Vom Ausstieg in den Einstieg - bloß wie?

Das Ende der Atomära in Deutschland ist eingeläutet. Doch eine wirkliche Energiewende schafft die Bundesregierung mit ihren bisherigen Plänen nicht

Beginnt nun endlich die „wahre“ Energiewende? Nachdem noch vor einem halben Jahr das Gesetz über eine Laufzeitverlängerung verabschiedet worden war, hat das Bundeskabinett am 6. Juni 2011 beschlossen, dass bis Ende 2022 alle deutschen Kernkraftwerke schrittweise abgeschaltet werden müssen. Bei allen Unterschieden im Detail ist dieser Beschluss nicht weit vom rot-grünen Ausstiegsgesetz entfernt. Allerdings wird die Regierungskoalition den Test auf die Glaubwürdigkeit ihrer gewandelten Überzeugungen nur bestehen, wenn der Ausstieg von entsprechenden Maßnahmen zur Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien flankiert wird. Wir brauchen eine wirksame Einstiegsstrategie für den Umbau der Energieversorgung.

Auf den ersten Blick wirken die aktuellen Gesetzesinitiativen beeindruckend. Das energiepolitische Paket reicht – neben der Änderung des Atomgesetzes – von der Neuregelung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und der steuerlichen Förderung energetischer Sanierungsmaßnahmen bis zur Beschleunigung des Ausbaus der Elektrizitätsnetze. Bei nüchterner Betrachtung zeigt sich jedoch ein differenzierteres Bild.

Eine wirksame Einstiegsstrategie muss einen ambitionierten Klima- und Umweltschutz mit hoher Energieversorgungssicherheit und dem Atomausstieg verbinden. Drei Elemente sind zentral – Energiesparen, Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Die Gewissheit, dass der Ausstieg kommt, schafft Sicherheit für die erforderlichen Investitionen. Die Energiewende kann durchaus „technologische und ökonomische Chancen für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Wirtschaftsstandort und Exportnation“ eröffnen, wie die Bundesregierung es formuliert.

Gemessen an den Voraussetzungen ist die Wirkungsrichtung der Regierungsvorlagen in Bezug auf die Einstiegsstrategie tendenziell positiv, allerdings entspricht die Wirkungsintensität nicht der Problemdimension. Das beginnt schon beim Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG): Es ist unverständlich, warum das im „alten“ Energiekonzept der Regierung vom September 2010 formulierte Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch bis 2020 auf 35 Prozent zu steigern, nicht angehoben wurde. Ebenso eigenartig ist es, dass sich besondere staatliche Anreize weitgehend auf eine stärkere Förderung der Windenergie offshore konzentrieren sollen, während die Nutzung onshore sogar weniger als bisher unterstützt wird. Ansonsten ändert sich im EEG kaum etwas. Nebenbei sei daran erinnert, dass dieses Kernstück der Einstiegsstrategie ein Kind aus der rot-grünen Regierungszeit ist. Sachgerecht ist es hingegen, die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine bessere Systemintegration der erneuerbaren Energien zu stärken, wie in den Gesetzesentwürfen vorgesehen. Abzuwarten bleibt, ob sich dieses Vorhaben in der Realität durchsetzen lässt.

Merkwürdige Mutlosigkeit

Anders als die solarelektrische bleibt die solarthermische Nutzung nach wie vor ein Stiefkind. Es mutet etwas merkwürdig an, wenn in dem „Eckpunktepapier Energieeffizienz“ des Kabinetts lediglich eine Aufforderung an die Länder ergeht, „für eine wirksamere Umsetzung des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes zu sorgen“. Warum wird das vorhandene Bundesgesetz nicht ergänzt? Die Pflicht zur Nutzung erneuerbarer Energien sollte nicht auf Neubauten beschränkt bleiben, sondern den gesamten Gebäudebestand umfassen. Überhaupt gehört das Eckpunktepapier zu den Schwachstellen des gesamten Pakets. Zwar ist die beabsichtigte steuerliche Begünstigung von Energiesparmaßnahmen bei Wohngebäuden im Grundsatz ebenso zu begrüßen wie das CO2-Gebäudesanierungsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und die energetische Sanierung öffentlicher Gebäude. Aber die vorgesehenen KfW-Mittel sind viel zu gering dimensioniert, um einen signifikanten Beitrag zum angestrebten Ziel zu leisten: der Verdoppelung der Sanierungsrate. Hier sollte die Regierung dem Vorschlag der Deutschen Energie-Agentur folgen und Fördergelder in Höhe von jährlich etwa fünf Milliarden Euro bereitstellen. Allerdings darf die Bedeutung des Gebäudebereichs für die Emissionsminderung auch nicht überschätzt werden. Obwohl für Raumheizung und Warmwasser in Deutschland rund 35 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs verwendet werden, macht der Anteil dieses Segments an allen Kohlendioxid-Emissionen höchstens 15 Prozent aus. Wo bleiben also die Maßnahmen, um die übrigen 85 Prozent abzusenken? Was ist zum Beispiel mit dem Verkehrssektor, der immerhin für fast ein Fünftel der gesamten Emissionen verantwortlich ist? Die „Eckpunkte Energieeffizienz“ verharren mehr in Ankündigungen als in konkreten Maßnahmen. Dies gilt auch für das Ziel, den Stromverbrauch bis 2020 um 10 Prozent und bis 2050 um 25 Prozent zu senken: Eine wirksame Stromeffizienzpolitik steht nach wie vor aus.

Besonders diskussionsbedürftig und weittragend ist die Botschaft des Eckpunktepapiers, die Maßnahmen hätten sich im „Rahmen der wirtschaftlichen Vertretbarkeit“ zu bewegen, wobei deren Bewertung „insbesondere unter Berücksichtigung von Energiepreis- und Zinserwartungen, von Annahmen zur Baupreisentwicklung sowie der wirtschaftlichen Lebensdauer der Gebäude/Gebäudeteile“ vorzunehmen sei. Sollten die Maßnahmen nicht vor allem  daran ausgerichtet werden, ob sie zur Problemlösung und damit zur Erfüllung der Ziele beitragen können?

Ebenso wenig überzeugen die vorliegenden Gesetzentwürfe mit Blick auf die spätestens bis Ende dieses Jahrzehnts zu schaffenden Ersatzkapazitäten. Vorerst besteht angesichts des Kraftwerksbestandes und der sich schon im Bau befindlichen Anlagen kein Anlass zur Sorge. Längerfristig jedoch führt aufgrund des vollständigen Atomausstiegs und der altersbedingten Stilllegung konventioneller Kraftwerke kein Weg daran vorbei, begrenzte Ersatzkapazitäten zu schaffen. Dabei muss vor allem auch der Zubau von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen forciert werden. Die bereits vorgesehene Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes ist ein erster Ansatz, reicht für sich genommen aber nicht aus, um wie angestrebt bis 2020 einen Anteil von 25 Prozent an der Stromerzeugung zu ermöglichen.

Kurzum: Mit dem Gesetzespaket geht die Bundesregierung wichtige Schritte, aber die Urheberin einer „wahren“ Energiewende ist sie nicht. Es bleiben erhebliche Zweifel, ob die Bedingungen für einen friktionsfreien Übergang in die atomfreie Energieversorgung mit den jetzt angestoßenen Maßnahmen schon geschaffen werden. Wenn Änderungen im laufenden Gesetzgebungsprozess nicht mehr durchzusetzen sind, muss spätestens im Rahmen des vorgesehenen jährlichen Monitorings erheblich nachgesteuert werden.

Unabhängig davon sollte Rot-Grün der Novelle des Atomgesetzes zustimmen. Über einen früheren Ausstiegstermin mag man sich streiten, doch sollten sich die politischen Anstrengungen eher auf die Gestaltung einer wirksameren Einstiegsstrategie konzentrieren. Denn damit wird letztlich der Erfolg der Energiewende entschieden – und der Ausstieg aus der Atomenergie abgesichert. «

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