Wolle mer se reinlasse?

Mittelfristig braucht Deutschland ein Zuwanderungsgesetz

Als Bundeskanzler Gerhard Schröder Ende Februar vorschlug, den Fachkräftemangel in der Computerbranche mittels befristeter Einstellung ausländischer Experten auszugleichen, machte er mehr als einen pragmatischen Vorstoß: Er belebte zugleich die ins Stocken geratene Debatte über Zuwanderungsfragen.

Diese Debatte leidet, insbesondere innerhalb der SPD, unter dem Zwiespalt, dass die Einsicht in die Notwendigkeit, sie zu führen, mit der Furcht einhergeht, sie nicht erfolgreich gestalten zu können.

Die Erfahrungen auf dem Weg zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts sind gewiss nicht dazu angetan, diese Einschätzung ungerechtfertigt erscheinen zu lassen. Man kann allerdings aus den Erfahrungen dieses Prozesses, an dessen Ende sowohl ein historischer Fortschritt als auch eine verlorene Landtagswahl standen, lernen. Unter anderem, dass auch dringend notwendige Reformen einer vermittelnden, professionellen Begleitung bedürfen, damit der objektive Änderungsbedarf nicht auf eine subjektive Abwehr stößt.

Die Chancen hierfür stehen gerade deshalb bei der Behandlung von Migrationsfragen nicht schlecht, weil - anders als beim Staatsbürgerschaftsrecht - kein rasches gesetzgeberisches Handeln im Sinne der Verabschiedung eines Zuwanderungsgesetzes erforderlich ist. Gerade deshalb sollte allerdings die Chance genutzt werden, eine frühzeitige und möglichst breite Verständigung über die Grundzüge einer solchen Regelung einzuleiten.


Zu dieser Verständigung gehört, dass es legitim und vernünftig ist, neben der stattfindenden Zuwanderung aus humanitären und grundgesetzlich gebotenen Gründen darüber zu befinden, welche (Berufs-)Gruppen von Ausländern gezielt mit Blick auf den deutschen Arbeitsmarkt benötigt werden.

Angesichts von vier Millionen Arbeitslosen geht es nicht darum, jenseits von Ausnahmebestimmungen kurzfristig eine solche Grundlage für zusätzliche Einwanderung zu definieren. Mittelfristig kommen wir aber nicht umhin, es zu tun.

"Die demographische Überalterung unserer Gesellschaft erfordert eine Zuwanderung jüngerer Menschen", stellten CDU und CSU im November 1999 in einem Entschließungsantrag im Bundestags-Innenausschuss zutreffend fest. Das Deutsche Institut für Wirtschaft veröffentlichte erst jüngst eine Studie zur Bevölkerungsentwicklung mit dem Fazit, dass angesichts rückläufiger Bevölkerungszahlen und steigender Lebenserwartung Zuwanderer mittel- und langfristig benötigt würden, um Arbeitsplätze nicht verwaisen zu lassen und den Sozialstaat auch in Zukunft zu finanzieren.

Klar ist, und das unterscheidet die Frage nach der Gestaltung strukturell erforderlicher Zuwanderung von der aktuell geplanten, befristeten Aufnahme von Computer-Spezialisten: Diese Zuwanderer werden auf Dauer zu uns kommen. Das heißt zugleich, dass wir mehr und bessere Integrationsmöglichkeiten brauchen als bisher.

In den 50er und 60er Jahren sind in Folge des falschen Glaubens an die Rückkehr der Angeworbenen Fehler gemacht worden, die noch heute nachwirken. Wenn viele ältere Einwanderer, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, kaum Deutsch sprechen, dann liegt das oft daran, dass seitens der Aufnahmegesellschaft die Sprachvermittlung vernachlässigt worden ist und zugleich bei den Aufgenommenen das Gefühl, nur geduldete Gäste, nicht aber willkommene Nachbarn zu sein, persönliche Integrationsbemühungen nicht eben förderte.

Solche Fehler dürfen künftig nicht wiederholt werden. Erforderlich ist daher ein Gesamtkonzept, das Zuwanderung nicht nur unter quantitativen, sondern auch unter qualitativen Gesichtspunkten Rechnung trägt. Integrationspolitische Maßnahmen gehören dazu.

Bislang gibt es nur Umrisse eines solchen Gesamtkonzeptes. Es schrittweise zu konkretisieren, ist kein einfaches, aber ein wichtiges und lohnendes Unterfangen.

Es besteht hinreichend Zeit, diese Aufgabe mit Sorgfalt anzugehen.

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