Zuhause ist, wo die Kekse sind

zu Irem Güney-Frahm, Zuhause im Westen, Berliner Republik 5/2008

Irem Güney hat Recht: Das Türkeibild der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist geprägt von der Wahrnehmung der Gastarbeiter, die in den siebziger Jahren nach Deutschland kamen. Doch inzwischen ist dieses Bild ein wenig differenzierter geworden als noch vor einigen Jahren. Das liegt zum einen daran, dass Türken und Deutsche in den vergangenen Jahren viel Zeit und Gelegenheit hatten, sich besser kennenzulernen. Zum anderen verbringen viele Deutsche ihren Urlaub in der Türkei und fahren immer wieder gerne dort hin.

Die Türkei ist ein sehr vielfältiges Land. Diese Vielfalt erschließt sich nicht allen Deutschen, nicht einmal allen Türken. Doch aufgeklärte Menschen, von denen es in der Bundesrepublik zum Glück einige gibt, wissen um diese Vielfalt. Dies ermöglicht einen objektiven und manchmal auch kritischen Blick auf die Türkei. Aufgrund der EU-Beitrittsperspektive stand die Türkei öfter im Fokus der Medien, so dass Deutsche (und auch Türken), die das Land und die Leute nicht so gut kannten, die Möglichkeit hatten, sich ein Bild von der Türkei und den Türken zu machen.

Sicher ist dieses Bild in den Medien nicht immer positiv. Das hat viele Ursachen. Teilweise sind die Gründe in der Türkei selbst zu suchen, teilweise liegt es aber auch am Blickwinkel des Betrachters. So sind leider nicht alle Regionen der Türkei so entwickelt wie Istanbul, Izmir oder Ankara. Auch in der Türkei wissen nur wenige über die Situation in den unterentwickelten Regionen Anatoliens Bescheid. Die wenigsten interessieren sich für die soziale Not und Armut der Menschen im Land. Mangelndes Interesse und mangelndes Wissen führen zu einem Verdrängungseffekt. „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“, lautet das Motto.

In Deutschland hingegen haben wir eine ganz andere Situation: Knapp drei Millionen Türken leben in unserem Land. Das Zusammenleben läuft nicht immer reibungslos. Die Sorge, diese Zahl könnte sich nach einem möglichen EU-Beitritt der Türkei vervielfachen, macht uns Deutsche kritischer und achtsamer. Dadurch ändert sich unsere Wahrnehmung – eine sehr menschliche Reaktion. Die Sorge vor Kontrollverlust macht unsicher und aggressiv. Wer will schon verunsichert werden? So konstruieren wir uns ein Bild „des Fremden“ – in Irem Güneys Worten: „des Anderen“ – und halten es aufrecht.

Diese Distanzierung und Hierarchisierung hilft uns, mit der Situation fertig zu werden. Natürlich wollen wir unsere Dominanz, unsere Werte und unsere Identität nicht verlieren – also konservieren wir unsere Wertvorstellungen, unsere Vorurteile und unsere verzerrtes Bild von der Türkei im Kopf. Die Fehler der anderen sieht man sowieso viel besser als die eigenen.

Wir in Deutschland sind in allem extrem genau

Und natürlich stören uns das Demokratiedefizit und die Menschenrechtsverletzungen auf der anderen Seite. Wir stören uns an den teilweise mittelalterlichen Traditionen, mit denen wir uns nicht identifizieren können. Aber haben wir denn selbst keine Probleme mit unserer Demokratie? Haben wir keine eigenen Sorgen und Missstände? Natürlich haben wir sie. Aber die Fehler der „Anderen“, der Minderheiten, sehen wir besser, und es gibt uns ein Gefühl von Überlegenheit, die Fehler bei ihnen zu suchen. Da wir in Deutschland extrem genau sind in allem, was wir tun und sagen, sprechen wir auch unsere Vorurteile manchmal sehr offen aus.

Die diplomatischeren Zeitgenossen verpacken ihre Vorurteile in die netten Formulierungen, von denen Irem Güney erzählt: „Sie sehen aber gar nicht Türkisch aus.“ Übersetzt heißt das nichts anderes als: „Ich habe zwar Vorurteile gegenüber Türken, aber Du scheinst nett zu sein.“ Wie sehen denn Türken aus? So divers das Land ist, so divers sind auch die Leute! Wer kann schon mit Sicherheit sagen, wer ein echter Türke ist und wie er aussehen muss?

Die Türkei ist das übrig gebliebene Erbe des Osmanischen Reiches – ein Reich von unermesslicher Weite, ein Reich mit vielen Ethnien und vielen Religionen.

Wanderungsbewegungen gab es auch damals. Die Türken waren ein Volk von Nomaden. Wen wundert es, dass sie in den sechziger und siebziger Jahren nach Westeuropa und Deutschland strömten? Heute leben wir in einer globalen Welt, in der viele Menschen ihre Heimat verlassen, um zu Lohn und Brot zu kommen. Dass man sich nicht immer wohl fühlt in der neuen Heimat, ist eine Nebenwirkung, die alle Migranten hinnehmen müssen – auch Deutsche, wenn sie ins Ausland gehen. Immer wird man auf die Herkunft angesprochen. Immer haben die anderen ein bestimmtes Bild im Kopf. Und immer muss man sich irgendwie erklären.

Der Dialog ist das Entscheidende

Diesen Kampf müssen alle Minderheiten ausfechten. Natürlich zehrt das an den Nerven, und natürlich mag man nicht täglich mit dummen oder verpackten Vorurteilen konfrontiert werden. Aber zum besseren Kennenlernen empfiehlt es sich, diese Fragen mit stoischer Gelassenheit zu beantworten. Und manchmal ist es hilfreich, Gegenfragen zu stellen: „Warum wollen Sie das wissen?“ oder „Wie kommen Sie denn darauf?“ Die Antworten, die man dann bekommt, sind manchmal interessant, manchmal ärgerlich, manchmal heilsam – und sie führen zu einem Dialog. Dieser Dialog ist das Entscheidende. Ohne diesen Dialog können wir uns nämlich nicht besser kennen lernen. Und ohne diesen Dialog können wir Vorurteile nicht wirksam bekämpfen.

Daher sollte man sich von solchen Fragen und Vorurteilen nicht abschrecken lassen. In der globalen Welt gilt die von Irem Güney zitierte Leibniz-Werbung „Zuhause ist, wo du willkommen bist“ nur sehr beschränkt. Vielleicht sollte man seine Erwartungen an das neue Zuhause überdenken. Und vielleicht ist man weniger unglücklich, wenn man sich erinnert, warum man denn ein neues Zuhause hat. Dann lautet das Motto nämlich: „Zuhause ist, wo die leckeren Kekse sind.“

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