Wer lamentiert, hat schon verloren: Die Mitbestimmung in Deutschland als Innovationsfaktor



Happy Birthday, Berliner Republik! Seit fünf Jahren werden hier richtungweisende Konzepte diskutiert, respektive auf den Prüfstand gestellt. Für Mitglieder meiner Generation ist das nicht immer schmerzfrei. Schonungslos hinterfragen vor allem junge Autorinnen und Autoren, ob gerade die Reformen aus der Ära Willy Brandts in der heutigen Berliner Republik noch anschlussfähig sind. Für Gewerkschaften muss dabei gelten: Wer darüber lamentiert, statt kritische Fragen zu beantworten, hat schon verloren.

Ich will deshalb für die deutsche Unternehmensmitbestimmung werben. In den Augen ihrer Kritiker entspricht sie dem Standard eines vereinten Europa oder einer globalisierten Wirtschaft nicht. BDI-Chef Rogowski bezeichnet sie als „Irrtum der Geschichte“. Flankierend dazu wird ein Bild überforderter Arbeitnehmervertreter gezeichnet. Ganz so, als kämen sie direkt von der Werkbank ahnungslos in den Aufsichtsrat – der dann von ihnen und den angeblich bornierten Gewerkschaftsvertretern an zukunftsweisenden Entscheidungen zum Wohl des Unternehmens gehindert wird.

Wer dieses Bild zeichnet, weiß es nicht besser oder verschweigt bewusst die Wahrheit. Die deutsche Mitbestimmung kann auch in einem vereinten Europa positive Wirkungen entfalten. Bereits bei der Einführung der Richtlinie für europäische Betriebsräte Anfang der neunziger Jahre zeichneten Kritiker das Szenario überflüssiger bürokratischer Monster. Wir konnten das eindrucksvoll widerlegen. In Europa gibt es zahlreiche Beispiele dafür, wie europäische Betriebsräte die Unternehmenspolitik erfolgreich mit gestaltet haben. Ohne europäischen Betriebsrat hätte etwa die Krise bei General Motors Europe und Opel weit schlimmere Dimensionen bekommen. Wir haben dort auf europäischer Ebene verlässliche Strukturen der Zusammenarbeit aufgebaut. Sie verhindern, dass die europäischen Standorte von Detroit aus gegeneinander ausgespielt werden.

Warum passt auch die deutsche Unternehmensmitbestimmung zum vereinten Europa? Einen ersten Hinweis darauf gibt die Zusammensetzung der Aufsichtsratsgremien. Die Belegschaftsvertreter sind in der Regel die Betriebsratsvorsitzenden großer Standorte. Sie kennen das Unternehmen aus der Praxis wie ihre eigene Westentasche. Auch die Gewerkschaftsvertreter sind gut qualifiziert und haben in der Regel jahrzehntelange Erfahrung. Eigene finanzielle Interessen haben Belegschafts- oder Gewerkschaftsvertreter der IG Metall nicht. Sie unterschreiben alle eine verpflichtende Erklärung, ihre Aufsichtsratstantiemen an eine wissenschaftliche Stiftung, die Hans-Böckler-Stiftung, abzuführen. Daran habe auch ich mich selbstverständlich immer gehalten.

Auf der Arbeitgeberseite sitzen häufig Vertreter der großen Banken. Ob sie ausschließlich das mittel- und langfristige Interesse des Unternehmens verfolgen, für das sie im Aufsichtsrat sitzen, darf bezweifelt werden. Seit 2000 sind laut Deutscher Bundesbank die Investitionen deutscher Unternehmen von damals 90 Milliarden Euro im Halbjahr auf aktuelle 71 Milliarden Euro zurückgegangen. Die Schweizer Großbank UBS schätzt, dass aktuell alleine deutsche Aktiengesellschaften eine Billion Euro auf der hohen Kante haben. Aber anstatt zu investieren, planen viele Aktiengesellschaften die Dividendenausschüttungen in 2005 radikal zu erhöhen. Wenn sich dieser Trend durchsetzt, ist unsere Wirtschaft akut gefährdet. Auf der Arbeitgeberseite dominieren zu sehr die Ansprüche der Aktionäre. Häufig ist es deshalb die Arbeitnehmerbank, die für Investitionen in Forschung und Entwicklung, Standortgarantien und sinnvolle Innovationen kämpft. Wegen des geltenden Doppelstimmrechts für die Aufsichtsratsvorsitzenden sitzt die Kapitalseite im Zweifelsfall immer am längeren Hebel. Dennoch haben Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten durch beharrliche Arbeit viel erreicht.

Auch die Auswüchse unkontrollierter Gier, wie wir sie in den vergangenen Jahren bei Enron, Worldcom, Parmalat und anderen multinationalen Konzernen erleben mussten, können durch eine qualifizierte Aufsichtsratsarbeit begrenzt werden. Das deutsche Mitbestimmungsmodell mit seiner qualifizierten Aufsichtsratstätigkeit im dualistischen System ist dem anglo-amerikanischen, monoistisch strukturierten Boardsystem insofern überlegen.

Jawohl, das fordert der Gewerkschafter!

Soll also alles bleiben, wie es ist? Nein. Die Unternehmensmitbestimmung muss im Sinn einer Internationalisierung der Wirtschaft und vor allem europäischer Verflechtungen reformiert werden. Der bürokratische Aufwand ist – jawohl, das fordert der Gewerkschafter – zu reduzieren. Wir wollen das komplizierte Wahlverfahren erleichtern. Auch betriebliche Vertreter in multinationalen Unternehmen, die nicht in Deutschland arbeiten, müssen in den Aufsichtsrat gewählt werden können. Eine verbesserte Berichtspflicht macht Aufsichtsratsarbeit noch wirkungsvoller.

Dafür werbe ich um Unterstützung. Wir sagen: Die deutsche Unternehmensmitbestimmung ist ein Teil unserer Vision einer zeitgemäßen Wirtschaft. Einer Wirtschaft, in welcher der Mensch nicht Knecht und Ware, sondern Träger und Gestalter der wirtschaftlichen Ordnung ist. Wem dieser – für mich immer noch richtige – demokratische Anspruch zu pathetisch ist, kann die ökonomische Vernunft walten lassen. Die deutsche Wissensökonomie braucht die Unternehmensmitbestimmung weiterhin als wirkungsvollen Garanten für notwendige Innovationen. Wir deutschen Gewerkschaften können im vereinten Europa selbstbewusst für dieses Konzept werben. Auch der Berliner Republik stünde die Unternehmensmitbestimmung als eines ihrer Markenzeichen alles andere als schlecht.

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