Wenn Bin Laden die Bayern bedroht

Die Union fordert, einzelne Bundesländer müssten zur Unterstützung ihrer Polizei die Bundeswehr anfordern können, um terroristische Bedrohungen abzuwehren. Was für ein absurder Föderalismusstolz!

Wenn Islam-Terroristen zum „Heiligen Krieg“ aufrufen und die Vereinigten Staaten zum „Krieg gegen den Terror“ rüsten, klingt das nach Militäreinsatz, nach Bomben, Panzern und Soldaten im Häuserkampf. Tatsächlich ähneln die Wirkungen terroristischer Anschläge von Al-Kaida, Hamas und anderen inzwischen eher massiven militärischen Schlägen als etwa den Mord-Attentaten der RAF von früher. Und tatsächlich haben die USA im Namen des Antiterrorkampfes zwei Kriege geführt – gegen das Afghanistan der Taliban und gegen den Irak Saddam Husseins, einmal mit und einmal ohne UN-Mandat, einmal mit und einmal ohne deutsche Beteiligung.

Dennoch ist der Kampf an der Terrorfront weltweit und erst recht im Inland zuallererst eine Aufgabe von Nachrichtendiensten und Polizei. Es geht um geheime Terrorzellen, die aus einer überschaubaren Zahl von untergetauchten oder getarnten Extremisten bestehen. Es geht um einzelne Tatverdächtige, Drahtzieher, Täter und Komplizen mit Namen und Adressen, die ermittelt, verhört, ausgewiesen oder festgenommen, angeklagt und gegebenenfalls verurteilt werden müssen. Das ist nichts für die Bundeswehr.

Wer wirksame Antworten auf die neue Bedrohung geben will, sollte nicht im Fundus alter Feldzeichen wühlen. Allen Ernstes beantragt die Union in Bundestag und Bundesrat, Artikel 35 GG dahingehend zu ändern, dass „ein Land“ zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung „im Falle terroristischer Bedrohungen“ die Bundeswehr „zur Unterstützung seiner Polizei beim Schutz ziviler Objekte anfordern“ kann. Was müsste da passiert sein: Bin Laden droht Bayern? Schleswig-Holstein schützt seine Land- und Seegrenzen gegen Al-Kaida? Welch ein absurder Förderalismusstolz!

Wenn deutsche Streitkräfte zur militärischen Gefahrenabwehr eingesetzt werden sollen (und nicht gegen Schnee-, Waldbrand- oder Hochwasserkatastrophen), dann ist das wohl Bundessache, wenn nicht gar auch Bündnissache. Nicht der amerikanische Bundesstaat New York bat 2001 die Nato um Unterstützung beim Antiterrorkampf, sondern die Vereinigten Staaten von Amerika. Daraufhin stellte die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft einstimmig den Bündnisfall fest; AWACS-Flugzeuge aus Geilenkirchen wurden direkt in die USA verlegt, ständige Nato-Flottenverbände in die UN-mandatierte Operation „Enduring Freedom“ eingebunden.

Ohne Parlamentsbeschluss geht es nicht

Im Falle einer konkreten großen terroristischen Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland, egal ob sie einem oder allen sechzehn ihrer Länder gilt, könnte der Deutsche Bundestag mit Zweidrittel-Mehrheit nach Artikel 80a GG den Eintritt des Spannungsfalles feststellen. Dann könnten Soldaten (nach Artikel 87a GG) auch zum Schutz ziviler Objekte oder zur Verkehrslenkung eingesetzt werden – aber nicht, weil ein einzelner Innenminister das zur Entlastung seiner Landespolizei so angefordert hat. Wenn Soldaten zum Kämpfen bereitgestellt werden sollen, egal ob im Inland oder im Ausland, dann geht das nicht ohne Parlamentsbeschluss.

Selbstverständlich ist die Bundeswehr mit aktiven und mit Reserve-Verbänden zum Objektschutz in der Lage, seien es militärische Einrichtungen, Flughäfen, Häfen, Bahnanlagen, Atommeiler oder Chemiewerke; darauf vorbereitet zu sein, gehört zu ihren verfassungsmäßigen Aufgaben. Aber unterhalb der Schwelle des Notstands-, Spannungs- oder Verteidigungsfalles ist sie im Inneren nicht polizeilich einsetzbar, aus gutem Grund: Den Ländern bleibt genauso wenig die Finanzierung ihrer Bereitschaftspolizei-Hundertschaften erspart wie dem Bund die Bereithaltung des Bundesgrenzschutzes, der übrigens auch Wehrpflichtige ziehen und Reserven bilden könnte, wenn man das wollte.

Stattdessen 50 zusätzliche „Heimatschutz“– Bataillone des Heeres aufstellen zu wollen – für die „unmittelbare Hilfeleistung bei terroristischen Angriffen mit nuklearen, biologischen und chemischen Mitteln“ sowie zur Unterstützung bei Großschadenslagen – diese Unionsforderung klingt, als glaubte man, die Bundeswehr hätte es nötig, nach neuen Aufgaben zu suchen. Der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe hat Recht, wenn er das wie auch der amtierende Minister Peter Struck rundweg ablehnt.

Kann die Bundeswehr Anschläge verhindern?

Zur „Hilfeleistung“ steht die Bundeswehr nach Artikel 35 GG (Amts- und Katastrophenhilfe) jederzeit bereit. Sie hilft der Polizei mit Aufklärungs-Tornados bei der Suche nach Vermissten. Sie kann mit ihrer ABC-Schutztruppe, ihren Pionieren, mit den Bundeswehrkrankenhäusern und der gesamten flächendeckend präsenten Sanitätstruppe die Folgen von Unglücksfällen oder Anschlägen mildern. Sie kann helfen, Bahnstrecken Kilometer für Kilometer zu kontrollieren. Aber einzelne Anschläge in Deutschland militärisch verhindern – wie sollte die Bundeswehr das machen?

Rechtliche Lücken, die bisher dem Einsatz geeigneter Mittel der Streitkräfte zur Abwehr terroristischer Gefahren entgegen stehen, können relativ einfach geschlossen werden: Das jetzt in der Beratung befindliche Luftsicherheitsgesetz überträgt die Zuständigkeit für Kontrolle, Abdrängen, Zur-Landung-Zwingen und im Extremfall den Abschuss eines entführten Flugzeugs auf den Verteidigungsminister. Eine ähnliche Regelung für Terrorangriffe von See aus wäre sinnvoll. Falls Verfassungsexperten dazu raten, zur klaren Absicherung solcher einfachgesetzlichen Regelungen das Grundgesetz, hier Artikel 35 GG, zu ändern, sollte das für SPD und Grüne kein Problem sein.

Aus dieser Betrachtung von Befugnissen und Fähigkeiten der Bundeswehr zur Terrorbekämpfung im Inneren ergibt sich, dass die neuen Antworten auf die neue Dimension der Bedrohung eher auf anderen Feldern liegen: Im Bundeskriminalamt sollte sich künftig eine eigene Abteilung der Terrorabwehr widmen. In Deutschland leben zurzeit 30.000 islamistische Extremisten, davon gelten 3.000 als gewaltbereit. BKA, Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und das Zollkriminalamt sollten hier enger kooperieren und ihre Erkenntnisse in einer Verbunddatenbank einander nutzbar machen. Gleiches gilt, schwieriger umzusetzen, für die europäische Zusammenarbeit und für den transatlantischen Austausch. Geheimniskrämerei vor den Freunden und Verbündeten nutzt am Ende nur den Feinden der Freiheit.

Wiederaufnehmen müssen wir in Deutschland die lange erprobte zivil-militärische Zusammenarbeit im Zivil- und Katastrophenschutz. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde allzu schnell allzu viel an zivilen Kapazitäten ausrangiert und abgebaut, bis hin zur Warnorganisation. Hier wieder anzuknüpfen, auch mit regelmäßigen Übungen wie Wintex/Cimex, wird uns in Deutschland wohl leichter fallen als der völlige Neuaufbau von „Heimatschutz“, wie ihn jetzt die USA mit fast 40 Milliarden Dollar jährlich betreiben. Unverzichtbar bleibt die geistige Auseinandersetzung mit totalitären Bedrohungen in jeder Form. Diese offensive, kämpferische Aufarbeitung kann auch von den friedliebenden und vernünftigen, den modernen Muslimen hier in Deutschland wie in der islamischen Welt erwartet werden. Die „internationalen“ Terroristen haben nicht allein Flugzeuge gekapert, sondern eine ganze Religion. Dagegen können sich die Muslime nur selbst wehren. Wir sollten sie dazu ermutigen.

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