Wer Beton sät, erntet Enttäuschung

Das neue Hochschulrahmengesetz hat an den Hochschulen heftige Kritik ausgelöst. Seine Regelungen werden den Anforderungen der Wissenschaft nicht gerecht. Flexibilität lässt sich nicht verbieten - sie muss allerdings sozial abgefedert werden

Was seit Januar zu einem Sturm der Kritik am neuen Hochschulrahmengesetz (HRG) geführt hat, ist nicht dessen Hauptinhalt, nämlich die Einführung einer neuen Dienst- und Besoldungsordnung an den Hochschulen mit dem Juniorprofessor als Kern. Vielmehr richtet sich die anschwellende Kritik aufgebrachter Wissenschaftler und Wissenschaftsadministratoren gegen eine Randbestimmung dieses Gesetzes, die bis Anfang des Jahres in der öffentlichen Diskussion fast ganz übersehen wurde - und übrigens von der hochrangig besetzten Expertenkommission, die das Gesetz vorbereitet hatte, gar nicht vorgeschlagen worden war: die neue Befristungsregelung der Paragraphen 57a bis f.

Die hat es tatsächlich in sich. Sie beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit der wissenschaftlichen Forschung, schafft erhebliche neue soziale Probleme und verringert dramatisch, was das Gesetz eigentlich zu vergrößern versprach, nämlich die Flexibilität unseres Wissenschaftssystems und seine internationale Wettbewerbsfähigkeit. In der Auseinandersetzung um diese neue Befristungsregel wird über die Wissenschaft hinaus deutlich, dass die neue Arbeitswelt eine neue Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik braucht - die es geben kann und muss, aber nicht mit den alten Rezepten und Dogmen.

Im Vergleich zur bisherigen Situation erleichtert das neue Gesetz den Abschluss befristeter Arbeitsverhältnisse mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen innerhalb der Qualifikationsphase, die maximal zwölf Jahre dauern darf, gerechnet vom Beginn des Promotionsstudiums oder vom Antritt der ersten Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft. Nach Ausschöpfung dieser zwölf Jahre sieht das neue Gesetz ein Entweder-Oder vor: Entweder man wird unbefristet angestellt oder man muss raus aus der Wissenschaft. Bisher war die Zeit befristet (meist auf fünf bis sechs Jahre), in der die Einzelnen ohne Übergang in eine Dauerstellung bei ein und derselben Institution angestellt sein konnten; häufig und völlig legal war aber die Aneinanderreihung mehrerer befristeter Arbeitsverhältnisse durch Wechsel an andere Hochschulen oder Forschungsinstitute, auf der Basis von "Drittmittel"-Finanzierung durch Stiftungen und aus anderen Töpfen.

Jetzt wird das nicht mehr möglich sein, denn die Befristung wird künftig auf die Person bezogen. Auf die maximal zwölf Jahre nach Promotionsbeginn wird künftig jedes wissenschaftliche Ar-beitsverhältnis angerechnet, gleich wo es stattfand. Nach zwölf Jahren darf man nicht mehr beschäftigt werden, es sei denn auf einer der knappen unbefristeten Stellen, auch wenn die Qualifikation, die man anbietet, gesucht ist, eine Institution den Qualifizierten einstellen möchte und die finanziellen Mittel vorhanden sind.

Erst die Gerichte werden entscheiden

Umstritten ist, wie weit ein Ausweichen auf das allgemeine Arbeits- und Dienstrecht außerhalb des HRG möglich sein wird, vor allem auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz vom 21.12.2000. Die Verteidiger der Novelle sagen, dort gebe es auch in Zukunft genügend Befristungsmöglichkeiten, man müsse nur die Befristungsgründe genau genug spezifizieren.

Die Kritiker der Novelle bezweifeln das. Sie sagen, die Befristungsregeln des allgemeinen Dienst-rechts entsprächen den spezifischen Bedürfnissen vieler wissenschaftlicher Einrichtungen nicht. Sie sagen voraus, dass so abgeschlossene befristete Arbeitsverhältnisse den arbeitsgerichtlichen Test nicht bestehen und durch erfolgreiche Klage in unbefristete Arbeitsverhältnisse verwandelt werden, die unter den Bedingungen des Öffentlichen Dienstes und seiner Regeln faktisch unkündbar sind. Angesichts dieser Gefahr werden sich Hochschul- und Institutsleitungen restriktiv verhalten und den Abschluss von befristeten Verträgen nach dem zwölften Jahr vermeiden. Die Materie ist kompliziert. Erst die Zukunft und die ersten Arbeitsgerichtsprozesse werden zeigen, wie die Praxis im Einzelnen aussehen wird.

Wie Wissenschaft funktioniert

Sicher aber ist, dass das neue Recht den Abschluss befristeter Arbeitsverhältnisse in Hochschulen und Forschungsinstituten nach dem zwölften Jahr erheblich schwieriger und sehr viel seltener machen wird als bisher. Dafür sprechen ältere Erfahrungen mit Arbeitsgerichten sowie erste Entscheidungen von Hochschulverwaltungen angesichts der sich abzeichnenden neuen Rechtslage. Wichtiger noch ist die ausdrückliche Absicht des Gesetzgebers und der ihn beratenden Arbeitsrechtler. Sie machen klar, dass die unbefristeten Arbeitsverhältnisse nach dem zwölften Jahr reduziert, dass "Drittmittelkarrieren" erschwert, dass "Wildwuchs" beschnitten werden sollen. Dies ist die ausdrückliche Absicht, nicht etwa die ungewollte Nebenfolge des Gesetzes. Warum?

Die Befristung von Arbeitsverhältnissen ist nach Meinung der Autoren des Gesetzes nur während der Ausbildung und im Hinblick auf diese zu rechtfertigen. Im Übrigen haben Arbeitsverhältnisse nach ihrer Meinung auch in den Wissenschaften in aller Regel unbefristet zu sein. Aber dieses Prinzip (in Verbindung mit dem im öffentlichen Dienst weit getriebenen Kündigungsschutz) widerspricht den Erfordernissen der wissenschaftlichen Forschung, die häufig projektförmig verläuft.

Fluktuation verhindert Erstarrung

Forschungsprojekte werden auf ein paar Jahre entworfen, finanziert und durch Teams ausgeführt. Dann legt man die Ergebnisse der Fachöffentlichkeit vor. Danach werden Fragen und Forschungsziele neu formuliert und Forschungsteams neu zusammengesetzt et cetera. So ermöglicht man angesichts schnell wechselnder Fragestellungen, Me- thoden und Einsichten innovative, originelle wissenschaftliche Forschung, die international mithalten kann. Genau das erfordert befristete An-stellungsverhältnisse auch jenseits der Qualifizierungsphase.

Die Fluktuation zwischen den Forschungs-Einrichtungen, besonders zwischen Hochschulen und außeruniversitärer Forschung, ist überdies essentiell. Alles andere führt erfahrungsgemäß zur Erstarrung. Auch deshalb empfiehlt der Wissenschaftsrat, dreißig bis fünfzig Prozent der Wissenschaftlerstellen in Forschungseinrichtungen befristet zu besetzen. Dies wird unter dem neuen Gesetz nicht mehr möglich sein. In vielen Instituten wird man auf hochqualifizierte Personen verzichten müssen, die man eigentlich braucht, wenngleich nicht auf Lebenszeit, und die man nun nicht mehr einstellen kann, es sei denn in faktisch unkündbaren Stellungen - falls es die gibt.
Mit gutem Grund haben die vier Zeithistorischen Institute der Bundesrepublik in einem offenen Brief gegen das neue HRG protestiert, und viele andere auch. Dort droht unter dem neuen Gesetz viel Interessantes abzubrechen. Das neue Gesetz wird die Forschung behindern, soweit sie projektförmig verläuft.

Die Begründung des neuen Gesetzes weist auf soziale Missstände hin, die heute bestehen. Der Wechsel von einem Drittmittelprojekt mutet den so beschäftigten Personen viel Unsicherheit zu. Die damit verbundene Belastung wächst mit zunehmendem Alter. Das ist in der Tat ein Problem. Aber einerseits sind viele bereit, das ihnen nicht unbekannte Risiko auf sich zu nehmen, um ihren Beruf ausüben zu können. Sie wenden sich dagegen, dass sie nun vom Gesetzgeber daran gehindert werden. Sie wollen nicht von einem gängelnden Staat in ein so genanntes "Normalarbeitsverhältnis" gezwungen werden, sondern selbst bestimmen, was für sie gut ist. Es gibt mehr und mehr Lebensentwürfe, für die häufige Mobilität das Normale ist.

Plötzlich werden die Spielregeln geändert

Zum anderen könnte und müsste man versuchen, die häufigen Übergänge von einem Arbeitsverhältnis zum anderen arbeitsrechtlich und sozialpolitisch abzufedern: durch Erleichterung dieses Übergangs, durch treffsichere Hilfe bei der Suche nach dem nächsten Platz, durch kumulierbare Anwartschaftsrechte auf Pensionen im Alter und im Krisenfall, vielleicht auch durch höhere Bezahlung von befristeten im Vergleich zu unbefristeten Arbeitsverhältnissen. Statt als prekär empfundene Arbeitsverhältnisse zu verbieten, wie dieses Gesetz es tut, geht es darum, ihre prekären Aspekte zu lindern.

Im Bemühen, bestehende soziale Probleme zu lösen, schafft das Gesetz neue. Es trifft die jetzt 35-45-jährigen Promovierten und Habilitierten besonders hart. In ihrer Berufs- und Lebensplanung konnten sie bisher davon ausgehen, befristete Möglichkeiten zur Ausübung ihres Berufs zu finden, wenn schon keine Lebenszeitstellung möglich ist. Jetzt werden die Spielregeln plötzlich geändert. Sie müssen sich betrogen vorkommen. Ihr Ausschluss aus dem Wissenschaftssystem ist programmiert. Die Besten unter ihnen werden ins Ausland ausweichen und den ohnehin stattfindenden brain drain verstärken. Das Gesetz trifft Frauen mit ihren häufiger gestückelten Berufsläufen härter als Männer. Es betrifft besonders solche Berufe, für die außerhalb der Wissenschaft nur wenig entwickelte Arbeitsmöglichkeiten bestehen, also den geisteswissenschaftlichen Bereich.

Leistungshemmend und unsozial zugleich

Es trifft viele ehemalige Ostdeutsche mittleren Alters besonders hart: Nachdem das "Wissenschaftler-Integrationsprogramm (WIP)" der neunziger Jahre gescheitert ist und auch viele gut Evaluierte unter ihnen nicht in Lebenszeitstellen eingerückt sind, hielten sie sich oft mit Drittmittelverträgen über Wasser. Dieser "Wildwuchs" wird jetzt entsorgt.

Im Effekt ist das Gesetz leistungshemmend und unsozial zugleich. Letztlich unternimmt es den Versuch, das alte, überholte, wenngleich weiterhin hoch geschätzte Leitbild des möglichst über die gesamte Lebenszeit stabilen "Normalarbeitsverhältnisses" gegen eine Wirklichkeit durchzusetzen, die ihm immer weniger entspricht. Doch die erfolgreiche Arbeits- und Sozialpolitik der Zukunft muss anders aussehen. Sie wird sich auf die zunehmende Flexibilität und Mobilität auf den Arbeitsmärkten einstellen - nicht um sie zu verhindern oder zu erschweren, sondern um sie sozial abzufedern und erträglich zu machen. Die Wissenschaft hält dafür längst Anregungen und Vorschläge bereit, beispielsweise in dem Modell der "Übergangsmärkte" (Günther Schmid). Es geht nicht um die Abdankung sondern um die Erneuerung der Sozialpolitik, die in Zukunft eher notwendiger sein wird als bisher.

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