Wer regieren will, muss beweglich sein - nicht beliebig



Sowohl die Bundestagswahl 2005 als auch die Wahlen in Hessen und Hamburg zeigen, dass Regierungsbildungen in Zukunft schwieriger werden können. Seit den achtziger Jahren haben wir uns mindestens auf nationaler Ebene an symmetrische Lager gewöhnt: Einem konservativ-liberalen stand ein sozial-ökologisches „Camp“ gegenüber. Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb hieß die gelernte Paarung. Dass derzeit keines der beiden Lager eine regierungsfähige Mehrheit mobilisiert, setzt die Parteien unter Druck. Seit zehn Jahren bereits hat Schwarz-Gelb keine parlamentarische und gesellschaftliche Mehrheit mehr. Das ist ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik: Von den frühen fünfziger Jahren an hatten Konservative und Freidemokraten zumindest rechnerisch eine Mehrheit. Das ist vorbei.

Niemand bestreitet, dass die bundesweite Etablierung der Linkspartei als fünftes Rad am Wagen der parlamentarischen Demokratie besonders die SPD vor Probleme stellt. Denn die Linkspartei läuft nebenher. Sie entzieht der Sozialdemokratie Wählerstimmen, ohne dass dieses Potenzial für eine soziale und ökologische Reformkoalition zur Verfügung steht. Wo die Linkspartei personell und programmatisch weder regierungsfähig noch regierungswillig ist, wo sie – wie in Niedersachsen und Hamburg – DKP-Mitglieder auf ihre Listen hievt oder die Enteignung der Industrie fordert, wo sie – wie im Bund – den handlungsfähigen Staat durch Überschuldung lähmen und Deutschland international isolieren will, überall dort sind die Stimmen, die sie bekommt, für eine Mehrheit diesseits der Union verloren. Das ist im Kern das Kreuz mit der Linkspartei: Sie will eine Bewegungslinke sein, doch sie agiert als Blockadelinke. Sie blockiert den programmatischen Fortschritt der Mitte-Links-Kräfte, wie sich an ihrem unfruchtbaren Sozialstaatskonservatismus ablesen lässt, der von demografischem Wandel, flexiblerer Erwerbstätigkeit oder vorsorgender Sozialpolitik nichts wissen will.

Weimarer Verhältnisse? Das ist albern!

Aber Hand aufs Herz: Gysi und Lafontaine zum Anlass zu nehmen, Weimarer Verhältnisse zu beschwören, ist albern, und jeder weiß es. Für diese Einsicht genügt ein Blick nach Ostdeutschland oder nach Berlin, wo einige in der PDS versucht haben, eine pragmatische Partei zu schaffen, die eine straffe Haushaltskonsolidierung mitverantwortet. Befragungen der Linkspartei-Wähler lassen erkennen, dass sie die angestrengte Ausgrenzung mit einem Achselzucken quittieren. Was sie aber zunehmend irritiert, ist das Gefühl, dass Lafontaines großspurige Angebereien am Ende doch bloß leere Sprechblasen sind. Sozialprotest als Masche geht irgendwann auf die Nerven, ist jedenfalls keine Basis für eine feste Wählerbindung. In Hamburg hat die Linkspartei jetzt 17.000 Stimmen von ehemaligen Anhängern der rechtspopulistischen Schill-Partei bekommen. Doch mit dem Einzug in die Hamburger Bürgerschaft ist die Stunde der Wahrheit gekommen: Bleibt es bei Sprüchen, Skandalen, Sektiererei und innerer Zerstrittenheit, dann haben die neuen Abgeordneten dort so wenig Zukunft wie die Schillianer.

Die Union ist programmatisch entkernt

Dass CDU und CSU aus Parteikalkül eine Stigmatisierung der Linkspartei wollen, versteht sich von selbst. Sie profitieren, wenn die politischen Kräfte der linken Mitte, die gesellschaftlich mehrheitsfähig sind, im Parteiensystem handlungsunfähig bleiben. In Hessen war es schließlich erst die Linksfrontkampagne von Roland Koch, die Linkspartei über fünf Prozent geschoben hat. Die Partei Angela Merkels lenkt damit von ihrem Hauptproblem ab: Die Union ist programmatisch entkernt. Jeder kennt Frau Merkel, aber keiner weiß, wofür sie steht. Merkel muss um die Regierungsfähigkeit in schwarzgelben Koalitionen fürchten, die gerade wieder in Hessen und Hamburg gescheitert sind. Sie hat sowohl mit ihrer Unterstützung von Roland Kochs eiskaltem Anti-Ausländerwahlkampf als auch mit Christian Wulffs und Ole von Beusts lauwarmen Opportunismus insgesamt eine Million Wählerinnen und Wähler verloren.

Als Getriebene dieses Trends geht die Merkel-CDU jetzt allerdings aus der Deckung. Und das ist interessant. Denn sie sieht, dass es mit der Westerwelle-FDP, die in Großstädten das moderne liberale Milieu, die kritischen Bildungseliten nicht erreicht, keine stabile Machtachse gibt. Also macht sie den Weg frei für neue Optionen in Koalitionen mit den Grünen. Da ist es kein Zufall, dass Merkel dem Magazin der Süddeutschen Zeitung rechtzeitig zu den Hamburger Sondierungsgesprächen Fotos aus der Privatschatulle gibt und dazu im Interview sagt, sie sei mit 14 Jahren doch auch ein bisschen eine „68erin“ gewesen.

Die schwarz-grüne Risikostrategie kann viel Kosten: Die CDU ihr konservatives Klientel, die Grünen ihre linksökologische Basis, beide ihre programmatischen Kernprojekte. Doch dass die CDU sich überhaupt in diese Richtung bewegt, das hat Guido Westerwelle tief getroffen. Es berührt genau den wunden Punkt der FDP: Sie ist nun zehn Jahre in der Opposition und hat keine Optionen. Mehr und mehr Liberale fragen sich, ob ausgerechnet die stolze „Partei der Freiheit“ als der ideologisch eingemauerte Rest in einem ringsum in Bewegung geratenen Parteiensystem zurückbleibt.

Ich halte Fünf-Parteien-Parlamente weder für ausgeschlossen noch für ausgemacht. In Ostdeutschland kennen wir schon lange Landesparlamente mit einer PDS als fester Größe, aber ohne Grüne und FDP. Im Bund und in den westdeutschen Ländern kann die Linkspartei rasch wieder draußen bleiben. Im einen wie im anderen Fall gilt: Mehrheiten zu bilden erfordert Beweglichkeit. Der Abschied von den alten Ritualen, den alten Ideologiefronten, Denkblockaden und dem phrasenhaften Lagersprech, den kaum ein Wähler mehr hören will, ist fällig. Wem dieser Schritt gelingt, ohne programmatisch beliebig zu werden, der wird Zuspruch finden und regieren können.

Welche Politik nützt den Menschen wirklich?

Neue Konstellationen für die SPD sind möglich. Kein Mensch kann voraussagen, wie sich die Linkspartei in den nächsten fünf bis zehn Jahren entwickeln wird. Eine sozialdemokratisierte Linkspartei, die sich unzweideutig zur freiheitlichen Demokratie in Geschichte und Gegenwart bekennt, die unmissverständlich die soziale Marktwirtschaft als Ordnungsrahmen akzeptiert und bereit ist, internationale Verantwortung zu tragen, kann einmal bündnisfähig werden. Aber wofür sollte eine solche Partei noch gut sein? Die SPD gibt es schon. Für die Bundestagswahl 2009 gilt: Eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei wäre unverantwortlich und scheidet damit für Sozialdemokraten aus. Vielmehr wird die SPD die selbstbewusste inhaltliche Auseinandersetzung und den Wettbewerb mit der Linkspartei aufnehmen. Im Mittelpunkt stehen dabei folgende Fragen: Welche Politik nützt den Menschen wirklich? Wer kann konkret etwas für soziale Gerechtigkeit erreichen? Wer hat realitätstaugliche Antworten, die auf der Höhe der Zeit sind?

Vor den Bundestagswahlen bleibt unser Ziel, eine rot-grüne Option zu eröffnen und Schwarz-Gelb zu verhindern. Falls Zweierbündnisse nicht reichen sollten, ist auch eine Ampelkoalition möglich. Eine sozialliberale FDP, die den Sozialstaat nicht mehr verteufelt, sondern als besseren, vorsorgenden Sozialstaat auf die Bedürfnisse der einzelnen Menschen ausrichten will, kann in Zukunft Partner der SPD sein. Wenn ich die FDP-Papiere zur Sozial- und Bildungspolitik oder zur Innen- und Rechtspolitik lese, frage ich mich, warum daraus nicht ein gemeinsames Projekt für Chancengleichheit, Integration und kulturelle Liberalität werden kann. Die SPD ist dazu bereit.

Sozialer Aufstieg mit den Liberalen

Auch die Große Koalition kann in Bund und Ländern sinnvoll oder notwendig werden. Aber sie wird bestenfalls ein wenig inspirierendes Arbeitsbündnis, eine staatsbürgerliche Pflichtübung sein. Mit den Grünen – das wollen wir nicht vergessen – verbindet die Sozialdemokratie nach wie vor das begonnene, aber unvollendete Fortschrittsprojekt einer sozialen und ökologischen Globalisierung. Mit Liberalen können Sozialdemokraten sozialen Aufstieg, Leistungsgerechtigkeit und ein weltoffenes Land zu einer gemeinsamen Erneuerungsidee machen. In jedem Fall brauchen künftige Koalitionen nicht nur rechnerische Mehrheiten, sondern eine verbindende Idee und eine gesellschaftliche Basis. Deutschland braucht eine Allianz für eine soziale, wirtschaftliche und ökologische Erneuerung. Ein solches Bündnis kann sich der Unterstützung der solidarischen Mehrheit sicher sein.

zurück zur Person