Wie hält es die SPD mit der Religion?

Im Berliner Landwirtschaftsministerium hängt ein geweihtes Kruzifix, im Düsseldorfer Verwaltungsgericht ebenso. Derweil beschwört Angela Merkel die "christlich-jüdische Werteordnung". Warum eigentlich nimmt die SPD die fortwährende Vermengung von Staat und Kirche ohne Widerspruch hin?

Eigentlich hätte das unkritische Miteinander zwischen Kirchen und Staat in diesem Jahr vielen Sozialdemokraten aufstoßen müssen. Aber nur Wenige meldeten sich zu Wort, vor allem auch die Spitze unserer Partei schwieg. Dabei gab es mindestens zwei wichtige gesellschaftliche Debatten, bei denen die Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat im Kern berührt war. Das erste Thema betrifft den Missbrauchsskandal in kirchlichen Einrichtungen und die darauf folgende Auseinandersetzung um die „Missbrauchsrichtlinien“ der Katholischen Kirche. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz vertrat die Ansicht, für Verbrechen katholischer Geistlicher seien weltliche Gerichte eigentlich nicht zuständig. Erst nach einem längeren öffentlichen Disput mit der Bundesjustizministerin rückte die Deutsche Bischofskonferenz von dieser empörenden Position ab. Bis dahin wurde Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von anderen politischen Akteuren weitgehend allein gelassen, obwohl überhaupt nicht klar war, ob sie in der Debatte tatsächlich die Oberhand behalten würde. Von der SPD war weder etwas zu sehen noch zu hören.

Wer in Deutschland fehl am Platz ist

Die zweite Debatte war die Diskussion um Integration – ein Thema, mit dem sich die SPD bereits zu Zeiten befasst hatte, als Konservative noch unter Realitätsverweigerung litten. Dennoch gerieten wir in die Defensive. Das war aufgrund der Causa Sarrazin vielleicht unvermeidlich. Richtig schräg wurde die Sache allerdings, als die konservative Seite das Primat der „christlichen Werte“ postulierte. Deutschland fuße auf einer „christlich-jüdischen Werteordnung“. Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündete auf einer CDU-Regionalkonferenz sogar: „Wer sich nicht am christlichen Menschenbild orientiert, ist fehl am Platz in Deutschland.“ Auch dazu war von den „Offiziellen“ in unserer Partei über viele Wochen nichts zu hören. Die SPD ließ Merkel die Sache einfach durchgehen, spielte bei dieser falschen und unzulässigen Vermischung zwischen Religion und Staat praktisch keine Rolle. Die kritischen Stimmen gegen Merkels Anmaßung kamen aus der nicht parteigebundenen Bürgerschaft selbst, auch aus der FDP und von laizistischen Mitgliedern der SPD. Die Parteispitze aber schwieg. Mehr noch: Der Beobachter hatte sogar den Eindruck, die SPD scheue die Einmischung wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser. Welch ein Kontrast war dagegen die Reaktion auf das Bestreben einiger Genossinnen und Genossen, einen Arbeitskreis der Laizisten und Konfessionsfreien zu gründen. Die Ablehnung kam schnell und hart. Sie erfolgte vom Parteivorsitzenden selbst, noch bevor die Gruppe ihren Antrag überhaupt einreichen konnte. Dieses Verhalten der Parteispitze ist ebenso falsch wie symptomatisch.

Die Verankerung eines Arbeitskreises der Laizisten und Konfessionsfreien in der SPD ist ein Gebot der Zeit. Die SPD würde dadurch weder zu einer laizistischen Vereinigung, noch zu einer Gemeinschaft der Atheisten. Und der Vorwurf, wir wollten die Partei programmatisch wieder hinter Godesberg zurückführen, ist ebenso falsch und konstruiert wie die uns untergeschobene Kirchenfeindlichkeit. Wer sich für gleiche Teilhabe und gegen Bevorzugung stark macht, wendet sich nicht gegen eine einzelne Gemeinschaft. Allerdings hat sich Deutschland verändert. Die Anzahl der Christen in unserem Land geht seit Jahrzehnten stetig zurück, während der Anteil der Konfessionsfreien beständig zunimmt. Er liegt gegenwärtig bei rund einem Drittel der Gesamtbevölkerung – Tendenz steigend. Zugleich wird die Vielfalt verschiedener Glaubensrichtungen in unserem Land immer größer. Die Zuwanderung wird diesen Trend in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten eher noch verstärken, und auch die Shell-Jugendstudie zeichnet ein eindeutiges Bild. Deshalb muss der Staat künftig mehr als bisher auf seine glaubensseitige und weltanschauliche Neutralität achten. Deshalb gehören einseitige Privilegierungen des Staates gegenüber den beiden christlichen Kirchen und die Vermengung von Staat und Kirche mehr als bisher auf den Prüfstand. Und deshalb müssen sich die Konfessionsfreien in unserer Gesellschaft offener und selbstbewusster für ihre Interessen einsetzen und einsetzen dürfen – auch in der SPD.

„Glaubenserfahrung“ schon in der Kita

Mein Engagement in der Sache kam nicht über Nacht. Der Auslöser liegt vier Jahre zurück: Es war der so genannte Kirchenstreit in Sachsen im Jahr 2006. Damals startete die Evangelische Landeskirche den Versuch, die Vermittlung von „Glaubenserfahrung“ in den Bildungsplan der sächsischen Kindertagesstätten zu verankern. Die Kirche begründete diesen Plan mit einem angeblich weit verbreiteten „glaubensseitigen Analphabetismus“, dem man nur mit frühkindlicher Bildung begegnen könne. Das Ansinnen der Kirche wäre in Sachsen damals fast Wirklichkeit geworden. Es scheiterte nur am mutigen Protest der beherzten Erzieherinnen. Die CDU-Sozialministerin zog ihren Bildungsplan letztlich zurück. In einem neuen Bildungsplan war das unkritisch übernommene Papier der Evangelischen Kirche dann nicht mehr enthalten. Die kleine sächsische SPD, die damals mit in der Landesregierung saß, hielt sich aus der Debatte weitgehend heraus. Ich selbst kam mir damals in unserer Partei vor wie der einsame Rufer in der Wüste.

Seit diesem Erlebnis bin ich der Überzeugung, dass das anachronistische Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Deutschland modernisiert werden muss. Ich beobachte auch andere mehr oder weniger verdeckte Versuche der Rechristianisierung mit Hilfe des Staates, besonders in den ostdeutschen Ländern. Und da ist jedenfalls für mich die Toleranzgrenze überschritten. Natürlich können und dürfen die Kirchen in unserem Land missionieren. Nur hat sich der Staat dabei entschieden herauszuhalten. Artikel 4 unseres Grundgesetzes besagt, die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses seien unverletzlich. Daraus folgt der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber allen Religionen und Bekenntnissen, einschließlich dem Nicht-Bekenntnis vieler Menschen.

In ihrer Geschichte war die SPD immer offen gegenüber neuen gesellschaftlichen Entwicklungen. Zumindest war sie dann erfolgreich, wenn sie sich dazu durchringen konnte. Ich rate meiner Partei auch jetzt, gegenüber den Konfessionsfreien nicht aus Angst vor taktischen Nachteilen auf Abwehr zu schalten. Zumal Veränderungsbedarf natürlich auch bei uns selbst besteht: Ich halte es für einen Rückschritt, dass die Benachteiligung kirchlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im aktuellen Hamburger Programm nicht mehr thematisiert wird. Die noch im Berliner Programm enthaltenen Zeilen sind einfach gestrichen worden: „Wer sich zu keiner Religion bekennt, darf nicht benachteiligt werden. Allgemein geltende Arbeitnehmerrechte müssen auch in Einrichtungen der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistet sein.“

In Regensburg macht der Dritte Bürgermeister (SPD) gemeinsam mit seinem CSU-Kollegen und der Katholischen Kirche öffentlich Front gegen einen (aus dem Ausland stammenden) Vater. Der hatte sein von der Verfassung garantiertes Recht wahrgenommen und dafür gesorgt, dass das Kruzifix im Klassenzimmer seines Sohnes abgenommen wird. Und im Düsseldorfer Verwaltungsgericht hängt mit ausdrücklicher Billigung des SPD-Justizministers seit Anfang Oktober wieder ein Kreuz, obwohl das Bundesverfassungsgericht dies für unvereinbar mit dem Grundgesetz hält. Die SPD schweigt auch, wenn im Besucherzentrum des Bundeslandwirtschaftsministeriums ein von Prälaten geweihtes Kreuz angebracht wird – wie auch im Düsseldorfer Fall übrigens gegen massive Proteste der dortigen Beschäftigten. Es gibt also viel zu tun. Wie heißt es so schön? Packen wir‘s an. «

zurück zur Ausgabe