Worte haben Folgen, Ideen haben Konsequenzen

Der Massenmord von Norwegen verstört Europas Islamfeinde. Plötzlich reden jene von "Abrüstung der Worte", deren Diskurs Anders Breiviks Tat erst möglich machte

Nach den Anschlägen von Oslo und dem Massaker an norwegischen Jungsozialisten auf der Ferieninsel Utøya haben die europäischen Rechtspopulisten ohne Zeitverzug auf Abwehrmodus gestellt – genauso wie jene Blogger und Publizisten, die die Muslime seit vielen Jahren tagein, tagaus als die größte Weltgefahr darstellen. Im Abwehrmodus sind sie deshalb, weil der Mörder seine Taten mit exakt jenen Argumenten rechtfertigt, die sie selbst seit Jahr und Tag unter die Leute bringen. Das ist manchmal richtig ulkig. So sagte der Bundesvorsitzende der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) Heinz-Christian Strache, es sei „pietätslos“, voreilig „politische Strömungen oder gar gesamte Parteien zu vereinnahmen“. Damit hat er wahrscheinlich gemeint (auch wenn er es nicht richtig zu formulieren vermochte), es sei pietätlos, die Taten des Mörders mit den politischen Strömungen zu verbinden, denen er entstammt. Nun, ob das pietätlos ist, will ich gar nicht diskutieren. Nur so viel: Dass Strache es beispielsweise pietätlos findet, Anschläge von Al-Kaida mit dem radikalen Islamismus zu verbinden, hat man von ihm bisher nie gehört. Auch nicht, dass man diese Attentate schon gar nicht mit einer ganzen Religion, dem Islam, verbinden soll.

Hatte Breivik „grundsätzlich“ Recht?

Aber das ist nicht die einzige interessante Wortmeldung aus diesem Milieu. Die Hauptstrategie besteht in der Behauptung, man habe mit Anders Breivik nichts zu tun. Das sei ein verrückter, geistig umnachteter Einzeltäter. Und die Ideologie, die ihn zu seinen Taten inspirierte, sei völlig unwichtig. Es handele sich um einen ideologiefreien Amokläufer. Der Publizist Henryk M. Broder, den Breivik in seiner kurz vor den Anschlägen veröffentlichten Schrift zitiert, formuliert: „Breivik wusste, dass er seine Tat ‚rational‘ begründen muss. Und das hat er nicht bei mir und Thilo Sarrazin gelernt, sondern bei Mohammed Atta und Osama bin Laden.“ Soll heißen: Nur weil Breivik die gleichen Argumente vorbringt wie ich, hat er noch lange nichts mit mir zu tun. Bedenken wir doch: Der bringt diese Argumente in einem Bekennerschreiben. Aber schreibe ich etwa Bekennerschreiben? Nein! Bekennerschreiben schreiben doch immer die Islamisten! Also hat der doch mit denen viel mehr zu tun als mit mir! – So eine Beweisführung muss man sich erst einmal ausdenken.

Andererseits wird die Distanzierung von dem Täter nicht durchgehalten – und das ist das eigentlich Unfassbare. So glaubte der FPÖ-Europaparlamentarier Andreas Mölzer feststellen zu müssen, dass nicht alles, was der Mörder in seinem Manifest geschrieben hat, „grundsätzlich falsch sein muss“. Und der rechte Blogger Andreas Unterberger schreibt, der eine oder andere Gedanke in diesem Manifest sei kein absoluter Schwachsinn, auch wenn dadurch natürlich niemals eine Bluttat gerechtfertigt werden könne. Also: Die Argumente des Mörders sind schon richtig, bloß morden hätte er halt nicht sollen.

Und da soll man sich mal auskennen. Ist denn die Ideologie jetzt völlig unwichtig? Oder ist die Ideologie vielmehr richtig, nur Breiviks Methode ein bisschen zu radikal? An diesen Sätzen empört mich nicht allein die logische Inkonsequenz. Sondern dass diese Leute überhaupt öffentlich äußern, dass der Mörder in der Sache schon ganz richtig lag. Stellen wir uns vor, was los wäre, wenn die Al-Kaida ein Attentat verübte und bei uns daraufhin ein muslimischer Abgeordneter oder Leitartikler behaupten würde, es sei schon nicht ganz falsch, was die Al-Kaida in ihrem Bekennerschreiben schreibe – nur das mit der Bombe hätte nicht sein müssen. Oder wenn vor 20 Jahren, als die RAF den Treuhand-Chef Detlev Rohwedder erschoss, ein Grüner Abgeordneter gesagt hätte, die Motive der Täter seien schon ganz in Ordnung, nur ihre Methoden nicht. Was da los gewesen wäre!

Nein, im Ernst. Alles ist falsch an diesen Ideen, die Breivik da zusammengeschrieben hat. Seine wahnsinnige Tat basiert nicht auf Ideen, die schon irgendwie richtig sind, sie basiert auf wahnsinnigen Ideen. Und wer nicht einmal in der Lage ist, das offen zuzugeben, weil er diese wahnhaften Ideen retten will, mit dem ist eigentlich keine Diskussion mehr möglich.

Keiner sagt: „Wir haben uns verrannt“

Richtiggehend putzig ist aber, dass diese Leute sich jetzt hinstellen und eine „Abrüstung der Worte“ fordern. Also, wie ist das denn? Da gibt es eine politische Strömung, die auf die irrste Weise die Muslime angreift: dass die unser schönes Europa übernehmen wollen; dass die hier die Scharia einführen wollen; dass die einen geheimen Plan haben, „Eurabia“ – das ist in diesem Weltbild das Pendant zu den antisemitischen Protokollen der Weisen von Zion –;dass man die hinter das Mittelmeer zurückwerfen soll, wie das Susanne Winter von der FPÖ ausgedrückt hat.

Nun begeht einer aus dieser politischen Strömung einen Massenmord. Und zugleich gibt es andere politische Strömungen, die hetzen gegen niemanden, deren Gesinnungsfreunde haben keine Attentate begangen, ja mehr noch, deren Gesinnungsfreunde sind sogar die Opfer dieses Attentats geworden. Und jetzt fordern ausgerechnet die Gesinnungsfreunde des Attentäters eine „Abrüstung der Worte“. Sagt mal, geht’s noch? Ich bin sehr für die Abrüstung der Worte, aber sinnvollerweise bei denen, die zuvor eine Aufrüstung der Worte betrieben haben – mit dem Ergebnis, dass sich ein Irrer legitimiert fühlte, einen Massenmord zu begehen.
Ich finde es frivol und sehr aussagekräftig, dass sich alle diese Publizisten und Politiker weigern, über ihre Mitverantwortung zu reden. Es wäre doch gar nicht so schwer, denn sie haben ja nicht selbst geschossen. Sie haben nicht einmal aufgerufen, Gewalt auszuüben. Darum geht es ja gar nicht. Auch war es natürlich kein spezieller Einzelner von ihnen, der den Mörder inspirierte, aber es waren die vielen Stimmen zusammen, die sich in den vergangenen zehn Jahren zu dem radikalen antimuslimischen Diskurs fügten, ohne den Breiviks Taten nicht möglich gewesen wären. Ihre Verantwortung ist also, das bin ich gerne bereit zuzugeben, eine viel geringere. Aber gerade deswegen sollte es doch für sie auch leichter sein zuzugeben: Ja, wir haben uns da in etwas verrannt. Und das, was da herausgekommen ist, das wollten wir nicht. Stattdessen wird nur abgestritten.

An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen

Jedenfalls gilt das für die meisten Vertreter dieses Milieus. Einer der islamkritischen Autoren, der viele der Argumente, die Breivik zu seiner Tat inspiriert haben, selbst unter die Leute brachte, ist Alan Posener. Jetzt hat er geschrieben, er könne nicht abstreiten: „Ideen haben Konsequenzen. Worte haben Folgen.“ Und genau darum geht es. Natürlich haben sie nur geschrieben und propagiert, dass die Muslime unser Europa zerstören, dass die linksliberalen Eliten mit Einwanderung unsere Gesellschaften „umvolken“ wollen und dass man sich dagegen wehren muss. Sie haben nicht geschrieben, man solle das mit Gewalt tun.

Insofern sind sie natürlich nicht so „schuldig“ wie Breivik selbst. Und sie sind auch nicht so schuldig wie ein Dschihad-Propagandist, der nicht nur wahnhafte Ideen in die Welt setzt, sondern auch ausdrücklich und explizit Gewalt gutheißt. Da ist ein Unterschied zwischen Mölzer, Strache, Unterberger auf der einen Seite und einen Dschihad-Theoretiker wie Sayyid Qutb. Es wäre unredlich, diesen Unterschied zu verwischen und zu sagen: Details beiseite, alles geistige Brandstifter. Es gibt eine Differenz im Grad des geistigen Brandstiftertums. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie überhaupt keine moralische Mitverantwortung haben.

Ideen haben Konsequenzen. Worte haben Folgen. Man muss sich im Klaren sein, dass man, wenn man heute etwas schreibt, sich morgen nicht davonstehlen kann, wenn einer sich in diese Ideen derart hineinsteigert. Aber dass Ideen Konsequenzen haben, dass Worte Folgen haben, ist ja grundsätzlich keine schlechte Sache. Für einen Autor oder Politiker wäre es ja eigentlich eine Katastrophe, wenn Ideen keine Konsequenzen hätten. Gute Ideen haben gute Folgen, schlechte Ideen haben schlechte Folgen. Und manchmal haben gute Ideen auch schlechte Folgen und umgekehrt, und immer gibt es auch nichtintendierte Nebenfolgen. All das weiß man ja eigentlich, irgendwie.

Nur unsere antiislamischen Propagandisten wollen das nicht wahrhaben. Dabei sehen sich ja viele von ihnen als Verteidiger des christlichen Abendlandes, als Vertreter eines wehrhaften Christentums. Nun, mir glauben die es ja ohnehin nicht, aber mir fällt da ein Kollege aus der frühen Vorzeit ein, als es noch kein Fernsehen, kein Internet, keine Zeitungen gab. Dieser Mann wird sie vielleicht überzeugen. Der ist nämlich damals herumgefahren und hat direkt auf die Leute eingeredet. Und der hat gesagt: „An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen.“ (Matthäus 7:16) «


Richtigstellung

In meinem Beitrag „Worte haben Folgen, Ideen haben Konsequenzen“, Berliner Republik 4/2011, ist mir ein ärger­licher Fehler unterlaufen. Ich habe Alan Posener gelobt und zwar mit folgenden Worten: „Einer der islamkritischen Autoren, der viele der Argu­mente, die Breivik zu seiner Tat inspi­riert haben, selbst unter die Leute brachte, ist Alan Posener. Jetzt hat er geschrieben, er könne nicht abstreiten: ,Ideen haben Konse­quen­zen, Worte haben Folgen‘“. Das war durchaus an­erkennend gemeint, wird von Alan Posener aber mit Recht als etwas ver­giftetes Lob betrachtet. Denn er hat zwar zwischen 2008 und 2009 am Blog „Achse des Guten“ mitgeschrieben, sich jedoch gegen den dort grassierenden antimuslimischen Rassismus gestellt und ist deshalb auch aus diesem Netz­werk ausgeschieden. Wie er glaubhaft versichert, hatte er mit dieser Ideen­welt nie etwas zu tun – im Gegenteil, er hat die antimuslimische Hetze seiner Co-Autoren immer schon kriti­siert, nicht erst jetzt. Kurzum: Ich habe ihn irrtümlich in einen Zusam­men­hang gerückt, in dem er nichts ver­lo­ren hat.

Gerade weil ich in der Sache, näm­lich der Kritik am Schüren antiislamischer Ressentiments, mit Alan Posener also einer Meinung bin, habe ich über­haupt keinen Grund, eine Formulie­rung zu verteidigen, die er als ruf­schädigend empfinden muss und ihn kränkt, zumal sie ja nicht nur verunglückt, sondern offenkundig auch sachlich falsch ist.

Ich entschuldige mich daher bei Alan Posener, und zwar nicht bloß in einem presserechtlichen Sinn, son­dern: Es tut mir ehrlich leid.

Robert Misik


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