Werft Luxemburg aus der EU!

Gabriel Zucman hat untersucht, wo die Reichen ihr Geld verstecken. Für Jean-Claude Juncker enthält der Band keine Neuigkeiten - für alle anderen durchaus

Eine neue Generation von Ökonomen erobert die Volkswirtschaftslehre. Statt still vor sich hin zu forschen, treten diese Wissenschaftler voller Selbstbewusstsein an die breite Öffentlichkeit. Um Gehör zu finden, werden Thesen auch gern einmal vereinfacht und zugespitzt. Damit verletzen diese Ökonomen unbekümmert eine ungeschriebene Konvention des Wissenschaftsbetriebes, wo Verständlichkeit fast als anstößig gilt.

Unter den neuen Sendungsbewussten hat der französische Volkswirt Thomas Piketty Maßstäbe gesetzt. Er landete einen weltweiten Bestseller mit der These, dass im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts der Traum von der Chancengleichheit ausgeträumt ist: Der Weg vom Tellerwäscher zum Millionär sei versperrt. Dies hat vor allem in den USA den Glauben in die kapitalistische Meritokratie erschüttert – schließlich verstehen sich die Vereinigten Staaten als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

4.700 Milliarden Euro Schwarzgeld

Gabriel Zucman erweist sich als guter Schüler seines Meisters: Er, der einst bei Piketty promovierte, hat sich ebenfalls einer gesellschaftlichen Ungerechtigkeit angenommen: Steueroasen: Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird heißt das Buch des 28-jährigen Franzosen, der an der London School of Economics lehrt.

Das mit 118 Seiten überschaubare Werk kommt eher unscheinbar daher, hat es aber durchaus in sich. Gleich zu Beginn zieht Zucman seine Leser mit schockierenden Zahlen in den Bann: Seinen Berechnungen zufolge sind etwa acht Prozent des privaten Finanzvermögens – also 5.800 Milliarden Euro – in Steueroasen deponiert. Ein Großteil dessen, nämlich 4.700 Milliarden, sind nicht versteuert – also Schwarzgeld. Das entspricht etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung von Deutschland und Großbritannien zusammen.

Zucman ist der erste, der auf diesem Gebiet mit konkreten Zahlen aufwarten kann. In mühevoller Detailarbeit hat er Statistiken zusammengetragen und ausgewertet. Vor allem bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) wurde er fündig. Zucman verglich die Vermögensstatistiken der BIZ mit denen der nationalen Statistikämter und fand zum Teil erstaunliche Differenzen.

Das Loch muss die Mittelschicht stopfen

So belief sich im Jahr 2013 der Wert der von Ausländern gehaltenen luxemburgischen Fonds auf 2.200 Milliarden Euro, so zumindest die nationale Statistik Luxemburgs. Bei der BIZ wurden jedoch lediglich 1.200 Milliarden Euro registriert: 1.000 Milliarden Euro hatten demnach keinen identifizierbaren Eigentümer.

Es ist beachtenswert, wie geschickt Zucman öffentliche Statistiken nutzt, um anonymem Geld auf die Schliche zu kommen. Seine Methode hat ihm unter Finanzwissenschaftlern großen Respekt eingebracht. Weniger fundiert erscheint Zucmans Schlussfolgerung, 80 Prozent des anonymen Geldes seien unversteuert. Diese Vermutung basiert allein auf der Beobachtung, dass 80 Prozent der Anleger in der Schweiz unerkannt bleiben wollen. Seit 2005 können Europäer mit Schweizer Konten wählen, ob sie ihr Vermögen bei der Steuererklärung angeben oder aber anonym bleiben und eine pauschale Kapitalertragssteuer von 35 Prozent leisten wollen. Nur 20 Prozent der Anleger geben ihre Identität an. Dies kann jedoch neben der Absicht, Steuern zu hinterziehen, viele andere Gründe haben: zum Beispiel sich vor dem Ehepartner oder gegenüber Geschäftspartnern zu schützen.

Zweifelhaft ist daher auch Zucmans Behauptung, die Staaten könnten sich über jährlich 130 Milliarden Euro Mehreinnahmen freuen, wenn die privaten Kapitalerträge ordentlich versteuert würden. Doch selbst wenn es zuträfe, dass 80 Prozent der anonymen Gelder illegal unversteuert bleiben – für ein Steueraufkommen von 130 Milliarden müssten die Kapitalerträge real (also nach Abzug der Inflation) 5 Prozent abwerfen. An den heutigen Finanzmärkten mit Nullzinsen und volatilen Aktienkursen lässt sich eine solche Rendite aber kaum erwirtschaften.

Über Zucmans Zahlen kann man also streiten, über die dramatischen Folgen der Steuerflucht jedoch nicht. Dieses Thema geht jeden an. Wenn sich die Superreichen den Steuern entziehen und auch Unternehmen ihren fairen Anteil nicht entrichten, muss die Mittelschicht das Loch stopfen. Arbeitnehmern werden die Steuern schließlich direkt vom Einkommen abgezogen. Das erhöht die Ungleichheit und untergräbt die Demokratie. Vor allem schadet es aber den Staatsfinanzen – und damit allen Bürgern eines Landes. Ohne Bankgeheimnis läge Frankreichs Schuldenquote heute lediglich bei 70 statt 94 Prozent, rechnet uns Zucman vor.

Werft Luxemburg aus der EU!

Neben der Auswertung nationaler und internationaler Vermögensstatistiken nimmt Zucman seine Leser auf eine historische Reise in die Welt der Steuerparadiese mit. Bereits vor 100 Jahren erlebten diese einen Aufschwung, als viele Staaten Einkommen immer höher besteuerten. Dies nutzten Länder wie die Schweiz und setzten gezielt auf das Geschäftsmodell Steueroase.

Die Schweiz, noch immer eine der größten Steueroasen der Welt, bunkert allein rund 1.000 Milliarden Euro für europäische Anleger. Rund 20 Prozent davon stammen aus Deutschland und machen den größten Teil aus.

Besonders hart geht Zucman mit Luxemburg ins Gericht: Das Großherzogtum ist dem Autor zufolge das Zentrum der europäischen Steuerflucht. Es verdanke seinen Reichtum weder einer hoch qualifizierten Bevölkerung noch einer innovativen Industrie, sondern seinem Dasein als Steueroase. Der Zwergstaat lebe ausschließlich von den Buchungstricks der multinationalen Konzerne und der Steuerhinterziehung durch Privatleute. Als Indiz führt er an, dass ein Drittel der Löhne und Gehälter ins Ausland fließen. Man müsse sich die Frage stellen, ob es sich um einen Nationalstaat oder eine Plattform für Steuervermeidung handelt.

Entsprechend harsch fallen Zucmans Forderungen aus: Da die Staaten bislang wenig Bereitschaft gezeigt haben, die Steuerflucht zu bekämpfen, müsse man die Kosten-Nutzen-Kalkulation der Steueroasen nachhaltig verändern. Für die Schweiz schwebt Zucman eine Importsteuer von 30 Prozent vor. Im Falle Luxemburgs ist dies allerdings nicht möglich. Als Mitglied der Europäischen Union profitiert das Großherzogtum vom freien Waren- und Dienstleistungsverkehr. Erschwerend kommt hinzu, dass das Land jedweden Versuch, das Steuerrecht zu verschärfen, torpedieren kann, schließlich gilt in der EU das Einstimmigkeitsprinzip. Aus diesem Grund fordert Zucman, Luxemburg am besten aus der EU zu werfen. Dass nun mit Jean-Claude Juncker ein Luxemburger an der Spitze der EU-Kommission sitzt, ist für den Autor eine zusätzliche Zumutung, wie er in zahlreichen Interviews betonte.

Zucman hat mit seinem Buch bereits viel erreicht. Er hat das Thema Steuerhinterziehung in Frankreich auf die öffentliche Agenda gesetzt. Auch die Politik hat die Brisanz des Themas entdeckt und gehandelt: Auf der „Global Tax Conference 2014“ in Berlin vereinbarten kürzlich 51 Staaten einen automatischen Austausch sämtlicher Kontodaten auf internationaler Ebene ab 2017. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble jubilierte, das Bankgeheimnis sei tot – und damit existiere die Basis für die globale Steuerhinterziehung nicht mehr.

Wer Zucman gelesen hat, könnte fast denken, mit diesem historischen Abkommen sei das Problem der Steueroasen weitgehend erledigt. Immerhin handelt das Buch zu weiten Teilen von kriminellen Superreichen, die ihr Geld auf ausländischen Konten parken.

Zu kurz kommt hingegen, wie multinationale Konzerne Steuern ganz legal umgehen und dabei weitaus größere Beträge hinterziehen. Der Verdacht liegt nahe, dass viele Steueroasen bei den privaten Bankdaten Zugeständnisse gemacht haben, um unbehelligt das lukrative Geschäft mit Google, Apple und Amazon weiterzutreiben. Diese Steuerschlupflöcher behandelt Zucman kaum.

Zucmans Lösungen fallen zu plump aus

Auch bleibt die Rolle der vier weltgrößten Steuerberatungsgesellschaften KPMG, Ernst & Young, Pricewaterhouse Cooper und Deloitte unterbelichtet. Diese scheinen eine perfide Strategie zu verfolgen, indem sie ihren politischen Einfluss nutzen, um allzu einfache Schlupflöcher zu schließen, was Unternehmen wiederum dazu nötigt, die Dienste der hoch spezialisierten Steuerteams der Beratungsgesellschaften in Anspruch zu nehmen, um Steuern zu vermeiden. Die Steuervermeidungsstrategie mit dem skurrilen Namen Double-Irish ist keinesfalls unbekannt: Sie hat sogar schon einen Wikipedia-Eintrag. 2015 wird sie endlich abgeschafft. Doch Zucman klammert dieses schwierige Thema gänzlich aus.

Stattdessen propagiert er Lösungsvorschläge, die leider oft plump und etwas naiv anmuten. So schlägt er ein globales Reichenregister vor, in dem alle Vermögenden erfasst werden sollen. Das läuft naturgemäß nicht nur dem Willen der – zumeist auch an Einfluss reichen – Wohlhabenden entgegen, sondern würde auch gegen eine ganze Reihe von Datenschutzbestimmungen verstoßen.

Mit derartig utopischen Weltverbesserungsvorschlägen folgt Zucman ganz dem Vorbild seines Doktorvaters Piketty. Selbst bei der Titelwahl ist dessen Einfluss nicht zu übersehen: Während Piketty auf Das Kapital von Karl Marx anspielt, bedient sich Zucman einer anderen prominenten Referenz, dem Klassiker Der Wohlstand der Nationen von Adam Smith. Immerhin machen beide unmissverständlich klar, in welch illustrer Gesellschaft sich die jungen Wilden sehen.

Gabriel Zucman, Steueroasen: Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird, Berlin: Suhrkamp Verlag 2014, 118 Seiten, 14,00 Euro

zurück zur Person