Warum die Grüne gentechnik keine Lösung ist

Elvira Drobinski-Weiß zu Ingo Dreyer und Bernd Müller-Röber, Keine Wunder, keine Monster, Berliner Republik 2/2011

In dem Beitrag „Keine Wunder, keine Monster“ setzen die Autoren Ingo Dreyer und Bernd Müller-Röber auf die Grüne Gentechnik („Agrogentechnik“) als Lösung des Welternährungsproblems und der Konkurrenzsituation zwischen „Tank und Teller“. Den „schweren Stand“ der Grünen Gentechnik in Deutschland und die ablehnende Haltung der Verbraucher sehen sie als problematisch an. Die Gründe für diese Ablehnung erwähnen sie nicht. Doch während die Agrogentechnik den Beweis für ihren Beitrag zu Ernährungssicherung, Ressourcenschonung und nachhaltiger Landbewirtschaftung bisher schuldig geblieben ist, mehren sich die Hinweise auf negative Effekte: So deuten Erfahrungen aus den Vereinigten Staaten beim Anbau gentechnisch veränderter herbizidresistenter Pflanzen darauf hin, dass sie den vermehrten Einsatz von Ackergiften nach sich ziehen. Und bei gentechnisch veränderten „Bt-Pflanzen“, die eigenes Gift gegen Schädlinge produzieren, sind negative Auswirkungen auf nützliche Insekten und Kleintiere nicht auszuschließen. Ferner kann sich das Gift im Boden anreichern und so das empfindliche Ökosystem schädigen. Aber nur eine nachhaltige und effiziente Landwirtschaft, die ausreichend Lebensmittel erzeugt, ohne die ökologischen Grundlagen zu zerstören, wird künftig neun Milliarden Menschen ernähren können.

Die von den Autoren bemängelte „übertrieben vorsichtige Haltung“ der Verbraucher erklärt sich auch dadurch, dass Langzeitstudien über die Folgen des Gentechnik-Einsatzes für Gesundheit und Umwelt bisher fehlen. Dennoch kann das Thema Agrogentechnik nicht losgelöst betrachtet werden von der Frage, wie ernst die Politik den Verbraucher nimmt. In kaum einer anderen Frage sind sich die Bürger so einig wie bei der Agrogentechnik: Seit Jahrzehnten lehnen ungefähr 80 Prozent der Deutschen den Anbau und Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen in Lebensmitteln ab. Eine im Oktober 2010 im Auftrag des Bundesumweltministeriums durchgeführte Untersuchung zum Naturbewusstsein ergab sogar, dass 87 Prozent der Befragten den Einsatz der Agrogentechnik ablehnen. Mehrere Umfragen im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 zeigten, dass diese Ablehnung unabhängig von den sonstigen politischen Einstellungen der Menschen ist. Und die am 28. März 2011 gestartete öffentliche Petition des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft für ein Zulassungsverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen unterzeichneten innerhalb von nur drei Wochen mehr als 60.000 Bürger. Mit inzwischen mehr als 102.000 Unterschriften zählt sie zu den bislang erfolgreichsten Petitionen überhaupt.

Doch aus einigen Ecken der Forschung, der Wirtschaft und leider auch der Politik wird man nicht müde zu erklären, die Verbraucher hätten einfach zu wenig Wissen, seien von Greenpeace aufgehetzt worden oder seien zu dumm, um die Vorteile der Agrogentechnik zu erkennen. Außerdem klaffe bei vielen Menschen eine Lücke zwischen Reden und Handeln. In Wirklichkeit zeigt die Erfolgsgeschichte der „ohne Gentechnik“-Kennzeichnung: Die Verbraucher setzen ihre Überzeugung beim Einkauf durchaus in die Tat um – vorausgesetzt, es herrschen Transparenz und Wahlfreiheit. Die SPD hatte die Kennzeichnung in der Großen Koalition durchgesetzt, um den Verbrauchern auch bei tierischen Erzeugnissen die Wahl zu ermöglichen.

An dieser Stelle tut sich ein unerklärlicher Widerspruch auf: Viele fordern auf der einen Seite „Konsumentensouveränität“, Freiheit und Eigenverantwortlichkeit der Verbraucher und ihre Mitwirkung an der Marktgestaltung durch bewusste Konsumentscheidungen, verweigern den Konsumenten aber auf der anderen Seite die Markttransparenz und sprechen ihnen die Kompetenz ab, wenn diese in seltener Deutlichkeit zum Ausdruck bringen: „Wir wollen keine gentechnisch veränderten Pflanzen auf dem Acker und im Essen!“

Oft verschwimmt die Rolle des Verbrauchers mit jener des Bürgers. Meist wird die ablehnende Haltung mit den ungewissen Langzeitfolgen für die Umwelt und für die nachfolgenden Generationen begründet. Welche Art der Lebensmittelerzeugung will ich? Welche Art der Landwirtschaft unterstütze ich? Wie soll mit der Umwelt umgegangen werden? Solche Fragen gehen weit über den Verbraucher als Individuum hinaus, vielmehr betreffen sie den Bürger beziehungsweise die gesamte Gesellschaft. Am Ende geht es um die politische Grundsatzfrage: Wie wollen wir in Zukunft leben? Politik, die eine solche deutliche Willensbekundungen ignoriert, ist schlecht beraten und spielt der Politikverdrossenheit in die Hände. Und Unternehmen, die den Verbraucherwillen ignorieren, können sich nur am Markt halten, solange ihr Verhalten nicht transparent ist und die Verbraucher keine Wahl haben.

Zwar wissen wir, dass die Verbraucher nicht immer rational entscheiden – genauso wenig, wie Wissenschaftler immer frei von Eigeninteressen sind und nur objektive Wahrheiten verkünden. Aber dass es ernstzunehmende Vorbehalte gegen die Agrogentechnik gibt, hat Ende vergangenen Jahres sogar das Bundesverfassungsgericht bestätigt: Die Ausbreitung von gentechnisch verändertem Material, einmal in die Umwelt ausgebracht, sei schwer oder gar nicht begrenzbar. Zudem seien die langfristigen Folgen des Einsatzes der Gentechnik wissenschaftlich noch nicht geklärt. Das Gericht verwies auf die besondere Sorgfaltspflicht des Gesetzgebers, der nach Artikel 20a des Grundgesetzes den Auftrag habe, „in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen“.

Bleibt die Frage, für welche Probleme die Agrogentechnik Lösungen bieten kann. Dient sie der Bekämpfung des Hungers in den armen Ländern? Der Weltagrarbericht aus dem Jahr 2008 kommt zu einem anderen Ergebnis: Agrogentechnik sei teuer und forschungsintensiv. Deshalb hilft sie den Kleinbauern wenig, die für die Ernährungssicherung vor Ort eine tragende Rolle spielen. Vielmehr ist die Anpassung der Landwirtschaft an natürliche Gegebenheiten und Kreisläufe und an lokale Bedürfnisse notwendig, um die Landwirtschaft effizienter und nachhaltiger zu machen. Die Erfolge der wenigen kommerziell angebauten gentechnisch veränderten Pflanzen sind nach wie vor umstritten. Resistenzen sind auf dem Vormarsch, Umwelt- und Gesundheitsrisiken können wegen mangelnder Erforschung der Langzeitfolgen nicht sicher bewertet werden.

Auch der Anfang 2009 vorgestellte Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung mit dem Titel „Transgenes Saatgut in Entwicklungsländern“ stellt fest, dass nach über einem Jahrzehnt des großflächigen Einsatzes von gentechnisch verändertem Saatgut die Agrogentechnik den Beweis ihres Potenzials für eine nachhaltige Landwirtschaft immer noch schuldig bleibt. Einiges spricht dafür, dass andere Optionen ökonomisch, ökologisch und sozial erfolgversprechender sind.

Die Agrogentechnik ist die Fortführung des alten Wachstums- und Fortschrittsdenkens: Mit einer inzwischen nicht mehr ganz neuen Technologie sollen die Probleme von heute gelöst werden, ohne die Folgen für morgen wirklich seriös abschätzen zu können und ohne am gesamten System zu rütteln. Mit dem Einsatz der Agrogentechnik sollen möglichst viele Menschen ernährt und der Anbau nachwachsender Rohstoffe gesteigert werden. Das klingt schön. Weiterhin können wir die natürlichen Ressourcen verbrauchen, als seien wir allein auf der Welt: Wir fahren Auto, fliegen um die Welt, essen Erdbeeren im Winter und natürlich viel Fleisch und schmeißen die Sachen weg, wenn wir zu viel eingekauft haben. Auf bis zu 50 Prozent wird die Menge an Lebensmitteln geschätzt, die auf dem Weg vom Acker bis auf den Teller weggeworfen werden. Könnte man Bedarf und Produktion besser aufeinander abstimmen und für eine gerechte Verteilung sorgen, dann bräuchte niemand Hunger zu leiden.

Die Wahrheit ist hart und niemand will sie hören: Wir alle müssen unser Leben ändern. Es gibt sie nicht, die eine große Lösung, durch die wir weiter machen können wie bisher. Wir werden uns mit vielen kleinen und großen Einschränkungen arrangieren und „Wohlstand“ neu definieren müssen. «

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