Friedliche Teilung als Lösung

Wie weiter im westlichen Balkan? Europa hat ein ureigenes Interesse an einer friedlichen und dauerhaften Beilegung der Kosovo-Frage. Gefragt sind Flexibilität, europäisches Bewusstsein - und die Bereitschaft, auch unkonventionelle Lösungswege auszuloten

Europa fällt es schwer, in der internationalen Politik neben den alten Supermächten USA und Russland, den aufsteigenden Weltmächten China, Indien und Brasilien sowie den Wirtschaftsmächten Japan und Südkorea zu bestehen. Umso alarmierender sind die Tendenzen der Re-Nationalisierung innerhalb der Europäischen Union. Die größten Probleme existieren in der Außenpolitik. Anstatt einmal formulierte europäische Standpunkte gemeinsam durchzusetzen, konterkarieren einzelne EU-Mitgliedsstaaten regelmäßig im Alleingang die gemeinsamen Bemühungen. Dieses Durcheinander ist besonders problematisch, wenn es um die Krisenherde dieser Welt geht.

 

Bleiben wir in Europa. Der Kosovo ist eine instabile und unterentwickelte Kleinregion mit knapp zwei Millionen Einwohnern in der Mitte Europas, die nach wie vor ausreichend Konfliktpotenzial für einen Bürgerkrieg bietet, der auch die Nachbarstaaten erfassen könnte. Im Juli hat Martti Ahtisaari, der finnische UN-Chefunterhändler für den Kosovo, seine Arbeit für beendet erklärt. Ahtisaari hatte Empfehlungen zum künftigen Status des Kosovo erarbeitet. Seine Vorschläge für die Fragen der Minderheitenrechte und der Dezentralisierung müssen allen Anhängern kollektiver Minderheitenrechte wegweisend erscheinen.

 

Doch nun droht die Europäische Union in dieser Frage auseinanderzufallen – und spielt so den nationalen Interessen der Vereinigten Staaten, Russlands sowie der Nationalisten in Pristina und Belgrad in die Hände. Dabei sollte doch das europäische Eigeninteresse an einer friedlichen und dauerhaften Lösung der Kosovo-Frage im Mittelpunkt der europäischen Außenpolitik stehen. Es mag abgedroschen klingen, aber in der Kosovo-Frage „balkanisiert“ sich die EU.

 

Wir Deutschen haben, ob wir es wollen oder nicht, eine herausragende Verantwortung für den Kosovo. So sind maßgebliche internationale Leitungsfunktionen in der Diplomatie, in der Zivilverwaltung und beim Militär mit Deutschen besetzt. Bislang traten wir als Ratgeber auf, ohne das deutsche und europäische Interesse konsequent zu vertreten – nämlich die dauerhafte Stabilität und Entwicklung der Region. Dieses Ziel lässt sich nur durch einen Kompromiss zwischen den Konfliktparteien erreichen, bei dem beide Seiten das Gesicht wahren können. Es scheint, als kehre mit der Einschaltung des deutschen Diplomaten Wolfgang Ischinger endlich mehr Flexibilität und mehr europäisches Bewusstsein in die europäische Kosovo-Politik ein.

Führt der alte Frust zu neuer Gewalt?

 

Jahrelang wurde international verkündet, der Kosovo werde auf jeden Fall unabhängig. Damit haben wir uns selbst in Zugzwang gebracht und den Nationalisten im Kosovo den Weg geebnet. Kein Wunder, dass die Wortführer dieser Maximalposition mittlerweile von der kosovo-albanischen Führung in Mithaftung genommen werden. Dies könnte spätestens dann zum Problem werden, wenn der Kosovo in diesem Jahr nicht unabhängig wird und der angestaute Frust zu Gewaltausbrüchen und zur Vertreibung von Minderheiten führt.

 

Derzeit bereitet die EU im Kosovo die größte Friedens- und Aufbaumission ihrer Geschichte vor. In Martti Ahtisaaris Vorschlägen zur Regelung des Kosovo-Status kommt der KFOR-Friedenstruppe eine besondere Rolle zu, ebenso wie der ambitionierten EU-Mission zum Aufbau einer dezentralen Verwaltung und eines Rechtsstaats sowie zur Durchsetzung des Minderheitenschutzes. Selbst wenn alles nach Plan liefe – klar ist, dass das Vorhaben für die EU eine enorme Herausforderung und mit großem Aufwand verbunden wäre. Unklar ist hingegen derzeit, auf welcher rechtlichen Grundlage die EU-Mission agieren würde, wenn die UN-Resolution 1244 weiterhin in Kraft bliebe und nicht von einer neuen UN-Resolution abgelöst würde.

Wie die EU ihren Einfluss vergrößern könnte

 

Doch zur Überraschung vieler spielt die Führung in Belgrad bei den Statusverhandlungen unverdrossen auf Zeit, während Russland seinen Kurs auch in den Vereinten Nationen durchhält. Von russischen Diplomaten ist zu hören, Russland habe seine Schwächephase der neunziger Jahre endgültig überwunden. Die Welt steht also vor der Frage, ob sie den UN-Beschluss akzeptieren soll. Die einseitige Anerkennung ist völkerrechtlich mindestens fragwürdig. Sie würde zu einer weiteren und noch tieferen Spaltung der Europäischen Union in der Außenpolitik führen.

 

Angesichts der Spannungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten in der Kosovo-Frage könnte die Europäische Union mit ein wenig mehr Koordination ihren Einfluss erheblich vergrößern – und nicht nur am Boden die Hauptarbeit leisten, während andere die Rahmenbedingungen festlegen. Die Verantwortung für die Zukunft des Protektorats hat die EU ohnehin schon übernommen.

 

Wir scheuen aus guten Gründen davor zurück, entlang nationaler oder ethnischer Trennlinien neue Staatsgrenzen zu ziehen. Deshalb wurden die Staatsgrenzen der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien letztlich entlang der alten Republikgrenzen gezogen. So wäre es in der Tat falsch, Bosnien-Herzegowina zu teilen und aufzulösen – ein Land, das eine Kulturnation ist, mit einer gemeinsamen Sprache und mannigfachen Verwandtschaftsbeziehungen quer über die ethnischen Schranken der neunziger Jahre hinweg.

 

Jedoch: Ergibt dieses Axiom im Kosovo Sinn, wo sich zwei Völker historisch, sprachlich und kulturell klar voneinander unterscheiden und mehrere Minderheiten bestenfalls nebeneinander her leben? Beide Völker – Albaner und Serben – haben definitiv genug voneinander. Das Unabhängigkeitsstreben der Kosovo-Albaner kann niemand ignorieren. Auch Belgrad tut dies nicht. Im Gegenteil, seit die Serben 1912 im Kosovo einmarschierten, hat die Unterdrückung der Kosovo-Albaner durch Belgrad eine blutige Tradition. Diese wurde zwar in den besseren Zeiten des sozialistischen Jugoslawien von massiven Investitionen in Kombination mit geheimdienstlicher Überwachung abgelöst, Slobodan Milosevic aber griff sie wieder auf – bis hin zum offenen Krieg gegen die eigenen Staatsbürger. Bereits Mitte der achtziger Jahre waren Kosovo-Albaner die ersten Flüchtlinge aus dem zerfallenden ehemaligen Jugoslawien, die in der Bundesrepublik ankamen.

Ein demokratisches Serbien gibt es auch

 

Bedauerlicherweise hat im Kosovo niemand und in der internationalen Politik kaum jemand wahrgenommen, dass die Vertreter eines demokratischen und in Richtung EU orientierten Serbiens auch in der Kosovo-Frage und gegenüber den Kosovo-Albanern eine vollkommen andere Politik betreiben als die serbischen Nationalisten. Zu ihnen zählte der ermordete ehemalige Präsident Zoran Djindjic, heute gehören sein Nachfolger Präsident Boris Tadic und der Außenminister Vuk Jeremic dazu. Kosovo-albanische Nationalisten machen da jedoch keinen Unterschied: „Serbe ist Serbe“.

 

Diese Haltung korrespondiert mit dem serbischen Nationalismus und der Realitätsverweigerung von Seselj, Nikolic, Kostunica und deren Anhängern. Genau deshalb hat niemand die Frage gestellt, warum es den Kosovo-Albanern eigentlich nicht zuzumuten ist, in einem demokratischen und europäischen Serbien zu leben. Im Gegenteil hat die Mehrheit der politischen Eliten in der EU und in der internationalen Politik dem Kosovo die Unabhängigkeit versprochen, ungeachtet der Revolution gegen Milosevic und der demokratischen Veränderung in Serbien.

 

Bereits vor Jahren hat der Westen die Option einer kontrollierten und restringierten Souveränität für den Kosovo mit dem Argument abgetan, diese Lösung sei der kosovo-albanischen Seite nicht mehr zumutbar. Wäre es in der verfahrenen Lage des Jahres 2007 so falsch und abwegig, den südlichen Hauptteil des Kosovo abzugeben, den Belgrad weder kontrollieren noch aufbauen kann? Der kleine Nordteil des Kosovo könnte in der Republik Serbien verbleiben, die ihn de facto sowieso beherrscht und unterhält.

 

Wir alle wissen um den Domino-Effekt, aber die Büchse der Pandora hat Milosevic auf dem Amselfeld bereits vor knapp zwei Jahrzehnten geöffnet. Die Chancen auf Zustimmung zu einem solchen Teilungsplan in Belgrad, Pristina, Brüssel, Washington, Moskau und in den Vereinigten Staaten müssten mit viel Geduld ausgelotet werden. Europa könnte anschließend in Ruhe die Annäherung eines Serbien ohne kosovo-albanische Nation an die Europäische Union vorantreiben und parallel dazu das EU-Protektorat Kosovo aufbauen.

 

Ohne eine neue UN-Resolution sind folgende Entwicklungen denkbar: Erstens wäre eine Trennung ohne Annäherung möglich, wie sie seit drei Jahrzehnten auf Zypern existiert. Zweitens könnte es zu gezielten Terroranschlägen kommen, um die verbliebenen Serben und weitere Minderheiten aus dem Süden in den Norden zu vertreiben. Und drittens könnte am Ende des Konflikts eine Unabhängigkeitserklärung plus einseitiger Anerkennung stehen, was Flüchtlingsströme in den Norden, Militäraktionen zwischen der südlichen Grenze Serbiens und dem Fluss Ibar sowie große Komplikationen in der internationalen Politik zur Folge haben könnte.

 

Keine dieser Alternativen brächte mehr Demokratie, mehr Entwicklung und mehr europäische Integration, jede Variante würde gefährliche Rückschläge für die gesamte Region und die Außenpolitik der EU bedeuten. Ungelöst bliebe das Problem, dass – vom Mehrheitswillen der Bevölkerung im Kosovo einmal ganz abgesehen – ein Staatsgebiet gegen den Willen der Regierung verkleinert werden soll.

 

Der alte nationalistische Lehrsatz „Warum sollen wir eure Minderheit sein, wenn ihr unsere sein könnt?“ muss der Vergangenheit angehören. Die neuen Verhandlungen zur Kosovo-Frage zwischen den Vereinigten Staaten, Russland und der EU beziehungsweise Deutschland müssen dazu genutzt werden, auch eine friedliche Teilung des Kosovo ins Kalkül zu ziehen und zu einer europäischen Lösung zu machen.

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