Viel Ente, wenig Tiger

Manche Beobachter erwarteten von der schwarz-gelben Koalition einen völlig neuen außenpolitischen Geist: souverän und verantwortungsbewusst, vorausschauend und progressiv. Inzwischen wächst die Ernüchterung über die Energie- und Ideenlosigkeit der neuen Regierenden

Verspricht die schwarz-gelbe Koalition einen Fortschritt zu bringen für die deutsche Außenpolitik? Das zumindest war und ist noch immer die dringliche Hoffnung vieler unserer Nachbarn und Verbündeten. „Set Angela free“ – dieser Titel des britischen Economist fasste solche Erwartungen vor der Bundestagswahl knappstmöglich zusammen. Gemeint war, in etwa: „Liebe Deutsche, bitte wählen Sie Angela Merkel wieder zur Bundeskanzlerin, aber erlösen Sie sie doch vom Mühlstein des sozialdemokratischen Koalitionspartners. Geben Sie ihr ihren liberalen Wunsch-Koalitionspartner, damit Deutschland endlich eine Außenpolitik nach Maßgabe seines Gewichts in der Welt bekommt: souverän, verantwortungsbewusst, vorausschauend. Das wäre nicht nur wirklich progressiv, sondern auch ein großer Fortschritt für uns alle.“

Das Paradox der deutschen Wiedervereinigung

Nun sind seit der Regierungsbildung gerade einmal drei Monate vergangen – ein bisschen früh, um schon das Fallbeil der Geschichte herunterrauschen zu lassen, und sei es nur rhetorisch. Zwei Dinge lassen sich allerdings schon jetzt sagen. Erstens, der Wunsch nach einer anderen, und, ja, besseren deutschen Außenpolitik ist sehr wohl berechtigt: Deutsche Außenpolitik seit 1989 ist allenfalls episodisch progressiv gewesen. Zweitens, der Regierungswechsel von 2009 hat an diesem Zustand bisher wenig geändert; eine regierungsamtliche Absicht, dies zu ändern, ist nicht recht zu erkennen.     

Denn das ist das Paradox der deutschen Wiedervereinigung: Die deutsche Außenpolitik war nur selten wieder so souverän, verantwortungsbewusst und vorausschauend wie in den vier Jahrzehnten begrenzter Mündigkeit – das gilt auch noch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer. Westbindung, Ostpolitik, Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union, die Überwindung der alten Feindschaften mit Frankreich und Polen, die besondere Verantwortung für Israel, eine großzügige Entwicklungspolitik, und nicht zuletzt das Engagement für die Weiterentwicklung multinationaler Institutionen und des Völkerrechts (alles dies übrigens unter geschickter und entschlossener Wahrung deutscher Interessen): Diese Lehren aus den von Deutschland verschuldeten Katastrophen des 20. Jahrhunderts wurden nach 1949 zu eisernen Konstanten deutscher Außenpolitik. Das war aufgeklärter Altruismus im eigenen Interesse, es war hochgradig strategisch gedacht – und es war im Wortsinne progressiv.

Helmut Kohl vermochte es noch (dank eines besonders unerschütterlichen Koordinatensystems), die deutsche Außenpolitik über die Zeitenwende von 1989 hinaus an diesen Prinzipien auszurichten. Deshalb gelang die Wiedervereinigung mit dem Segen der Völkergemeinschaft; und deshalb konnte er die Überwindung der europäischen Teilung durch die Ausdehnung von EU und Nato mit anstoßen. Die eigentliche Reifeprüfung des wieder-souveränen Deutschlands aber – die Frage nach der legitimen Anwendung militärischer Gewalt – hatte Kohl mit seiner „Salamitaktik“ einer schrittweisen Ausdehnung deutscher Militäreinsätze im Ausland zwar vorbereitet, aber auch hinausgezögert.

Die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder musste dafür gleich dreimal über Bundeswehreinsätze „out of area“ befinden: in den Jahren 1998 (Kosovo), 2002 (Afghanistan) und 2003 (Irak). Ironischerweise war nur eine dieser drei Entscheidungen wirklich frei: die Ablehnung des Irak-Kriegs. Das Ja zu den Nato-Einsätzen im Balkan und am Hindukusch war richtig und entsprach Deutschlands gewachsener Verantwortung. Doch ausgerechnet diese Schlüsselentscheidungen wurden nicht als souveräne Akte, sondern als Folgen externen Zwangs begründet: als moralischer Imperativ (Völkermord im Kosovo verhindern) oder als Bündnispflicht (Solidarität mit den Vereinigten Staaten nach dem 11. September).

Im Übrigen sprach die rot-grüne Koalition auffällig oft von Deutschlands neuer Mündigkeit und den eigenen altruistischen Motiven, stellte aber nur allzu oft das Gegenteil zur Schau. Die Paris-Berliner „Achse“ brachte die EU nicht voran, sondern verstärkte nur die Wirkung amerikanischer Spaltungsversuche. Russisches Gas und chinesische Märkte waren Berlin jeden Alleingang wert, zum Ärger europäischer Partner und zur Enttäuschung von Menschenrechtlern und Dissidenten in Moskau und Peking. Selbstbewusst war das, ohne Zweifel – aber selten souverän, und schon gar nicht progressiv.

Angela Merkel hat schon als Bundeskanzlerin an der Spitze der schwarz-roten Koalition manches getan, um Deutschlands Ruf als verlässlicher und verantwortungsbewusster Partner zu reparieren: Sie pflegte die Beziehungen zu Paris, Warschau, Brüssel und Washington, traf sich aber auch mit dem Dalai Lama und russischen Nichtregierungsorganisationen. Alles andere als progressiv war indes, dass sie die Russlandpolitik im Wesentlichen ihrem sozialdemokratischen Außenminister und dem Ostausschuss der deutschen Wirtschaft überließ; so verhinderte sie gemeinsame EU-Positionen zu Russland oder zur Energiepolitik. Gleiches gilt für den Einsatz in Afghanistan: Das Thema überließ sie ihrem glücklosen CDU-Verteidigungsminister; erst das Luftbombardement von Kundus nötigte ihr eine Regierungserklärung zum Thema Afghanistan ab – samt dem überfälligen Eingeständnis, dass sich die Bundeswehr dort in einem „Kampfeinsatz“ befindet.

Nun hat die Kanzlerin ihren Wunsch-Koalitionspartner und der neue Außenminister seinen Traumjob – und kaum etwas hat sich geändert. Abrüstung, Iran-Sanktionen: Hier gab es große Worte, aber keine Taten. Die neue EU-Kommission: wird als Abschiebebahnhof für einen schwachen Ministerpräsidenten benutzt. China: zum Urteil gegen den Schriftsteller Liu Xiaobo fällt der Regierung nichts ein. Truppen für Afghanistan: Guido Westerwelle fordert stattdessen ein außenpolitisches Gesamtkonzept. Gewiss, Herr Minister – aber wo soll es denn herkommen, wenn nicht aus Ihrem Haus? Bei so viel Energie- und Ideenlosigkeit wird das infantile Bild von der „Tigerenten-Koalition“ plötzlich plausibel. Allerdings ist bisher deutlich mehr Ente als Tiger zu sehen. «

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