiede zwischen Deutschen und Griechen – auch in Zeiten der Globalisierung. Die Verständigung ist manchmal nicht einfach. Schon immer haben griechische Einwanderer im Ausland ihre Kultur und ihre Traditionen bewahrt. Allerdings wird manchmal die kulturelle Identität neu definiert und das kulturelle Erbe – die Sprache, die Religion und die eigenen Wurzeln – neu bewertet und neu erfunden. Aber wer aus Griechenland auswandert, gehört schon zu den fortschrittlichsten und offenherzigsten Menschen des Landes. Die meisten haben weniger starke Bindungen an Traditionen und Familie. Darin sind sich die erste und die jetzige Generation von Einwanderern ähnlich.

Worin unterscheiden sich Griechen und Deutsche genau voneinander?

Für einen Griechen haben Familie, Freundschaft, Gastfreundschaft, Traditionen und Religion eine andere Bedeutung. Auch der Humor ist ein anderer. Das sollte man aber als positives Merkmal von Migration sehen – oder zumindest als eine Herausforderung, die das Leben abwechslungsreicher macht. «

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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