Wie wir im Alter wohnen wollen

Deutschland ist vollgestellt mit freistehenden Häusern, die oft nur mit dem Auto erreichbar sind. Aber wie soll man in diesen zersiedelten Gegenden alt werden können? Was wir brauchen, sind barrierefreie Wohnungen in verdichteten Nachbarschaften, altersgemischte Stadtteile und Mehrgenerationenhäuser

Die Zahl der Singlehaushalte wächst und wächst. Und wer genau hinsieht weiß, dass die große Mehrzahl dieser Haushalte von älteren Menschen bewohnt wird. Bedeutet das Altwerden also für immer mehr Menschen, alleine zu leben? Niemand sollte denken, dass dies Ausdruck eines selbstbestimmten Lebens ist! Es spiegelt vielmehr eine durch den demografischen Wandel radikal veränderte Gesellschaft wider. Wir leben in einer Zeit des langen Lebens. Unsere Lebenserwartung verlängert sich von Jahr zu Jahr. Und zugleich kommen immer weniger junge Menschen nach. Für diese veränderte Gesellschaft sind die Wohnungen und Häuser nicht geschaffen.

Ausschlaggebend für den Wohnungsneubau waren junge Familien mit zwei Kindern. Diese jungen Familien hatten kein Problem damit, Treppen auf- und abzusteigen. Die Kinder lieben ihre im Dachboden versteckten eigenen Buden, möglichst weit weg von den Eltern und dem familiären Alltag. Und jede Familie wollte ihr eigenes Reich. Nachbarn waren unvermeidlich – aber überhaupt nicht wichtig zum Bewältigen der alltäglichen Arbeit. Darum ist Deutschland vollgestellt mit freistehenden Häusern, die oft nur mit dem Auto erreicht werden können. Darum sind Einkaufszentren auf der grünen Wiese auch für diese Kunden attraktiv.

Aber wie soll man in diesen zersiedelten, unstrukturierten Gegenden alt werden? Was macht man, wenn man ohne PKW auskommen muss? Wer organisiert den Alltag und wie?

Die traditionelle Antwort darauf lautet: „Dann zieht doch ins Heim!“ Das will aber so gut wie niemand freiwillig. Heime sind oft nur die einzig verbliebene Notlösung – und dann auch noch eine teure, fern der vertrauten Umgebung, gefährdet durch Personalengpässe. Hier gibt es viel Anlass zu Traurigkeit, zum Unglücklichsein in der Republik.

Einkaufsmöglichkeiten um die Ecke

Ich bin fest überzeugt, dass wir in Deutschland einen großen Umbaubedarf haben. Die nicht bedarfsgerechten Wohnungen und Häuser müssen für eine erheblich älter werdende Gesellschaft hergerichtet werden. Dabei ist besonders der bedrohte innerstädtische Wohnungsbestand hoch attraktiv. Die Zentren der Städte und Dörfer nicht allein dem Kommerz zu überlassen und hilflos zuzusehen, wenn Läden und Büros geschlossen werden – das ist die Herausforderung für die Kommunalpolitik. Wir brauchen bezahlbare barrierefreie Wohnungen in verdichteten Nachbarschaften, in denen älter werdende Menschen mit ihren Nachbarn den Alltag organisieren. Vonnöten sind Einkaufsmöglichkeiten um die Ecke und Dienstleistungen, die mit dem Rollator fußläufig erreichbar sind.

Wir, meine Frau und ich, leben seit 25 Jahren mit Freunden unterschiedlichen Alters in einem nach unseren Wünschen umgebauten innerstädtischen Altbau. Wir haben ihn so eingerichtet, dass wir bis ans Lebensende hier wohnen können. Es hilft, dass wir ein Mehrgenerationenhaus sind, in das immer wieder jüngere Mitbewohner einziehen. Es hilft, dass wir – mit einer Ausnahme – ohne Auto auskommen. Es hilft, dass jeder, wenn er will, alles für sich allein organisieren kann. Es hilft aber noch mehr, dass wir in den vielen gemeinsamen Jahren geübt haben, uns gegenseitig zu helfen.

Wir besiedeln unsere bedrohten Quartiere neu

So haben wir alle über einen Zeitraum von sieben Jahren zwei von uns gepflegt und sterbebegleitet. Und wenn einer von uns durch Operationen oder auch durch einen Schlaganfall darauf angewiesen ist, wird ihm geholfen. Haus- und Wohngemeinschaften sind nicht nur für Studenten praktisch. Gerade auch dann, wenn das Alleinleben zur Last oder sogar zur Bedrohung wird, stellen sie ein bezahlbares und durch „Gemeinsam statt einsam“ attraktives Lebensmodell dar.

Bei meinen vielen Vortrags- und Leseveranstaltungen landauf und landab begegne ich immer häufiger gelebten Projekten gemeinsamen Wohnens. Immer öfter sind es Wohnungsbaugenossenschaften, die ihre älter gewordenen Wohnungsgenossen nicht allein lassen und andere nicht gegen deren Willen in ein Heim verfrachten wollen. Sie bauen dann die Erdgeschosse um und machen den Umzug leicht, weil es ja eine vertraute Nachbarschaft ist.

Immer öfter entdecke ich aber auch, wie schlecht oder gar nicht genutzte alte Immobilien von einer Nutzergruppe mit Unterstützung der Kommunalverwaltung aktiviert werden. Das ist beste Stadtsanierung! Wir besiedeln unsere strukturbedrohten Quartiere mit altersgemischten Bewohnern. Dann können auch die Einzelhändler wieder ihren Kampf gegen die Supermärkte auf der grünen Wiese aufnehmen. Dann finden auch Dienstleister wieder Kundschaft. Wer die katastrophale Verödung amerikanischer Innenstädte kennt, der weiß, wovon ich rede.

Für mich ist diese Art des Wohnens ein klassisches Beispiel für Inklusion. Die ist dringend notwendig – nicht nur für unsere Schulen. Inklusion ist nur zu schaffen, wenn wir Stadtplanung, Wohnungsumbau, Dienstleistungen und Infrastruktur gleichermaßen gewinnen für ein neues Miteinander.

Das „Reich ist geil“ oder „Jeder ist seines Glückes Schmied“ überlassen wir lieber Parteien unterhalb der Fünf-Prozent-Grenze.

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