We want Change! Oder lieber doch nicht?

Weite Teile unserer Gesellschaft, unserer Medien und auch viele Sozialdemokraten halten internationales Engagement noch immer für verfassungswidrig und moralisch bedenklich. Doch wer eine bessere Welt will, muss jetzt seinen Beitrag leisten

Die überwältigende Mehrheit der Menschen auf der Welt ist erleichtert über den Regierungswechsel in den Vereinigten Staaten. Auch wenn die neue Regierung einige Startschwierigkeiten hatte, bleiben die Begeisterung für und die Hoffung auf Barack Obama ungebrochen. Barack und Michelle Obama werden als direkte Antithese zu Stil und Atmosphäre der Bush-Jahre und als Ikonen des 21. Jahrhunderts wahrgenommen. Dahinter steht der Wunsch nach einer fundamental anderen internationalen Politik und nach einer besseren Welt. Genau dafür soll die demokratische Führungsmacht des Westens sorgen, die Weltmacht USA, an deren Spitze der "mächtigste Mann der Welt" steht.

Vor allem auch viele Menschen in Deutschland und Europa wünschen sich, dass die von den Denkfabriken der "Neocons" entworfene Politik der Ära Bush mit ihren brutalen und folgenschweren Fehlentscheidungen in der Außenpolitik inklusive der Deformation ureigener amerikanischer Werte widerlegt und korrigiert wird. "Achse des Bösen", "Koalition der Willigen", "extraordinary renditions", "Guantanamo" und "Kreuzzüge" " diese Schlagworte sollen der Vergangenheit angehören. Richtig so! Sich rhetorisch und moralisch gegen die Konzepte und die fatale Politik von Bush und Blackwater zu stellen, war und bleibt richtig. Bush ablehnen " klar doch!

Aber was nun? Ist Deutschland überhaupt bereit für eine völlig andere amerikanische Politik? Wie lauten unsere eigenen außenpolitischen Vorstellungen und Konzepte in der globalisierten Welt? Welche Partnerschaft haben wir den erneuerten USA überhaupt anzubieten? Bei näherer Betrachtung sehen wir, dass Politik und Gesellschaft in Deutschland hinter der Zeit sind. Oft scheint es sogar, als wäre die deutsche Öffentlichkeit im Jahr 1989 stehen geblieben. Nach dem Motto: Wir sind nicht richtig souverän - und das ist auch gut so. Doch so leicht können wir uns die Sache nicht machen.

Wer sich einen neuen amerikanischen Multilateralismus wünscht " also keine Alleingänge, kein Dominanzstreben, sondern kooperative Außenpolitik ", der kann sich nun auf Angebote zur Zusammenarbeit gefasst machen, die zu längst überfälligen Debatten in Deutschland und Europa führen werden. Klar ist: Wenn Barack Obama mit multilateralistischer Politik erfolgreich sein soll, darf Deutschland sich der Zusammenarbeit nicht verschließen.

Denn um mehr Frieden und Entwicklung auf der Welt zu schaffen, bedarf es außer einer Führungsmacht mit einer strahlenden demokratischen Führungsfigur dringend weiterer demokratischer und wohlhabender Staaten, die sich dem Ziel einer Globalisierung mit menschlichem Antlitz verschreiben. Dazu gehört der größte und " Krise hin, Krise her " wirtschaftsstärkste Mitgliedsstaat der Europäischen Union: eben Deutschland. Wer die Welt verbessern will, muss bereit sein, Einfluss auszuüben und seine Stärken einzusetzen. Gleichzeitig müssen die Vereinigten Staaten künftig von Versuchen absehen, die EU und die europäischen Nato-Staaten zu spalten und gegeneinander auszuspielen.

Was wir aus der Geschichte gelernt haben

In weiten Teilen unserer Gesellschaft, unserer Medien, aber auch der SPD ist es nach wie vor schick, internationales Engagement von vornherein als politisch gefährlich, verfassungswidrig und moralisch bedenklich zu diskreditieren. Nicht selten wird ausgerechnet der Nationalsozialismus als Argument gegen ein Mehr an deutscher Außenpolitik bemüht. Offenbar hatten uns der 8. Mai 1945 und der Kalte Krieg bis 1989/90 eine klar strukturierte Weltordnung beschert, in der es sich vor allem für die Deutschen, die von sich behaupteten, aus der Geschichte gelernt zu haben, mit außenpolitischer Selbstbeschränkung bequem leben ließ.

In Wirklichkeit war das sozialdemokratische Westdeutschland ein entscheidender Aktivposten für die Demokratisierung Süd- und Osteuropas. Doch diese nachhaltigen Erfolge unserer Außenpolitik für Frieden, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit auf dem europäischen Kontinent sind jenseits historischer Bilder kaum im Bewusstsein präsent. Nur Fachleute sind sich über die konzeptionellen Grundlagen und operativen Abläufe der Ost- und Entspannungspolitik im Klaren. Diese Politik hatte deutsche Interessen klar identifiziert, mit dem passenden Instrumentenkasten bearbeitet und so das Ende des Kommunismus beschleunigt. Es ist nur folgerichtig, sich in diese Tradition von Außenpolitik zu stellen, da sie zweifelsfrei innovativ, demokratisch und unblutig war.

Warum Deutschland Schrittmacher sein muss

Allerdings versagte diese Methode, als die Spielregeln des Kalten Krieges nicht mehr galten, die offene militärische Aggression und Auseinandersetzung zwischen den Kontrahenten jahrzehntelang unterbunden hatten. Sie ist auf innerstaatliche militärische Konflikte nicht mehr anwendbar, wie die Kriege in Ex-Jugoslawien mit mehr als 200.000 Toten beweisen. Gegen Ethno-Nationalismus, Staatszerfall und die Kriege in Südosteuropa konnten wir weder klar definierte Interessen noch einen gut sortierten Instrumentenkasten setzen. Zudem hatten wir in den Zeiträumen, in denen es darauf ankam, keine europäische Strategie. So blieben wir in den neunziger Jahren durch Fehlwahrnehmung und Überforderung tatenlose Zuschauer von Massenmord und Vertreibung, leugneten auf folgenschwere Weise die Möglichkeit von Notwehr und Nothilfe auf dem eigenen Kontinent und haben dann, im letzten Kapitel der Kriege im Kosovo, aus schlechtem Gewissen und ohne politisches Konzept rhetorisch und militärisch überreagiert.

Deshalb liegt bislang nur ein Teilergebnis unserer unvollkommenen Politik aus den neunziger Jahren vor. Es lautet: Das Ende des Kommunismus ist ein Fortschritt; die Zukunft multinationaler Transformationsstaaten außerhalb der Europäischen Union " Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Kosovo, Ukraine, Moldawien " bleibt dagegen bis auf weiteres ungewiss und damit zwingend im Fokus unserer Aufmerksamkeit. Deutschland ist verpflichtet, im Rahmen der EU-Erweiterung und der EU-Nachbarschaftspolitik Schrittmacher zu sein.

Deutschland muss Prioritäten setzen

Die Liste der Aufgaben in der internationalen Politik ist schier endlos. Umso wichtiger ist eine Prioritätensetzung unter Beachtung von Risiken und Kapazitäten. Doch insgesamt kann und muss Deutschland stärkere Akzente setzen: etwa bei der Frage, welche Rolle die Staaten Osteuropas sowie Russland in Sachen Demokratisierung und Zusammenarbeit in EU und Nato spielen; beim zivilen Aufbau im Irak; bei der Polizeiausbildung in Afghanistan und der Stabilisierung Pakistans; bei der Entschärfung der iranischen Nuklearkrise; bei der Energiepolitik mit Nordafrika und Zentralasien; und letztlich auch beim Schlüsselkonflikt zwischen Israel und Palästina. Außenminister Frank-Walter Steinmeier geht den richtigen Weg, indem er bei Konflikten auch auf die Einbeziehung der relevanten Nachbarn setzt wie zum Beispiel Syrien oder Pakistan. Diese Strategie könnte sich als die Entspannungspolitik des 21. Jahrhunderts erweisen.

Während sich die Europäische Union an wichtigen Fragen wie der Schwarzmeerkooperation und der Union für das Mittelmeer abarbeitet, blickt Obamas Amerika auf einen anderen Ozean: den Pazifik mit den alten und neuen Großmächten Japan und China. Diese unterschiedlichen Horizonte müssen uns klar sein, dürfen jedoch kein Hindernis für erneuerte Zusammenarbeit bedeuten. Aus diesem Grund sind wir darauf angewiesen, dass der Nato-Gipfel in Strasbourg und Baden-Baden nicht nur als regionales Verkehrshindernis in Erinnerung bleibt. Die Nato braucht ein neues Konzept für eine veränderte Welt.

Die Frage nach der Strategie der Nato ist noch wichtiger als die Frage nach der Erweiterung. Es lohnt deshalb, sich einer Kernfrage der Nato zuzuwenden: dem Verhältnis zu Russland. Genau hier kann Deutschland eine wichtige Rolle spielen " frei von Fehleinschätzungen hinsichtlich Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten in Russland, aber ebenso frei von in die Politik getragenen historischen Ressentiments. Als kenntnisreicher und respektierter Nachbar, der den Transformationsstaat, die europäische Atommacht und den Ressourcengiganten Russland einbindet, können wir Demokratisierung, Entspannung und Energieaußenpolitik kombinieren.

Obama wird nicht lange warten können

Letztlich lautet die entscheidende Frage: Wollen wir eine EU, die sich als reiche und isolierte Schweiz dieser Welt aufführt und sich und die globalisierte Welt einer frühkapitalistischen Diktatur wie China überlässt? Wer das nicht will, der muss endlich deutsche und europäische Interessen für eine demokratische und friedliche Entwicklung der Welt benennen und organisieren. Europa und Deutschland müssen ihre Politik und ihre geistige Haltung globalisieren. Präsident Obama wird nicht lange warten können, bis dieser Prozess beginnt, er wird ihn um seines eigenen Erfolges willen mit klaren Forderungen beschleunigen. Die Auflösung des Gefangenenlagers Guantanamo und die Anfrage, unschuldige Insassen aufzunehmen, deren Reiseziel niemals und jetzt erst recht nicht mehr die Vereinigten Staaten waren, ist nur ein kleiner Vorgeschmack. Obamas erste Avancen sind eine sympathische und " gemessen an den Problemen dieser Welt " schmerzfreie Gelegenheit, Versäumnisse nachzuholen.

Es wäre ein enormer Fortschritt, wenn in Deutschland über Außenpolitik auch einmal öffentlich debattiert würde, ohne dass ein aktueller Krieg oder die Mandatierung eines Bundeswehreinsatzes dazu akut Anlass gibt. Wer sich eine bessere Welt wünscht, muss jetzt seinen Beitrag leisten.

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