Weg mit der Wehrpflicht!

Individuelle Freiheit wiegt schwerer als die alten Pflichtdienst-Argumente

Die Zukunft der Bundeswehr und die Frage "Welchen Auftrag hat die Bundeswehr heute?" sind keine Themen, die nur von Generalstäben oder ausgewählten Kommissionsmitgliedern diskutiert und entschieden werden dürfen. Fragen wie die Beibehaltung oder Abschaffung der Wehrpflicht betreffen nicht nur die Lebensplanung junger Männer, es geht auch um Organisationsprinzipien unserer Gesellschaft. Die Verankerung der Bundeswehr in unserer Gesellschaft setzt voraus, dass über eine grundlegende Bundeswehrreform ein öffentlicher Diskurs stattfindet. Wer sich diesem verweigert, und sei es nur durch vermeintlich gebotene Eile, beschädigt die Akzeptanz der Bundeswehr in der Bevölkerung. Es gibt in der Demokratie nichts zu verbergen, schon gar nicht beim Militär.

Grundlage einer jeden Bundeswehrreform muss die Neudefinition des Auftrages unserer Streitkräfte sein. Der bestand bisher in der Verteidigung der Landesgrenzen. Ost-West-Konflikt und Kalter Krieg aber gehören der Vergangenheit an. Die Feinde von gestern sind heute die Bündnispartner von morgen. Die Bundeswehr wird zukünftig stärker mit humanitären Hilfsmaßnahmen, Frieden erhaltenden Blauhelm-Missionen und wohl auch Frieden erzwingenden Militäroperationen beschäftigt sein. Letzteres aber nur unter dem Dach der UNO und im Einklang mit dem Völkerrecht. Die Konsequenzen für die Struktur der Streitkräfte sind weitreichend. Zum einen wird man zukünftig mit einer kleineren, moderneren und flexiblen Truppe diesen Anforderungen gerecht, zum anderen ist die Wehrpflicht unter diesen Umständen nicht mehr zu halten.

Der tiefe Eingriff in die individuelle Freiheit junger Männer durch die allgemeine Wehrpflicht konnte und kann grundsätzlich nur mit der Verteidigung Deutschlands und seiner Staatsbürger gegen äußere Gefahren begründet werden. Weltweite Einsätze zur Krisenvorsorge und Krisenbewältigung als Hauptauftrag der Bundeswehr reichen hierfür nicht mehr aus. Allein dies ist Grund genug zu sagen: Weg mit der Wehrpflicht! Es besteht bisher allgemeine Einigkeit, die Anzahl der heute 130.000 Wehrpflichtigen deutlich zu verringern.

Eine niedrigere Zahl von Wehrpflichtigen aber ermöglicht Wehrgerechtigkeit, so man diese anstrebt, nur um den Preis einer drastisch kürzeren Wehrdienstdauer. Die notwendige Professionalität in einer modernen Armee kann ein Wehrpflichtiger in drei oder vier Monaten unmöglich erbringen. Darunter würde ein hochtechnisiertes System, wie es die Bundeswehr ist, leiden. Deshalb ist der Vorschlag der Weizsäcker-Kommission, einen Rest von 30.000 Wehrpflichtigen übrig zu lassen, Unsinn. Lieber lässt man sich mangelnde Praktikabilität vorhalten, als mutig anstelle der de facto-Abschaffung ein echtes Ende der Wehrpflicht zu proklamieren.

Ein immer wieder gehörtes Argument ist die Aussage, dass die allgemeine Wehrpflicht für die Verankerung der Bundeswehr in einem demokratischen Deutschland unverzichtbar sei. Dies ist sicherlich nicht in Abrede zu stellen, muss aber angesichts der Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts überdacht werden. Deutschland ist von Ländern mit Berufs- bzw. Freiwilligenarmeen umringt, auch im Westen. Nato-Partner wie England, Belgien und Holland haben auch keine Wehrpflicht. Darum ist nicht nachvollziehbar, warum das in Deutschland nicht auch gehen sollte. Die genannten Demokratien sind älter als die unsrige. Die Wehrpflicht alleine ist also keine Frage des demokratischen Systems. Zudem ist die Demokratie in Deutschland nach 50 Jahren so gefestigt, dass die Gefahr von Weimar nicht mehr gegeben ist, eine Berufsarmee könnte sich zu einem "Staat im Staate" oder einem "Hort für Demokratiefeinde" entwickeln. Dabei erstaunt immer wieder, wie wenig innere Stabilität anscheinend der Bundeswehr zugetraut wird. Zumindest von denen, die solche Argumente ins Feld führen, vielfach Generäle übrigens. Innere Führung und politische Bildung innerhalb der Truppe lassen heute solche Ängste als absurd erscheinen. Genauso absurd wie die finanzpolitische Argumentation. Hier klaffen die Antworten weit auseinander. So nennt das Bundesverteidigungsministerium Mehrkosten in Höhe von vier Milliarden Mark für eine Berufsarmee; das Institut für strategische Studien in Hamburg nennt denselben Mehrbetrag, aber für den umgekehrten Fall der Wehrpflichtarmee.

Unabhängig davon argumentierten gerade die Militärs bisher immer: Die Sicherheitspolitik darf nicht von der Finanzlage bestimmt werden. Dem ist auch heute zuzustimmen: Die Haushaltskonsolidierung darf nicht über die Zukunft der Wehrpflicht entscheiden, so oder so.

Auch die Frage der Auslese bei einer Berufsarmee wird in der Diskussion aufgeworfen. Hierbei kommt es zu Unterstellungen, dass die dann verbleibende Berufsarmee nur noch aus versprengten Söldnern oder Möchtegern-Rambos besteht. Die Erfahrungen aus unseren Nachbarländern sind vielfältig. Wenn man einmal von einigen Verwendungen absieht, wie zum Beispiel in der Luftwaffe, sind auch heute bereits die Abiturienten eher unter- und die Hauptschulabsolventen eher überproportional vertreten. Im Übrigen: eine kleine, moderne, flexible und gut ausgestattete neue Bundeswehr wäre für alle Bildungsschichten attraktiver.

Dass die Befürworter der Wehrpflicht nun auch noch die Rettung des Zivildienstes als Argument für die Erhaltung des Pflichtdienstes anführen, ist genauso daneben wie verlogen. Man kann nicht an der Wehrpflicht festhalten, nur damit es für Sozial- und Wohlfahrtsverbände weiterhin billige Arbeitskräfte in Form von Zivis gibt. Es käme auch niemand auf die Idee, den Wehrdienst abzuschaffen, nur um die durchschnittliche Ausbildungsdauer in Deutschland zu verkürzen.

Die Diskussion über die Zukunft der Bundeswehr und des Zivildienstes ist sicherlich schwierig und komplex, aber sie muss offen und öffentlich geführt werden - aus praktischen Erwägungen heraus, denn die Entscheidungen stehen an. Und auch aus grundsätzlichen Erwägungen: Es geht um die Zukunft unserer Zivilgesellschaft.

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