Von Österreich lernen?

Auch bei unseren südlichen Nachbarn regiert seit 2006 eine Große Koalition in einem Fünf-Parteien-System. Auch dort sind die Alternativen schwierig, weil die kleinen Parteien fürchten, als gewissenlose "Mehrheitsbeschaffer" dazustehen

Interessiert man sich für Machtverhältnisse in nationalen Parlamenten und daraus resultierende Koalitionsoptionen, so ist der Blick nach Österreich besonders spannend. Seit den dortigen Nationalratswahlen vom 1. Oktober 2006 sind die parlamentarischen Konstellationen in Österreich und Deutschland nahezu identisch – wenn auch spiegelverkehrt. Beide Länder können voneinander lernen.

Bei der österreichischen Wahl im Jahr 2006 gelang zwei großen und drei kleinen Parteien der Einzug ins Parlament. Wie in der Bundesrepublik handelt es sich bei den großen Parteien um eine sozialdemokratische Volkspartei, die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) und eine konservative, die Österreichische Volkspartei (ÖVP). Ähnlich wie in Deutschland sind beide Parteien annähernd gleich stark vertreten. Und auch in Österreich wurde die Partei, die zuvor den Kanzler stellte, nur noch zweitstärkste Kraft: die ÖVP von Wolfgang Schüssel. Ebenso war es der SPD im Jahr 2005 ergangen.

Drei kleinere Fraktionen komplettieren den Nationalrat: die österreichischen Grünen, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) sowie das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ). Im Gegensatz zu Deutschland haben die drei kleineren Parteien unterschiedliche Sitzstärken: Während FDP, Linkspartei und Grüne hierzulande im Bundestag ungefähr gleich stark vertreten sind (sie erhielten alle zwischen 8,1 und 9,8 Prozent der Stimmen und damit zwischen 51 und 61 Sitze), erhielt das BZÖ nur gut ein Drittel des Stimmanteils der Grünen oder der FPÖ. Das genügte für den Einzug in den Nationalrat, weil dieser in Österreich nur durch eine Vier-Prozent-Hürde begrenzt ist.

Bei der Suche nach Mehrheiten wiederum spielen die Größenunterschiede zwischen den Grünen und der FPÖ einerseits und dem BZÖ andererseits keine Rolle. Denn neben der Großen Koalition aus SPÖ und ÖVP besitzen all jene Bündnisse eine Mehrheit, die aus mindestens einer der großen und zwei der kleinen Parteien bestehen.

Warum ist die Situation in Österreich nun aber „spiegelverkehrt“ zu der Situation in der Bundesrepublik? Diese Aussage bezieht sich auf eine grobe Einschätzung davon, wo die Parteien auf einer Links-Rechts-Skala einzuordnen sind: In Deutschland sind SPD, Grüne und Linkspartei eher dem linken Spektrum zuzuordnen, während Union und FPD rechts davon stehen. Somit befinden sich im Bundestag drei eher linke und zwei eher rechte Fraktionen, wobei sich in jedem der Blöcke eine der großen Fraktionen befindet. Zwei Parteien des linken Lagers bildeten vor der Wahl 2005 eine gemeinsame Regierung, danach fehlte die gemeinsame Mehrheit.

Spannungen und Animositäten

Seither besitzen die drei linken Parteien zusammen eine theoretische Mehrheit; innerhalb dieses Blocks gibt es jedoch diverse Spannungen, angefangen von politisch-inhaltlichen Differenzen bis hin zu persönlichen Animositäten des Personals, die unter anderem durch Abspaltungen von Parteiflügeln entstanden sind. Während dieser linke Dreierblock also eine rechnerische Mehrheit besitzt, können die beiden Parteien des insgesamt kleineren Zweierblocks darauf verweisen, dass sie für sich genommen im Vergleich zu den linken Parteien gute Wahlergebnisse erzielt haben: Die Union konnte mehr Stimmen gewinnen als die SPD, und die FDP ist die größte der drei kleinen Parteien.

Um die österreichische Situation zu beschreiben, muss man einfach die Begriffe „rechts“ und „links“ vertauschen und die Namen der Parteien ersetzen: Es gibt zwei eher linke Parteien (SPÖ und Grüne) sowie drei eher rechte (ÖVP, BZÖ und FPÖ). Zwei Parteien des Dreierblocks, nämlich ÖVP und BZÖ, bildeten vor der Wahl die Regierung, verloren aber die parlamentarische Mehrheit. Gemeinsam mit der dritten Partei des rechten Blocks gibt es eine rechnerische Mehrheit; neben politischen Differenzen existieren jedoch auch persönliche Antipathien, die unter anderem darauf zurückzuführen sind, dass das BZÖ eine Abspaltung der FPÖ ist.

Koalitionsabsichten als grober Indikator

Die Parteien des Zweierlagers sind zwar insgesamt schwächer als die des Dreierblocks, sind aber einzeln relativ stark: Die SPÖ erzielte die meisten Stimmen, und die Grünen sind die stärkste der drei kleinen Parteien. Auch die daraus resultierenden Probleme sind mit Deutschland vergleichbar. Denn um eine Mehrheitskoalition zu bilden, müssen sich entweder die untereinander zerstrittenen – und auch politisch nicht einigen – Parteien des Dreierlagers zusammenfinden. Oder es müssen sich Bündnisse aus Parteien beider Lager finden. Wie die Chancen für verschiedene Lösungen dieses Problems in Österreich standen und stehen und welche Strategien der Parteien dort zukünftig auch andere Optionen als die Große Koalition ermöglichen, werde ich aus Sicht der formalen Koalitionstheorie diskutieren.

Dabei reicht es nicht, mögliche Koalitionen formal zu benennen, schließlich sind für Parteien manche Mehrheitskoalitionen erstrebenswerter als andere. Ein grober Indikator hierfür sind die Koalitionsabsichten, die von den Parteien vor Wahlen geäußert werden. Die bis 2006 regierenden ÖVP und BZÖ etwa äußerten sich positiv über eine weitere gemeinsame Regierung im Falle eines Wahlsiegs. Auch SPÖ und Grüne erklärten, gemeinsam die bisherige Regierung ablösen zu wollen. Als dritte Variante stand eine schwarz-grüne Regierung zur Debatte. Wie wir wissen, verfügt bei der aktuellen Sitzverteilung keine dieser drei favorisierten Konstellationen über eine Regierungsmehrheit.

Bezüglich anderer Koalitionsoptionen sendeten die Parteien keine positiven Signale – im Gegenteil: Alle möglichen Mehrheitsbündnisse wurden vor der Wahl durch mindestens eine der beteiligten Parteien ausgeschlossen. Neben den beiden großen befanden sich auch die kleinen Parteien teilweise in einem scharfen Konkurrenzkampf um gleiche oder zumindest ähnliche Wählerschichten und sprachen sich gegenseitig die Regierungsfähigkeit ab. Kurzum: Der Blick auf positive oder negative Koalitionssignale hilft an dieser Stelle nicht weiter.

Wenn offiziell geäußerte Koalitionsaussagen nicht weiterhelfen, können Theorien Anhaltspunkte liefern, welche der von den Parteien unerwünschten Koalitionen vielleicht noch die am wenigsten ungeliebte ist. Die gängigen Koalitionstheorien unterstellen Parteien klassischerweise zwei Anreize: Diese streben erstens danach, an die Regierung zu kommen und sich die Macht dort mit möglichst wenig anderen Parteien teilen zu müssen (Ämtermotivation). Zweitens vertreten Parteien politische Inhalte, für deren Verwirklichung sie kämpfen (Politikmotivation).

Machtgier oder Überzeugung?

Das Streben nach Macht verbinden wir häufig mit negativen Assoziationen wie „Machtgier“, „Macht um jeden Preis“ oder „Ämterschacher“. Der Kampf um Politikinhalte hat hingegen meist eine positive Konnotation und ist verbunden mit „Idealismus“ und „sich Einsetzen für seine Überzeugungen“. Bei genauerem Hinsehen kann jedoch auch das genaue Gegenteil zutreffen: Regierungsmacht kann auch primär mit dem Ziel angestrebt werden, seine politischen Überzeugungen in die Tat umzusetzen. Genauso können umgekehrt Parteien politische Forderungen auch nicht aus Überzeugung erheben, sondern weil sie sich davon möglichst viele Wählerstimmen erhoffen. Die Verweigerung von Regierungsbeteiligungen muss daher nicht zwangsweise Standfestigkeit bedeuten, sondern kann auch aus der Angst resultieren, durch das Eingehen von Kompromissen und den Umgang mit den politischen Realitäten des Regierungsgeschäftes Wählerstimmen zu verlieren.

Warum Opposition tatsächlich Mist ist

Ämter- und Politikmotivation sind folglich nicht wertend zu interpretieren. Wichtig ist zudem, dass beide Motivationstypen der Parteien sowohl eine Synthese als auch einen Gegensatz zueinander bilden können. Der synthetische Charakter der beiden Motivationen hängt mit ihrer Wertfreiheit zusammen. Sicher können Parteien auch aus der Opposition heraus Politik mitgestalten, doch wer seine politischen Forderungen wirklich in die Tat umsetzen will, muss regieren. Selbstverständlich müssen andersherum Parteien, die nach Ämtern streben und gewählt werden wollen, auch die Politik vertreten, für die sie gewählt werden. Ämtermotivation bedingt also stets auch Politikmotivation – und umgekehrt.

Dennoch verlaufen die beiden Anreize teilweise gegensätzlich, was gerade bei Diskussionen über verschiedene Koalitionsmöglichkeiten ersichtlich wird. Die Beteiligung an einer Regierungskoalition ist für eine Partei immer mit zwei Implikationen verknüpft: Die Übernahme von Macht kommt ihrer Ämtermotivation entgegen. Gleichzeitig muss die Partei inhaltliche Kompromisse mit ihren Koalitionspartnern eingehen, während sie in der Opposition ihre politischen Forderungen in Reinform vertreten kann. Durch die Regierungsbeteiligung entsteht daher zwangsläufig ein negativer Effekt in Bezug auf die Politikmotivation. Betrachtet man eine Partei ganz nüchtern als rationalen Nutzenmaximierer, so muss sie abwägen, ob der positive Effekt einer Regierungsbeteiligung stärker wiegt als der negative Effekt des nötigen Kompromisses – oder nicht. Im zweiten Fall ist sie mit dem Verbleib in der Opposition besser beraten.

Die Frage, ob für eine Partei bei einer bestimmten Koalition der positive oder der negative Effekt überwiegt, hängt wiederum von drei Faktoren ab: der Größe des positiven Effekts, der Größe des negativen Effekts und dem Grad, zu dem eine Partei ämter- beziehungsweise politikorientiert ist. Um die Auswirkungen des ersten Faktors zu untersuchen, sei zunächst angenommen, alle Parteien seien rein ämtermotiviert. Zudem gehen wir von einer weiteren Hypothese aus, die William Gamson im Jahr 1961 in der American Sociological Review formuliert hat. Demnach teilen Koalitionsparteien die Ämter soweit wie möglich proportional zu ihren Sitzstärken auf. Dieses so genannte Gamson-Gesetz lässt sich empirisch für die meisten politischen Systeme bestätigen. Auch Österreich (wie Deutschland) gehört zu den Staaten, in denen sich die Gamson-Regel als informelle Norm etabliert hat. Folglich bekleidet eine Partei umso mehr Ämter, je größer ihr relativer Stimmenanteil innerhalb einer Koalition ist.

Keine Mehrheiten für die Wunschkoalitionen

Für die großen Parteien Österreichs bedeutet dies Folgendes: In der Großen Koalition müssten SPÖ und ÖVP einen ungefähr gleich starken Partner akzeptieren, während sie die Bündnisse mit Grünen und BZÖ beziehungsweise FPÖ und BZÖ deutlich dominieren würden (68 beziehungsweise 66 Sitze gegenüber 28). Auch bei einer Koalition mit Grünen und FPÖ, die gemeinsam auf 42 Sitze kommen, kann sich die große Partei einen vergleichsweise hohen Anteil an Ämtern sichern und besitzt innerhalb der Koalition ein relativ großes Gewicht.

Aus der Sicht von Grünen, Freiheitlichen und BZÖ spielt es keine nennenswerte Rolle, mit welcher der großen Parteien sie eine Koalition bilden. SPÖ und ÖVP sind fast gleich stark, so dass es keine Auswirkung auf die relative Stärke der kleinen Parteien hat, ob sie eine Koalition unter Führung der SPÖ oder ÖVP eingehen. Ebenso spielt es aus ämterorientierter Sicht für das BZÖ keine Rolle, ob die Grünen oder die FPÖ als dritter Koalitionspartner hinzukommen. Beide Parteien verfügen über einen ähnlichen Wähleranteil und machen daher das BZÖ indifferent in seiner Wahl. Für die Grünen und die FPÖ hingegen besteht ein Anreiz, kein Bündnis anzustreben, in dem die jeweils andere Partei auch vertreten ist. Bilden sie eine Koalition mit dem BZÖ als zweiter kleiner Partei, so können sie ihre relative Stärke von rund 19 Prozent auf ungefähr 22 Prozent steigern, verglichen mit einem Dreierbündnis, an dem sowohl die FPÖ als auch Grüne beteiligt sind.

Rein ämtermotivierte Parteien würden in Österreich somit eine der vier Drei-Parteien-Koalitionen befürworten, an denen entweder die SPÖ oder die ÖVP beteiligt ist, entweder die FPÖ oder die Grünen sowie das BZÖ. Etwas schlechter werden von den beteiligten Parteien die beiden Varianten ÖVP-Grüne-FPÖ und SPÖ-Grüne-FPÖ bewertet, am geringsten ist das Interesse der Parteien an der Großen Koalition.

Diese erste Teilbetrachtung unterschlägt die Rolle von Politikinhalten und ideologischen Differenzen. Aus diesem Grund werden in einem zweiten Schritt die Anreize rein politikmotivierter Parteien beleuchtet. Hierzu werden zunächst inhaltliche Überschneidungen und Differenzen der einzelnen Parteien untersucht. Dafür müssen die Wahlprogramme der Parteien entweder inhaltsanalytisch in Hinblick auf die einzelnen Politikfelder ausgewertet werden, oder die Programme dienen als Grundlage einer allgemeinen Einordnung der Parteien auf einer Links-Rechts-Skala, aufgrund der die inhaltliche Nähe der Parteien untereinander bestimmt werden kann. Ohne an dieser Stelle auf das exakte Verfahren einzugehen, zeigt die Abbildung die Ergebnisse der Inhaltsanalyse auf einer zweidimensionalen Links-Rechts-Achse. Die x-Achse spiegelt hier Positionen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik wieder, die y-Achse gesellschaftspolitische Fragen.

Aus koalitionstheoretischer Sicht spielen die Positionen in den beiden Politikdimensionen an sich keine Rolle, sondern nur die daraus resultierenden Entfernungen der Parteien untereinander. Aus Sicht der Politikmotivation bleibt zunächst festzuhalten, dass die beiden ursprünglichen Wunschkoalitionen der großen Parteien durchaus Sinn ergeben: Für die SPÖ sind die Grünen die Partei, die ihrer Idealposition am nächsten kommt, für die ÖVP ist es das BZÖ. Da diese ursprünglich anvisierten Bündnisse jedoch über keine Mehrheiten verfügen, stellt sich die Frage nach Alternativen, die nicht zu große inhaltliche Differenzen aufweisen.

Aus Sicht der SPÖ ist die Große Koalition einfacher zu realisieren als eine Dreier-Koalition, in die entweder das BZÖ oder die FPÖ (oder beide) eingebunden werden müssten. Hierfür sind beide Parteien zu weit von der SPÖ entfernt. Das gleiche gilt für die Grünen, die zwar noch eine relative Nähe zur Volkspartei besitzen, für die aber eine Beteiligung an jedweder Dreier-Koalition wohl ausgeschlossen werden kann, und zwar aufgrund der Distanzen zu FPÖ und BZÖ. Andererseits müssen für BZÖ und FPÖ folglich auch Koalitionen unter Einbindung von SPÖ oder Grünen als unwahrscheinlich bewertet werden. Für diese beiden Parteien kommt inhaltlich bestenfalls ein rechtes Bündnis gemeinsam mit der ÖVP in Frage. Die ÖVP schließlich hat sich im Politikraum recht zentral positioniert und besitzt zu keiner der Parteien unüberbrückbare Distanzen.

Unvereinbarkeit der Positionen

Ermittelt man mathematisch exakte Werte, so lässt sich an den Zahlen ablesen, dass die ÖVP die Koalitionen, an denen sie beteiligt ist, in der folgenden Reihenfolge präferiert: ÖVP-Grüne-BZÖ vor SPÖ-ÖVP vor ÖVP-FPÖ-Grüne vor ÖVP-FPÖ-BZÖ. Das erste und das drittgenannte Bündnis lassen sich jedoch aufgrund der Unvereinbarkeit der Positionen der beteiligten kleinen Parteien nicht bilden. Aus Sicht der Politikmotivation kommen somit überhaupt nur zwei Koalitionen in Frage: die Große Koalition und ein rechtes Bündnis aus ÖVP, FPÖ und BZÖ. Die Große Koalition hat hier deutlich bessere Chancen auf eine Realisierung, da sie für die SPÖ die beste der möglichen Alternativen ist und für die ÖVP immerhin die zweitbeste, wohingegen das rechte Bündnis am Ende des Präferenzprofils der Volkspartei steht.

Davon ausgehend, dass Parteien sowohl ämter- als auch politikmotiviert sind, stellt sich die Frage, wie die Parteien die einzelnen Koalitionen insgesamt bewerten. Zunächst sei festgestellt, dass einige der sieben minimalen Gewinnkoalitionen als äußerst unwahrscheinlich gelten, nämlich diejenigen, die weder die Ämter- noch die Politikmotivation der Parteien befriedigen. So fallen zunächst die beiden Koalitionen heraus, an denen sowohl die Grünen als auch die FPÖ beteiligt sind. Weiter sind die Bündnisse unwahrscheinlich, bei denen entweder die FPÖ oder das BZÖ mit den Sozialdemokraten koalieren. Diese bewerten die kleinen Parteien aus Sicht der Ämtermotivation zwar gleich gut wie die entsprechenden Koalitionen mit der ÖVP, aber insgesamt schlechter, da aus Sicht der Politikmotivation die Koalitionen unter ÖVP-Führung bevorzugt werden. Für die weitere Diskussion entfallen daher auch die Varianten SPÖ-FPÖ-BZÖ und SPÖ-Grüne-BZÖ.

Bleiben die Große Koalition, die Rechtskoalition aus ÖVP, FPÖ und BZÖ sowie ein schwarz-grün-orangenes Bündnis. Für diese Alternativen stellt sich nun vor allem eine Frage: Wenn man wie oben beschrieben untersucht, ob der positive Effekt aus der Ämtermotivation den negativen Effekt des Politikkompromisses übersteigt oder umgekehrt, haben dann alle für eine Koalition notwendigen Parteien ein Interesse an der Bildung der entsprechenden Koalition? Hier lässt sich ein grundsätzliches Problem des Koalitionstyps „eine große und zwei kleine Parteien“ aufdecken. Die jeweils große Partei kann nämlich ein starkes Interesse an der Bildung solcher Koalitionen haben; sie hat einen klaren Führungsanspruch und einen zum Teil deutlich höheren Ämternutzen als in einer Großen Koalition, und sie kann bei entsprechender Positionierung der Partner eine relativ zentrale Rolle einnehmen, so dass die Politikkompromisse der Koalition ihrem eigenen Idealpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit recht nahe kommen. Ein solcher Fall liegt etwa bei dem Bündnis ÖVP-Grüne-BZÖ vor.

Posten statt Prinzipien?

Aus Sicht der kleinen Parteien sind solche Koalitionen aber nur unter Annahme einer extrem hohen Ämtermotivation attraktiv. Die kleineren Parteien müssen in solchen Bündnissen – zumindest dann, wenn sie nicht gerade eine zentrale Position innerhalb einer Dreierkoalition einnehmen – mindestens einen gleich hohen Nutzenverlust durch Politikkompromisse hinnehmen wie die großen Parteien, erhalten aber deutlich weniger Ämter, um diesen Verlust zu kompensieren. In diesem Fall laufen sie Gefahr, einen unliebsamen Ruf als reine Mehrheitsbeschaffer zu erwerben, die aufgrund weniger Posten ihre politischen Ziele aufgeben.

Den großen Parteien wird dieser Vorwurf selten gemacht. Obwohl sie möglicherweise im gleichen Umfang Politikkompromisse eingehen müssen, erwecken sie schon aufgrund der großen Menge an Personal, das sie in einer Regierung stellen, nicht zwingend den Eindruck, nur um der Macht willen zu regieren. Dies gilt auch für Große Koalitionen. Obgleich die großen Parteien hier weniger (Ämter-) Macht besitzen als in Koalitionen mit kleinen Parteien, gelten ÖVP und SPÖ doch als etwa gleichwertige Partner. Dies reicht aus, um die Nutzenverluste durch die nötigen Politikkompromisse zu kompensieren, wenn die entsprechenden Parteien nicht gerade extrem politikmotiviert auftreten.

Zu große Kompromisse, zu wenig Macht

Konkret bedeutet dies für die aktuelle Situation in Österreich: Die SPÖ hat keine realistischen Optionen außer der Großen Koalition, die ÖVP könnte vor allem mit Blick auf ihre Ämtermotivation ein Interesse daran haben, eher andere Bündnisse auszuloten, sie sollte letztlich eine Große Koalition aber besser bewerten als den Gang in die Opposition. Die beiden noch nicht diskutierten Dreier-Koalitionen könnten vermutlich unter anderem deswegen nicht zustande kommen, weil mindestens einer der kleineren Koalitionspartner zu große inhaltliche Kompromisse für einen zu geringen Nutzen der Regierungsbeteiligung schließen müsste. Es lässt sich somit folgern, dass bei dieser Ausgangssituation die Große Koalition nicht zwingend die am meisten präferierte Alternative von SPÖ und ÖVP ist, aber die einzige Koalition, an der die involvierten Parteien überhaupt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Interesse des Zustandekommens besitzen.

Dieser Schluss gilt selbstverständlich nur für die Koalitionsverhandlungen von 2006 in Österreich, wenngleich die grundsätzlichen Schwierigkeiten für alle Parlamente mit den entsprechenden Machtverhältnissen gelten. Die aus meiner Sicht interessanteste Frage ist daher: Wie können die Parteien sich verhalten, um bei ähnlichen zukünftigen Konstellationen auch andere Bündnisse als die Großen Koalition zu ermöglichen?

In der Sichtweise dieses Beitrags besteht das Problem der Dreierkoalitionen vor allem darin, dass die kleineren Parteien zu große Politikkompromisse eingehen müssen und dafür zu wenig an der Macht teilhaben können. Konsequenterweise gibt es drei Stellschrauben, an denen man drehen kann, um solche Bündnisse auch für kleine Parteien attraktiv zu machen.

Erstens besteht die Möglichkeit, kleine Parteien stärker mit politischen Ämtern auszustatten, als dies ihrem Stimmenanteil entspricht. In abgeschwächter Form ist diese Begünstigung auch in Zwei-Parteien-Koalitionen trotz genereller Gültigkeit der Gamson-Regel systematisch zu beobachten. An dieser Schraube muss jedoch sehr behutsam gedreht werden. Ein allzu starkes Abweichen von bisherigen Gepflogenheiten und Normen würde Irritationen auslösen und die Frage aufwerfen, ob sich nicht einer der kleinen Koalitionspartner teuer hat kaufen lassen.

Was Parteien bedenken sollten

Aus diesem Grund müssen zweitens die großen Parteien den kleineren Partnern auch bei Politikinhalten entgegenkommen. Dies kann allerdings bei zwei kleineren Koalitionspartnern nur dann gelingen, wenn diese aus Sicht des größeren Partners keine gegensätzlichen Positionen einnehmen. Ein Zugehen auf einen der Partner würde in solchen Fällen zwingend zu einer Entfernung von dem anderen Partner führen. Solche Koalitionen sind strukturell zum Scheitern verurteilt. Es wäre also schon vor der Wahl wichtig, nicht zu weit voneinander entfernte Positionen zu signalisieren und auf Lagerwahlkämpfe zu verzichten.

Am unproblematischsten ist vermutlich die dritte Stellschraube: ein Umdenken im Verhältnis von Ämter- und Politikmotivation. Wie bereits angedeutet, erweckt die Ämtermotivation eher negative Assoziationen, die Politikmotivation eher positive. Dass dieser Eindruck nur sehr begrenzt richtig ist und auch die Gegenposition ihre Berechtigung hat, wurde ebenfalls erläutert. Gerade für den Fall, dass sich ein Fünf-Parteien-System stabilisieren sollte, wird die Gegenargumentation wichtiger und muss gegenüber den Wählern auch vertreten werden.

Führen Wahlergebnisse grundsätzlich zu Großen Koalitionen, weil kleine Parteien ein Mehrheitsbeschaffer-Image fürchten, so müssen diese sich langfristig in der Opposition einrichten. Eine Alternative dazu besteht lediglich darin, auch weniger favorisierte Koalitionen einzugehen und größere Kompromisse zu schließen, aber immerhin überhaupt Politik aktiv mitgestalten zu können. Gerade die kleinen Parteien müssen ihre Wähler darauf vorbereiten, dass diese Alternative auch aus Sicht von Politikinhalten die bessere für sie ist, da Inhalte nur über Regierungsmacht, also ämtermotiviert, umgesetzt werden können.

Ferner sollten die Parteien bedenken, dass Koalitionsverhandlungen in schwierigen Situationen durch eine Tatsache noch weiter erschwert werden: Selbstverständlich ist es legitim, vor der Wahl zu sagen, mit welchem Partner man sich Koalitionen eher vorstellen kann und mit welchem eher nicht. Wenn jedoch außer zwei oder drei kleinen Koalitionen, die im Endeffekt keine Mehrheiten erhalten, alle anderen Optionen strikt ausgeschlossen werden, so muss mindestens eine der Parteien ihre Aussage nach der Wahl revidieren, damit überhaupt eine Regierungsmehrheit gefunden werden kann. Glaubwürdiger macht dieses Verhalten Parteien sicher nicht.

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