Wird jetzt alles noch viel schlimmer?

Im Party- und Brandsatzkiez Friedrichshain ist die Hoffnung auf Schwarz-Gelb verhalten

Dass es unter der neuen Koalition schlimm wird, meinen viele in Friedrichshain. Doch was das konkret bedeutet und wie schlimm es genau wird, wissen die wenigsten. Es überwiegt eine generelle Skepsis gegenüber dem „politischen System“. Als ich vor knapp zehn Jahren das erste Mal in der Tagung war, gab es schon die gleichen Devotionalien: „Heute schon Genossen?“ – der Slogan von Roter-Oktober-Bier. Und das alte Kraftstoffschild „Minol“ leuchtet noch immer den Tresen an. Eine Büste von Lenin dient als Sitzhocker neben dem Eingang.

Frank ist 46 Jahre alt und träumt davon, in Mexiko Fische zu fangen. Er habe bei der Bundestagwahl „strategisch“ gewählt: Erststimme Grün (Ströbele), Zweitstimme SPD und damit die Große Koalition: „Angie ist eigentlich, wenn man sie in Ruhe lässt, vernünftig.“ Sein Freund Martin sagt von sich, er sei „unpolitisch“, die Demokratie hält er für gescheitert. Gewählt hat er trotzdem. Von der neuen Koalition hält er nichts, da „sich alles in Windrichtung“ drehe, die „stellen sich jetzt hin und sagen ‚uups‘, eins und eins ist ja doch nicht zwei“.

„Alles Pseudo-Päpste“

„Die Kanzlerin ist im Arsch“, sagt Frank, der sich freut, am Tresen endlich einmal über Politik reden zu können, „der armen Angela siehste doch derzeit ihr Leiden an – schau dir nur mal die Bilder in den Zeitungen an oder auf Phoenix“. Und Westerwelle sei „katastrophal“. „Angela muss den jetzt mal mit ihren Landesfürsten stoppen, sonst geht der weiter über Leichen und die Kanzlerin verliert ihr soziales Image.“ Christiane nickt. Sie kommt aus München, arbeitet in der Pharma-Branche und gehörte früher zu den „Besserverdienenden“. Sie macht sich Gedanken über den Afghanistan-Einsatz, weiß nicht, „wie wir da rauskommen sollen“. Christiane hat die Regierung nicht gewählt. Begründung: „Ich mag diese Yuppie-Typen nicht.“ Martin stimmt ihr zu: „Alles Pseudo-Päpste.“ Das Gespräch dreht sich um Rente und Arbeitslosengeld. „Rot-Grün hat die Hölle konstruiert, Schwarz-Gelb muss jetzt nur noch heizen“, meint Frank. „Ich glaube an die heilende Kraft der Katastrophe. Und die Linkspartei hat es total einfach: Wenn die SPD das soziale Herz verloren hat, müssen die Linken nur noch predigen und sich als Samariter anbieten. Die Systemfrage zu stellen, das trauen sie sich nicht. Und ändern können sie nichts.“

„Heute ist alles von der Glotze bestimmt“

Was sollte die Opposition machen? Frank: „Steinmeier war gut. Und die SPD sollte wie Robin Hood sein: einsammeln und austeilen. Sobald sie das verlassen hat, ging es abwärts.“ Nun profitiere die Linkspartei von diesem „Robin Hood-Bonus“. „Aber die sind auch nur Menschen. Und ein linker Minister bekommt auch tausende Euro.“

Generell macht Frank sich Gedanken um die politische Kultur und die demokratische Partizipation. „Früher gab es Kneipen und Vereine, da wurde politisch diskutiert. Die Leute wussten noch, wovon sie reden, wie der Staat funktioniert und was sie ändern wollten. Heute ist alles viel kleinteiliger und von der Glotze bestimmt.“ Selbst die Tagung sei inzwischen zu einem Museum verkommen.

Das PriMaria ist ein kleines Restaurant mit bulgarischer Note, tagsüber ist es auch ein Café. Es hat nicht mehr als 20 Plätze. Die kleinen bis sattmachenden Gerichte (probiert: überbackene Kartoffel, Borschtsch) sind günstig (3 bis 5 Euro) und gut. Hier treffe ich Kathinka, 32. Sie war Angestellte und ist jetzt arbeitslos. Bei der Frage, wie es mit der schwarz-gelben Koalition wird, winkt sie ab: „Ach, die radioaktive Koalition. Alles neoliberal. Kalt. Der Entwicklungshilfeminister ist doch nur dazu da, dem Westerwelle die roten Teppiche freizuhalten.“ Und ob es nicht gut ist, dass mit Kristina Köhler jetzt eine junge Frau in die Regierung aufsteigt? „Nur weil sie eine Frau ist, ist sie doch nicht gut. Die ist doch eine Streberin. Als sich andere für Pferde interessierten, hat sie für Helmut Kohl geschwärmt und ist dann mit 14 sofort in die JU eingetreten. Ich mag diese glatten Lebensläufe nicht.“ Außerdem sei ihre Benennung doch nur der ersten Regierungskrise geschuldet.

Kathinka kommt auf Gender Mainstreaming zu sprechen. In einer wirklich gleichberechtigten Gesellschaft müsste ihrer Meinung nach die 32-jährige Ministerin auch die Möglichkeit haben, ihren Kinderwunsch zu verwirklichen und Elternzeit zu nehmen. „Aber wer vertritt sie dann in der Regierung? Das klappt doch alles nicht“, winkt Kathinka ab.

„Und die Medien erzählen, dass alles gut ist“

Im Lebowski versammelt sich normalerweise eher älteres Publikum. Der Name ist Programm: Der Chef des Ladens erinnert an den „Dude“, im WC läuft der Kultfilm „The Big Lebowski“ und über dem Tresen ist kopfüber an der Decke eine Bowlingbahn installiert. Bier und White Russian gehören hier zu den umsatzstärksten Getränken. Und vielleicht wollen auch die Gäste – wie der Namensgeber der Kneipe – das Leben genießen.

Alex ist 30, spielt Dart im Hinterzimmer und raucht. Persönlich könnte es ihm unter der schwarz-gelben Koalition besser gehen, „wegen der FDP, weil ich selbständig bin und hinterher vielleicht mehr Geld rauskommt“. Aber Alex will das gar nicht. Denn der Sozialstaat werde so weit abgebaut, wie es die Polizeikräfte zulassen würden. Unter der neuen Koalition hätten wir „eine verstärkte Industrielobby, Plutokratie, und die Medien werden weiter erzählen, dass alles gut ist, wie es ist“. Obwohl er kein Vertrauen in das politische System habe, habe er die Piratenpartei gewählt, um ein Zeichen zusetzen.

Keiner hat eine gute Meinung von irgendwas

Sylvia und Falk, beide Ende 40, stehen am Tresen. Falk fürchtet, dass jetzt „jeder mehr für sich selbst machen muss“. Sylvia: „Wir Frauen sind mit dieser Regierung noch eher unzufrieden.“ Warum, erklärt sie nicht. Da ändern auch von der Leyen oder „diese neue Teenagerin“ nichts. „Wir haben Angst, unseren Arbeitsplatz zu verlieren.“ Sylvia fragt sich, warum sie überhaupt arbeiten gehen soll,  „wenn ich hinterher genauso viel rausbekomme wie auf Hartz IV“. Falk meint: „Die Große Koalition hat nichts gebracht. Eigentlich ist die CDU besser als die SPD. Die SPD hat keine Lösungen und auch keine Mittel.“ Aber eigentlich wisse man bei der CDU auch nicht, woran man sei. „Die ganzen Vorschläge sind doch nicht bezahlbar.“

Auch diese Begegnung bestätigt es: In Friedrichshain jemanden zu finden, der etwas Gutes über die neue Regierung sagt, ist nahezu unmöglich. Aber wirklich fundierte Kritik und durchdachte Alternativen kann kaum jemand bieten. Die Menschen gehen noch immer wählen und setzen ihr kleines Zeichen. Aber ihre diffuse Unzufriedenheit mit „dem System“ ist mit Händen zu greifen.

PriMaria – bulgarisches Restaurant & Café – Boxhagener Str. 26, 10245 Berlin – www.primaria.de
Lebowski – Bar – Niederbarnimstr. 23, 10247 Berlin – www.kneipe-lebowski.de
Die Tagung – Biergaststätte – Wühlischstr. 29, 10245 Berlin – www.tagung-friedrichshain.de

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