Von Macht und Machtverlust

Frank Bösch ist der Michael Schumacher unter den CDU-Historikern

Der 1969 geborene Göttinger Historiker Frank Bösch schickt sich an, zum führenden Geschichtsschreiber der CDU zu werden. Im vergangenen Jahr mit einer beachtlichen Doktorarbeit über die Adenauer-CDU hervorgetreten, hat er jetzt gleich zwei weitere Bücher über sein wissenschaftliches Steckenpferd vorgelegt: Bei dem einen Werk (Das konservative Milieu, erschienen im Göttinger Wallstein-Verlag) handelt es sich um eine in erster Linie für das fachwissenschaftliche Publikum geschriebene Regionalstudie, die sich am Beispiel der Kleinstädte Celle und Greifswald der ländlich-protestantischen Lebenswelt im Nordwesten und Nordosten Deutschlands im Zeitraum zwischen 1900 und 1960 widmet. Das konservative Milieu dieser Regionen ist im Vergleich zum süddeutschen und rheinischen Katholizismus von der historischen Wahl- und Parteienforschung bisher eher vernachlässigt worden. Zum anderen hat Bösch eine an das allgemeine Lesepublikum gerichtete, von überflüssigem wissenschaftlichen Gestrüpp gelichtete Überblicksgeschichte der CDU nach 1945 geschrieben. Diese fehlte bisher noch. Um sie soll es hier - zusammen mit seiner für eine wissenschaftliche Qualifizierungsarbeit ebenfalls sehr allgemeinverständlich gehaltenen Studie über die Adenauer-CDU - vor allem gehen.

"Macht und Machtverlust", Regierungszeit und Opposition strukturieren die Erzählung in Frank Böschs kleiner Geschichte der CDU. Das liegt nahe, markierten die Regierungswechsel doch auch tiefe Einschnitte in die Organisationsentwicklung der Partei. Mit den verschiedenen Phasen ihrer bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte korrespondierten so jeweils auch unterschiedliche Ausrichtungen der Union in Programmatik und Organisation, in ihrer Finanzstruktur und ihren gesellschaftlichen Verankerungen. In der ersten Phase, der Besatzungszeit, war die CDU eine dezentrale, mitgliederstarke und stark programmatisch diskutierende "Graswurzel-Partei". Unter der Ägide Konrad Adenauers entwickelte sie sich dann zur interkonfessionellen "bürgerlichen Sammlungspartei". In dieser Zeit nahm die CDU Züge eines relativ mitgliederschwachen, aus Unternehmerspenden finanzierten bürgerlichen Honoratiorenclubs an, der sich kaum um die eigene Programmatik und den organisatorischen Aufbau kümmerte - auch gar nicht kümmern musste, weil Adenauer und Staatssekretär Hans Globke die Partei aus dem Kanzleramt heraus führten. Wie im Bund, war die Regierungspartei CDU - die keineswegs als solche "geboren" wurde, sondern von strategischen Fehlentscheidungen der Schumacher-SPD profitierte - auch in den Ländern ganz auf die Regierungspolitik zugeschnitten und wurde im wesentlichen aus den Staatskanzleien heraus gelenkt.

Patriarchat und Patronage

Dennoch wäre es selbst für die Ära Adenauer, die zweite Phase in der Parteigeschichte, zu einfach, die CDU als reinen "Kanzlerwahlverein" zu etikettieren. In seinem Buch über die "Adenauer-CDU" hat Bösch eindrucksvoll und im Detail nachgewiesen, dass Adenauer entgegen einem hartnäckigen Vorurteil die Partei keineswegs sträflich vernachlässigt hat. Gerade in ihrer Gründungsphase setzte sich die CDU aus einer Vielzahl autonomiebewusster Regionalverbände mit eigenwilligen Persönlichkeiten an der Spitze zusammen: Der in sich schon sehr vielfältige, mehrheitlich katholische Südwesten war mit dem überwiegend protestantischen Norden oder den "katholisch-sozialen Linken" um Jakob Kaiser in Berlin politisch kaum unter einen Hut zu bringen. Die Gründung einer "interkonfessionellen Sammlungspartei" ließ sich unter diesen Bedingungen nicht nur autoritär bewerkstelligen: Es bedurfte unermüdlicher Gespräche Adenauers mit den Repräsentanten der Regionalverbände und beider Kirchen, geschickter Sprachregelungen sowie einer großzügigen Patronagepolitik bei strikter Beachtung des Proporzes. Historisch in die richtige Perspektive gerückt, war es nicht zum wenigsten dem zwar machtbewussten, aber letztlich auf Interessenausgleich bedachten Adenauer zu verdanken, dass Deutschlands politische Elite ihren Hang zum Autoritären überwand und endlich den "langen Weg nach Westen" (Heinrich August Winkler) erfolgreich absolvierte. Der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland war zweifellos ein Patriarch - aber ein vergleichsweise gütiger und entschieden prowestlicher.

Vor allem gelang Adenauer die Zähmung der Rechten: Mit Ausnahme der - damals weithin nationalkonservativen - FDP widerstand langfristig keine der anfangs zahlreichen Kleinparteien rechts von der CDU den Umarmungsversuchen Adenauers. Das war ein strategisches Meisterwerk des schlauen Fuchses aus Rhöndorf, schließlich waren in der Sozialistischen und Deutschen Reichspartei, aber auch in der FDP, der Deutschen Partei und im Bund der Heimatvertriebenen zahlreiche ehemalige NS-Funktionäre aktiv. Adenauer reüssierte hier vornehmlich mit strategischen Wahlbündnissen und dem gezielten Abwerben von Funktions- und Mandatsträgern dieser Parteien, besonders bei seinen beiden kleineren rechtskonservativen Koalitionspartnern im Bund.

Nichts klebt so gut wie Antikommunismus

Nicht leicht war es, die Karrieren dieser Parteiwechsler in der CDU, die ja vielfach auch noch ehemalige Zentrumspolitiker integrieren musste, längerfristig abzusichern. Weder mit seinen Kabinetts- und Fraktionsmitgliedern noch mit den auf ihre Eigenständigkeit bedachten "Landesfürsten" hatte Adenauer leichtes Spiel; diese sperrten sich teilweise mit Händen und Füßen, wenn er im übergeordneten Parteiinteresse von ihnen den Verzicht auf eigene Ambitionen verlangte. Die letztlich aber auch gegen parteiinterne Widerstände erfolgreich durchgesetzte Übernahmestrategie verband Adenauer mit einer konsequenten inhaltlichen Abgrenzung gegenüber den rechtsextremen Parteien, im Falle der 1951/52 kurzzeitig landespolitisch sehr erfolgreichen SRP sogar bis hin zum Parteienverbot. Den Deutschnationalen und den Vertriebenen kam er dagegen auch inhaltlich weit entgegen: Hier wirkten sein profilierter Antikommunismus, sein entschiedenes Eintreten gegenüber den Alliierten für die "Lösung der Kriegsverbrecherfrage", aber auch großzügige Wahlgeschenke als Kitt.

Die Versöhnung der beiden großen Konfessionen und die Sammlung des bürgerlichen Lagers stellt Frank Bösch - ohne Frage zu Recht - als die beiden überragenden gesellschaftspolitischen Leistungen der Adenauer-CDU heraus. Viele andere kamen hinzu, Bösch zeichnet auch sie differenziert nach: die Einschwörung der heterogenen Landesverbände auf einen gemeinsamen Kurs, auch koalitionsstrategisch; der Aufbau einer effizienten, größtenteils informell agierenden Partei mit Staatssekretär Globke als insgeheimem Generalsekretär; schließlich die Integration wichtiger Gesellschaftssegmente wie der Bauern und Landwirte, des Mittelstands, der katholischen Arbeiter und der Frauen. Auch die nachwachsenden Generationen integrierte Adenauer lange Zeit erfolgreich. Es waren keineswegs nur "Jasager", die dort nachkamen.

Helmut Kohl zum Beispiel, der seine Furchtlosigkeit einer breiten Öffentlichkeit 1966/69 bei seinem Sturz des altgedienten rheinland-pfälzischen Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten Peter Altmeier vorführte, hatte sich parteiintern schon bei seiner allerersten Teilnahme an einer Bundesvorstandssitzung getraut, den Altbundeskanzler bei seinem einleitenden Lagebericht zu unterbrechen. Frank Bösch zitiert aus dem Protokoll dieser vielsagenden Auseinandersetzung vom November 1964, in der Kohl den etwas altersstarrsinnig gewordenen Parteivorsitzenden persönlich für die damaligen Querelen innerhalb der CDU verantwortlich machte: "Die größten Verdienste um unsere Partei" rechtfertigten nicht, hielt er dem an seinem Nachfolger Ludwig Erhard herumkrittelnden Adenauer vor, "der Partei Abbruch zu tun".

Kohl hat, man mag es heute kaum noch glauben, seine Parteikarriere als Modernisierer gestartet. Dabei kam ihm - neben dem gesellschaftlichen Wertewandel und dem kontinuierlichen Ausbau der staatlichen Parteienfinanzierung seit Mitte der sechziger Jahre - entgegen, dass die CDU während der Kanzlerschaft Erhards in die Krise geriet und 1969 schließlich die Macht im Bund verlor. Schon ab 1967 - hier hebt die dritte Phase in der Parteigeschichte an - reformierte sich die CDU zur modernen Mitgliederpartei. Frank Bösch ehrt den jungen Helmut Kohl, der 1973 den Vorsitz der Bundespartei übernahm, vielleicht etwas überschwänglich, aber historisch durchaus zutreffend als einen der "zweifellos größten Reformgeister der Parteigeschichte". Dabei ist Bösch nicht entgangen, dass Kohl strategisch geschickt immer diejenigen "Gremien stärkte, in denen er gerade seine eigene Position ausbaute". Dass er am Ende seiner Karriere genauso wie vor ihm der große Parteigründer Adenauer zum Verteidiger der Tradition wurde, war daraus nur die logische Konsequenz. Dennoch ist die Parallelität im Niedergang dieser beiden herausragenden Persönlichkeiten der Partei unter dem Eindruck der CDU-Spendenaffäre natürlich nicht ohne Pikanterie: So wie der von ihm angegriffene Adenauer musste auch Kohl sich schließlich vorhalten lassen, die Partei autokratisch geführt und ihr ungeachtet aller historischen Verdienste geschadet zu haben. Die Gelegenheit, die Auseinandersetzung zwischen Kohl und Adenauer im Bundesvorstand der Partei an den Anfang seiner bis in die Gegenwart fortgeschriebenen Geschichte der CDU zu stellen, konnte sich Bösch verständlicherweise nicht entgehen lassen.

Zeiten der Regierung sind für eine "Reformpartei", wie Frank Bösch die CDU der siebziger Jahre nennt, nie besonders günstig. Dabei behielt die Partei in Phase vier ihrer Nachkriegsgeschichte zunächst durchaus Züge einer Reformpartei bei. Besonders Generalsekretär Heiner Geißler und die Modernisierer um Warnfried Dettling, Peter Radunski und Wulf Schönbohm in der Bundesgeschäftstelle verkörperten in den achtziger Jahren den Reformanspruch in der CDU. Deren Zeit war jedoch spätestens mit dem gescheiterten "Bremer Putsch" im Jahre 1989 abgelaufen. Nach der Wiedervereinigung, die mit dem für viele damals unerwarteten Ansehensgewinn für Helmut Kohl einen deutlichen Wendepunkt für die CDU als Regierungspartei markierte, entwickelte sich die "Reformpartei" dann immer mehr zur "Kanzlerpartei". Ihre Parteitage nahmen nun zusehends den Charakter von "Krönungsmessen" an, die dem "Kanzler der Einheit" huldigten.

Mit dem Machtverlust 1998 schließlich wurde die fünfte Phase in der Parteientwicklung der CDU eingeleitet. Sie lässt sich noch kaum auf einen Begriff bringen, scheint aber eine Wiederbelebung der nun allerdings organisatorisch, finanziell und in ihren Milieubindungen deutlich entschlackten Partei mit sich zu bringen. Weil die Partei nun auch stärker den Kontakt zu Nicht-Mitgliedern suche, findet Frank Bösch die Selbstcharakterisierung der CDU als "Bürgerpartei" alles in allem "recht treffend".

Ein halbes Jahrhundert, souverän und kompakt

Insgesamt hat Frank Bösch über ein halbes Jahrhundert christdemokratischer Geschichte souverän und kompakt dargeboten. Zeitgenossen werden sich in den überwiegend aus Archivmaterial und Interviews, kaum dagegen aus eigener Anschauung oder Teilnahme gewonnenen Perspektiven des Autors nicht immer wiederfinden. Diese Kritik ist bei aller grundsätzlichen Anerkennung an seinem Buch über die "Adenauer-CDU" gelegentlich geübt worden. Doch besteht in der Objektivierung der erlebten Geschichte durch das Studium der Quellen ja gerade ein - nicht zu gering veranschlagender - Sinn von Geschichtsschreibung. Diesen Weg gegangen zu sein, ist einem jungen Autor, der ja selbst nicht Zeitzeuge gewesen sein kann, schwerlich vorzuwerfen.

Einen besonderen Schwerpunkt widmet Frank Bösch in seinen beiden Büchern dem Thema "Die CDU und die Frauen"; vielleicht konnte das erst einem Angehörigen seiner Generation in den Sinn kommen. Bemerkenswert erscheint jedenfalls, dass die CDU, die als "Männerpartei" lange Zeit zugleich die Mehrheit der Wählerinnen, besonders im katholischen Milieu, erfolgreich ansprach, auf dem Weg zur "Quorumspartei" ihren traditionellen Stimmenvorsprung bei den Frauen eingebüßt hat. Diese Tatsache könnte sich dem Autor zufolge für die CDU noch als das vielleicht schwerste Hindernis auf ihrem angestrebten Weg zurück zur bundesdeutschen Mehrheitspartei erweisen. Vielleicht werden es manche in gar nicht allzu ferner Zeit doch noch bereuen, mit nicht durchweg feinen Methoden Edmund Stoiber gegen Angela Merkel als Kanzlerkandidat der Union durchgesetzt zu haben.

Frank Bösch, Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und München 2002, 312 Seiten, 19,90 Euro

Frank Bösch, Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945-1969, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und Münche 2001, 575 Seiten, 39,80 Euro

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