Zu wenig Vertrauen durch zu viel Demokratie?

Die westlichen Gesellschaften versinken in einem Ozean der Unterhaltung. Medien und Wellen der Hysterie treiben Politiker zu hastig gestrickten Gesetzen. Die Massen triumphieren. Zu mehr "Trust" und "Happiness" hat das alles nirgendwo geführt

Die Geschichte habe sich mit Macht zurückgemeldet, das „demokratische Zeitalter“ sei nach kurzer Dauer wieder beendet, meint der amerikanische Politikwissenschaftler Robert Kagan, der den republikanischen Präsidentsschaftskandidaten John McCain berät (siehe die Rezension von Jan Techau in diesem Heft). Dagegen glaubt Robert Cooper, der einst Tony Blair als außenpolitischer Vordenker diente und für Javier Solana in Brüssel arbeitet, nicht an ein Ende der demokratischen Ära. Einiges spricht dafür, dass zumindest die Euphorie nicht angebracht war, die nach dem Ende des Kalten Krieges in der Beschwörung des unangefochtenen Triumphes liberaler Demokratie gipfelte. Fortschritt ist niemals zwangsläufig, es wird immer wieder Rückschläge geben.

Doch eines lässt sich schwer leugnen: Binnen einer relativ kurzen Zeitspanne und mit atemberaubender Geschwindigkeit hat sich die Demokratie rund um den Globus ausgebreitet. Im Jahr 1900 gab es kein einziges Land, das nach heutigen Kriterien das Etikett „demokratisch“ verdiente, in dem also die Regierenden durch allgemeine und freie Wahlen bestimmt wurden. Immerhin haben sich seither demokratische Regierungssysteme in 120 Staaten etabliert. Doch zugleich hat sich die dunkle Seite der Demokratie offenbart: Der Typus der „autoritären Demokratie“ gewinnt an Boden, Hugo Chavez und Wladimir Putin sollen als Beispiele genügen. Auch hat sich die Hoffnung zumindest als voreilig erwiesen, der Kapitalismus werde notwendigerweise und auf Dauer freiheitliche Demokratien hervorbringen. China mit seinem Mix aus totalitärer politischer Kontrolle und Manchesterkapitalismus widerlegt diese Erwartung – auch wenn sich argumentieren lässt, dass die verstrichene Zeitspanne für die erhoffte Mutation noch zu kurz bemessen ist.

Die Geschichte lehrt uns, dass Freiheit und Demokratie nicht unbedingt Hand in Hand gehen müssen. In ihrer reinen Form läuft Demokratie unweigerlich auf die Dikatur der Mehrheit heraus. Demokratie allein bringt nicht automatisch mehr Rechtssicherheit und individuelle Freiheit hervor. Dafür bedarf es des Rechtstaates und unabhängiger, nicht notwendigerweise demokratisch legitimierter Instanzen, einer unabhängigen Justiz, einer freien Presse, unabhängiger Zentralbanken. Solche Institutionen sind unerlässlich, um das Abdriften in autoritäre oder populistische Formen der Demokratie zu verhindern.

Mehr Demokratie wagen – oder lieber nicht?

Vor dreißig Jahren stieß die Ankündigung Willy Brandts, mehr Demokratie zu wagen, auf uneingeschränkte Begeisterung. Heute können wir da nicht mehr so sicher sein. Doch brach mit der Erfindung des Internets eine neue Welle des Optimismus aus. Der technologische Wandel und die digitale Informationsrevolution, so die Erwartung, würden zu einem ungeheuren Schub an Wissensvermehrung führen. Das Wissen und das Verständnis zwischen Individuen und Nationen würden wachsen, die Demokratien aufblühen, neue, direktere Formen demokratischer Teilnahme um sich greifen und in eine stärker plebiszitär ausgerichteten Demokratie mutieren.

Heute greift gerade auch in progressiven Kreisen Ernüchterung um sich. Es stellt sich die Frage, ob nicht speziell die Ausdehnung des demokratischen Prinzips auf immer weitere Bereiche unsererer Gesellschaften neue Probleme geschaffen und zu Fehlentwicklungen geführt hat. Allen voran zu nennen ist der allgemeine Vertrauensverlust und – damit verbunden – der schwindene Einfluss der Eliten in den westlichen Demokratien.

Politik und Medien haben Einfluss eingebüßt

Was hat zu diesen Entwicklungen geführt? Ein Teil der Antwort sind die hektischen Massenmediendemokratien, die sich in Amerika und Europa herausgebildet haben. Sie haben nicht nur den Diskurs im Dreieck Politik, Medien und Öffentlichkeit erschwert, sondern auch zu einem wechselseitigen Verlust an Vertrauen geführt. Das Vertrauen der Bürger in die Wahrhaftigkeit und Genauigkeit der Medien ist merklich gesunken. Zugleich hat sich ihr Verhältnis zu den Politikern dramatisch verschlechtert. Weithin lässt sich Verachtung für die politischen Klassen feststellen. Zumindest aber ist die „Kultur des Respektes“ für „die da oben“ geschwunden und durch eine aufmüpfige, fordernde und ungeduldige Haltung ersetzt worden.

Die Politiker mögen nie viel von den Medien gehalten haben. Heute jedoch sind ihre Beziehungen zum vierten Stand geradezu vergiftet, während sich die Journaille lautstark – und oft selbstgerecht – über spin und die mangelnde Wahrhaftigkeit der Politikerkaste empört. Es bedarf kaum der Erwähnung, dass beide, Medien wie Politik, an Einfluss verloren haben.

Das demokratische Prinzip wurde in den vergangenen Dekaden innerhalb der westlichen Gesellschaften stetig weiter vorangetrieben, weit über die rein politische Sphäre hinaus. Die Folgen der internen Demokratisierung lassen sich nach rund 40 Jahren klarer erkennen. Nicht immer entsprechen sie den Erwartungen, die progressive Kreise hegten.

Gewiss bröckelten hierarchische Strukturen weg, geschlossene Systeme öffneten sich. Generell wurde der Einfluss, den die Masse der Bürger ausübt, ob als Wähler, Konsumenten oder Mediennutzer, zu einem bestimmenden Faktor. Das gilt in einem gewissen Umfang selbst für das Gebiet der Ökonomie. In den westlichen Gesellschaften, die bei aller fortbestehenden Ungleichheit durch eine historisch niemals zuvor erlebte Phase des Massenwohlstandes gegangen sind, haben sich Macht und Einfluss nach unten verlagert. Geschmack und Wünsche der Masse der Verbraucher müssen stärker denn je berücksichtigt werden.

Im Zeichen der Demokratisierung haben sich auch die Erziehungssysteme dramatisch verändert, nicht unbedingt zum Besseren. Es bedurfte gar nicht der Pisa-Studien, um die Schattenseiten einer „demokratisierten“ Bildungspolitik zu erkennen, deren Essenz darin bestand, die Autorität der Lehrenden zu demontieren, die Hierarchie des Wissens für unwichtig, wenn nicht gar für obsolet zu erklären und die Lernernden in eine Position zu rücken, die ihnen mangels Wissen und Erfahrung in keiner der vergangenen Epochen zugestanden worden war. Der Ruf der Regierung Schröder nach Eliteuniversitäten bedeutete das Eingeständnis, dass die Dinge aus dem Ruder gelaufen waren.

Die „Hochkultur“ ist in die Nische geraten

Radikal verändert hat sich im Zeichen gesellschaftlicher Demokratisierung die Kultur. Nicht länger steht die „Hochkultur“ – geprägt von den Wertvorstellungen der Kultureliten und bildungsbürgerlichen Schichten – im Zentrum unserer Gesellschaften. Heute fristet sie mehr und mehr eine Nischenexistenz. Zu den dominanten Ausdrucksformen moderner Kultur haben sich Blockbuster aus Hollywood, auf Unterhaltung getrimmte Fernsehkanäle und populäre Musik entwickelt.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen jedoch die Veränderungen auf dem Gebiet der vierten Gewalt, also der Medien. Denn ohne sie kann es weder öffentliche Sphäre noch freie Meinungsbildung geben, ohne sie kann Demokratie nicht existieren. Es ist schwerlich zu bestreiten, dass die Medien mehr Macht haben als je zuvor. Rousseaus „vierte Säule“ im demokratischen Staat ist womöglich bereits zur zweiten Gewalt mutiert.

Versunken in einem Ozean aus Unterhaltung

Der Machtzuwachs der Medien folgt zum Teil aus der schieren Intensität, mit der sie unser Leben durchdringen: Zu Beginn der dreißiger Jahre lag der Anteil der Zeitungsleser in Großbritannien bei rund 20 Prozent der Bevölkerung; am Abend konnte eine kleine Minderheit ein paar Stunden lang das Radioprogramm der BBC empfangen, dessen Inhalt – mit den Schwerpunkten Erziehung und Information – staatlich kontrolliert war.

Heute versinken unsere Gesellschaften in einem Ozean der Unterhaltung, dargeboten von omnipräsenten Medien, die uns per Bild, Ton, Print und Internet rund um die Uhr begleiten. Mehr und mehr haben sich die Medien als überlegene Konkurrenz zu den gewählten Repräsentanten etabliert. Die Talkshow Sabine Christiansen war, wie manche meinen, für die Willensbildung der Bundesrepublik über ein Jahrzehnt lang wichtiger als Bundestagsdebatten.

Journalisten sind nicht gewählt. Sie tragen keine direkte politische Verantwortung. Sie müssen nicht, wie Politiker, zwischen zwei Übeln entscheiden oder langfristige Perspektiven berücksichtigen. Sie dienen allein dem Hier und Heute. Nicht zu verkennen ist, dass Journalisten sich oft mit moralisch überlegenem Gestus über die Qualität der Politiker mokieren, die sie heute hochjubeln, um sie morgen zu verdammen. Als Folge wurden Apathie und Zynismus bei den Wählern zu bestimmenden gesellschaftlichen Merkmalen, während die Beteiligung am demokratischen Prozess sowie das Vertrauen in ihn schwinden.

Doch was genau heißt Medienmacht? Linke und liberale Kritik konzentriert sich zumeist auf den Einfluss von Konglomeraten und Tycoons und sorgt sich über deren Fähigkeit, den freien Fluss von Informationen zu kontrollieren oder zu manipulieren. Unbegründet ist diese Sorge nicht. Regierungen und Parlamente sollten niemals die Gefahr einer zu großen Machtkonzentration im Mediensektor aus dem Auge verlieren, und sie müssen eingreifen, um Machtballungen zu verhindern.

Doch ein anderer, bedeutsamerer Aspekt von Medienmacht wird zumeist übersehen. Massenmedien verdanken ihren Status der Tatsache, dass sie Instinke und Bauchgefühle, Forderungen und Wünsche der Massen aufgreifen und ausdrücken. Andernfalls hätten Zeit oder Guardian, BBC 2 oder Arte, und nicht Bild, Sun oder RTL die meisten Nutzer. So betrachtet können Massenmedien als Instrumente der Macht des Volkes verstanden werden.

Die Demokratie der Berlusconis und Murdochs

Natürlich haben Medienkonzerne kaum eine Wahl, sie müssen den Wünschen der Mehrheit folgen. Verwandelte sich ein Massenblatt wie die Bild-Zeitung in ein höfliches, politisch korrektes Produkt, würde seine Auflage kollabieren. Es ist eben eine Sache, um der Auflage oder der Quote willen an niedere Instinkte zu appellieren. Doch müssen diese Instinkte erst einmal existieren; auch muss bei den Menschen die Bereitschaft bestehen, den Appell an die eigenen, weniger edlen Instinkte zuzulassen. Letztlich hat jeder die Wahl, ob am Kiosk oder am Fernseher. So schwer es fallen mag, dies einzugestehen: Ein Rupert Murdoch oder ein Silvio Berlusconi, deren Medien dem Volke geben, wonach es verlangt – Spaß, Sex, Spiele, Unterhaltung –, sind „demokratischer“ oder, sagen wir es vorsichtig, „repräsentativer“ als die Kultureliten, die versucht haben, den Massen ihre Maßstäbe zu oktroyieren.

Allen voran das Fernsehen, als einflussreichstes, prägendes Medium unserer Zeit, wird heute von den Präferenzen des Massenpublikums geformt. Trivialisierung und Verflachung haben um sich gegriffen. Dem kann man entgegenhalten, dass die Fernsehlandschaften Deutschlands, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten viel Interessantes, gelegentlich Brillantes und Gedankenschweres hervorbringen. Doch läuft dieses Angebot oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nehmen wir nur den Sender Arte: Die Einschaltquoten dieses Kanals liegen zumeist unterhalb von einem Prozent. Nach oben, auf bis zu sieben oder acht Prozent, schnellen sie nur, wenn ein Sexfilm oder ein „Holocaust-Abend“ auf dem Programm steht.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Verschärfte Auflagen- und Einschaltquotenkriege als Reaktion auf die Präferenzen des Massenpublikums treiben die Verflachung immer weiter voran. Der Appell an niedere Instinkte und Emotionen hat sich inflationär erhöht. Im Unterhaltungssektor dominieren Variationen des Reality TV, die Voyeurismus, Exhibitionismus und Sadismus bieten; dabei müssen die Reize ständig erhöht werden. Zugleich spiegeln diese Formate den stetig steigenden Einfluss des Massenpublikums wieder: Menschen aus dem Volk können sich über Nacht in, wenn auch flüchtige, celebrities verwandeln. Die Masse der Zuschauer entscheidet über Karrieren, sie übt Macht aus, die sie dem Medium Fernsehen verdankt.

Die Vermittlung von Informationen ist geprägt von Sensationalisierung, Simplifizierung und Emotionalisierung. Geistige Anforderungen zu stellen ist zunehmend verpönt, nüchterne, differenzierte Berichterstattung wie Kontext und langfristige Perspektive gehen mehr und mehr verloren. Zudem ist und wirkt das Fernsehen von seiner bildhaften Natur aus „emotional“. Schon Mao Tse Tung hatte erkannt, dass Bilder allen voran Emotionen transportieren und bedienen: „Ein Bild ist wirkungsvoller als tausend Worte.“ Bilder bleiben lange haften. Wo Emotionen entscheiden, werden Inszenierungen wichtiger. Die Politik kann sich dem nicht entziehen. Erhard Eppler hatte Recht, als er bemerkte, Politik vollziehe sich in Sprache. Wo Sprachlosigkeit beginne, höre Politik auf.

In immer kürzeren Abständen rasen Wellen der Panik durch die hektischen Mediendemokratien. Es geht um Nahrung, Gesundheit, Einwanderung oder Verbrechen. So wird eine permanente Wolke der Hysterie kreiiert, die leicht die Sinne vernebeln kann. Die Medien fungieren als der neue „demos“. Sie treiben, quasi plebiszitär, die Politiker zu hastig gestrickten Gesetzen, fordern von ihnen Taten, um sie im nächsten Atemzug zu verdammen: erst Rentennot, dann Rentenklau. Zusammengenommen tragen diese Trends zu einem gesellschaftlichen Zustand bei, der sich auszeichnet durch kurze Aufmerksamkeitsspannen, dauerndes Murren und den Wunsch nach sofortiger Befriedigung. Eine Haltung hat sich herauskristallisiert, die mit dem Satz „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ charakterisiert werden kann.

Müssen die Massen gelenkt werden?

Das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem könnte man als mediales Pendant zur repräsentativen Demokratie bezeichnen: vom Volk finanziert, dem Volk dienend, aber nicht verpflichtet, dessen Wünschen zu folgen. Repräsentative, parlamentarische Demokratie war konzipiert als ein System, das die „Masse“ in Schach halten und als Filter für deren rohe Instinkte wirken sollte. Andererseits kann die Arroganz der Kultureliten schon verärgern: Die Massen müssen gelenkt werden, das denkt man, aber spricht es lieber nicht offen aus.

Eine Gegenbewegung gegen das elitäre „Redakteurs-Fernsehen“ war ebenso unvermeidlich wie in gewissem Maße gerechtfertigt. Doch es gibt gute Gründe, die Folgen zu bedauern, die daraus zwangsläufig erwuchsen. Im Kampf um gesellschaftlichen Einfluss haben die Eliten durch die Transformation westlicher Gesellschaften in Massenmediendemokratien erheblich an Einfluss und Vertrauen verloren.

Der „Kult des Amateurs“ triumphiert

Die Digitalisierung und die Fragmentierung verschärfen diesen Trend. Mit der wachsenden Bedeutung des Internets gewinnt der Prozess der „internen Demokratisierung“ der westlichen Gesellschaften eine neue Qualität: Nun werden auch journalistische Oligopole geschleift. Nicht länger lässt sich Journalismus unter bloß beiläufiger Beachtung für die Massen machen. Deren Wünsche dominieren.

Social networks und Videoplattformen ermöglichen es dem Individuum, Aufmerksamkeit zu erzielen, sich Gehör zu verschaffen, Meinung zu machen und selbst berühmt zu werden. Jedermann wird zum Produzenten, jeder will gesehen und gehört werden. Zugleich ist die neue Medienwelt von immer lauterem Getöse geprägt, weil jeder Aufmerksamkeit erheischen und niemand eigentlich noch zuhören will. Der „Kult des Amateurs“, der wenig versteht aber intensiv fühlt, droht über die Hoffnung zu triumphieren, es werde sich doch die „Weisheit der Massen“ durchsetzen.

Hinzu kommt, dass das World Wide Web die Eskalation der Sucht verschärft. So ist Pornografie im Internet omnipräsent, jederzeit abrufbar, bei denkbar geringer Gefahr, entdeckt und gesellschaftlich geächtet zu werden. Die wachsende Verbreitung von Hardcore- und Gewaltpornos dürfte für unsere Gesellschaften noch Folgen haben. Dies ist ein vernachlässigter Forschungsgegenstand, weil dafür ein Blick in tabuisierte Bereiche und die privatesten Zonen menschlichen Verhaltens notwendig wäre.

Und die immer stärkere Verbreitung und Nutzung von Computerspielen mit ihrem Angebot aus Eskapismus, Gewalt und dem Abdriften in virtuelle Welten steigern nicht nur das Suchtverhalten. Sie tragen auch zu einem Prozess der Verdummung bei, über den Lehrer vor allem mit Blick auf die jüngeren Jahrgängen berichten. Die viel beschworene digitale Spaltung ist bereits Wirklichkeit: In den USA und in Großbritannien verbringen 55 Prozent der 15- bis 19-Jährigen einen wesentlichen Teil ihrer Freizeit in social networks und Videoportalen – zulasten der Schulaufgaben, des Lesens und sogar des Fernsehens.

Gehen uns Glück und Vertrauen aus?

Die Kultureliten, die dank der Knappheit der Frequenzen des analogen Zeitalters einige Dekaden darüber bestimmen konnten, was zu sehen und zu hören sei, haben die Schlacht um den Einfluss verloren. Die Massen triumphieren. Das wird dazu führen, dass die Avantgarde, um einen Begriff von Nikolas Luhmann zu verwenden, in Zukunft noch mehr „Enttäuschungsfeste“ wird feiern müssen, als es der gehobene Kulturbetrieb ohnehin gewohnt ist (wobei man diese Enttäuschungsfeste durchaus lustvoll begeht, schließlich bestätigen sie die eigene Überlegenheit).

Die Metamorphose der Medienwelt verweist zugleich auf die „Illusion der Veredelung“. Der historisch einmalige Massenwohlstand führt gerade nicht dazu, dass sich mehr Menschen edlen Zeitvertreiben zuwenden. Sie malen keine Bilder, sie verfassen keine Poesie, sie betreiben kein Kunsthandwerk.

Das Ende der Hoffnung auf Veredelung taucht im politischen Diskurs vorerst noch verschämt und sehr zaghaft auf, etwa in den neuen Diskussionen über den Mangel an „Happiness“ und „Trust“, an Glücksgefühlen und Zukunftsvertrauen in den westlichen Gesellschaften. Es ist nicht viel Prophetie vonnöten, um vorauszusagen, dass diese Debatten lauter werden dürften.

zurück zur Ausgabe