Vernunft und Optimismus

Das "Netzwerk Berlin" hat sich am sozialdemokratischen Flügelschlagen des vergangenen Sommers nicht beteiligt. Das war auch gut so. Die Rolle der Netzwerker muss es sein, sich als Kraft des Fortschritts nach vorn zu orientieren

Die Äußerungen unseres ehemaligen „Superministers“ Wolfgang Clement, er würde die hessische SPD nicht wählen, sorgten für viel Aufregung im Sommerloch. Das Parteiordnungsverfahren, das in zweiter Instanz den Ausschluss bedeutete, führte medial verstärkt genau zu dem, was sich die Presse in dieser Zeit wünschte. Befeuert von verschiedenen Wortmeldungen aus den Reihen der SPD vervielfältigte sich die Aufmerksamkeit für Clement. Dabei sind die Fakten ganz klar: Eine Parteischiedskommission wertet das Verhalten eines Mitglieds, nicht dessen Meinungen und Überzeugungen. Und der Aufruf, nicht SPD zu wählen, ist ein Verhalten, das logischerweise in ein Ordnungsverfahren mündet: Ohne ein Mindestmaß an Solidarität kann keine Partei existieren.

Ob ein Ausschluss politisch klug ist, ist eine andere Frage. Wir sind der Ansicht, dass man es bei einer Rüge hätte belassen sollen. Die SPD in Nordrhein-Westfalen war von der Entscheidung der Landesschiedskommission völlig überrascht, und das Urteil war sicher nicht hilfreich. Dass es aber juristisch vertretbar ist, erscheint auch deshalb offensichtlich, weil Clement zunächst erklärt hatte, er würde sich wieder so äußern. Erst sein wohlinszenierter Auftritt mit dem Fahrrad vor der Rheinkulisse war für Clements Verhältnisse tatsächlich eine Entschuldigung. Wir sind optimistisch, dass wir vom Bundesschiedsgericht ein salomonisches Urteil bekommen werden, und dazu gehört selbstverständlich auch, dass Wolfgang Clement SPD-Mitglied bleibt.

Dass die Schiedsgerichtsbarkeit der SPD dabei nicht einseitig ist, zeigt der im April beschlossene Ausschluss des langjährigen Sprechers der Parlamentarischen Linken Detlev von Larcher. Er hatte im hessischen und niedersächsischen Landtagswahlkampf zur Wahl der Linkspartei aufgerufen.

Man kann als SPD-Mitglied gegen den Atomausstieg sein und für neue Kohlekraftwerke. Letzteres ist sogar unsere Beschlusslage, ersteres nicht. Man darf diese Meinung auch als RWE-Aufsichtsrat vertreten. Dies war überhaupt nicht Thema des Parteiordnungsverfahrens – genauso wenig wie die erst kurz vor der Hamburgwahl aufgeflammte Debatte um eine Tolerierung durch die Linkspartei. Auch die Agenda 2010 spielte dabei keine Rolle.

Doch dies alles ist viel zu langweilig und kann kein Sommerloch füllen. Dazu braucht es mehr: eine Auseinandersetzung zwischen dem Agenda-2010-Exponenten Wolfgang Clement und der hessischen SPD-Chefin Andrea Ypsilanti. Dabei konnte man nur erstaunt zusehen, wie auf einmal Wolfgang Clement alleinig zur Galionsfigur der rot-grünen Reformpolitik der Agenda 2010 erklärt wurde – als ob sonst niemand dabei gewesen wäre. Genauso konsterniert konnte man beobachten, wie amtierende Landesvorsitzende und Parteivorstandsmitglieder der SPD erklärten, dieses Parteiordnungsverfahren zeige, dass die SPD nun eine andere Partei sei und eine neue Politik vertrete, die sich vom Kurs der rot-grünen Jahre abwende. Just besonders jene, die zu Beginn der Ära Schröder noch von dem „rot-grünen Projekt“ sprachen. Lang, lang ist’s her ...

Fast schon bedrückend ist zu beobachten, wie sehr der SPD ein organisationsstarkes politisches Zentrum fehlt. Stattdessen wird nahezu jedes Thema reflexhaft in eine parteiinterne Auseinandersetzung zwischen Rechts und Links umgedeutet und von den Protagonisten bereitwillig befeuert. Was wir brauchen, ist Klarheit in der Sache. Wir müssen aufhören, verwirrende Signale an die Menschen zu senden und uns in Flügelkämpfen gegenseitig zu überbieten. Man könnte fast vermuten, die SPD führe Tarifverhandlungen mit oder gegen sich selbst. Nicht nur wer Kommunalwahlkämpfe vor der Tür hat, weiß, dass man damit keinen Blumentopf, geschweige denn Mandate zur politischen Gestaltung gewinnen kann.

Richtig ist: Die SPD hat enorme Schwierigkeiten, ihre Stabilität zu wahren und sich an einem organisatorischen und politischen Zentrum auszurichten. Parteiflügel ohne einen stabilen Körper zerreißen eine Partei. Notwendig ist deswegen eine Kraft, die sich deutlich vernehmbar im Zentrum der SPD positioniert, die sich nicht primär ums eigene Profil sorgt, sondern sich vornehmlich ums Ganze kümmert.

In der Mitte der Partei

Das „Netzwerk Berlin“ sollte sich in Zukunft noch mehr daran beteiligen, diese Kraft zu bilden und diejenigen zu unterstützen, die in diesem Sinne agieren wollen. Die Mehrheit der Parteibasis ist es sicherlich. Das Netzwerk ist das Gegenteil einer reflexartigen Antwort auf die in den vergangenen Monaten scheinbar medial erstarkte Parteilinke. Das sich gegenseitige Befeuern der Polemiken zwischen den Flügeln hilft niemandem, sondern verstärkt die überkommenen und traditionalistisch geprägten Gräben, deren Debatten nicht mehr in die Zeit passen und der SPD nicht weiterhelfen.

Wir dürfen bei der ganzen Diskussion nicht vergessen, dass die SPD in der Vergangenheit immer dann stark gewesen ist, wenn sie das gesamte Spielfeld bespielt hat. Immer wenn wir die Mitte der Gesellschaft angesprochen haben, wurden wir die stärkste Fraktion im Deutschen Bundestag. Dreimal in der Nachkriegsgeschichte gelang dies: 1972 war es Willy Brandt, der die linksintellektuelle Mitte für die SPD begeisterte. 1998 und erneut 2002 war es Gerhard Schröder, der die neue Mitte für uns gewann – jene Menschen, die „hart arbeiten und sich an die Regeln halten“. Deshalb müssen wir in der Partei wieder alle an einem Strang ziehen: von unserem linken bis zu unserem rechten Flügel. Dabei kommt uns Netzwerkerinnen und Netzwerkern eine besondere Aufgabe zu, da wir die Mitte der Partei bilden – und die muss stark und inhaltlich klar positioniert sein.

Uns im Netzwerk muss es darum gehen, die überkommene Links-Rechts-Positionierung zu überwinden, wir müssen uns stattdessen „vorne“ positionieren. Vorwärts, fortschrittlich, zukunftsgewandt, optimistisch, aber ohne die Ängste von Menschen außer acht zu lassen. „Links“ im besten sozialdemokratischen Sinne und in unserer Geschichte, das heißt immer, Fortschritt und Gestaltung zu wollen, Herausforderungen anzunehmen und eben auch, modern zu sein, nicht modernistisch. „Verliebt ins Gelingen“, hat das mal ein kluger Politiker genannt. Rückwärtsgewandte Diskussionen helfen nicht weiter.

Das Netzwerk Berlin hat sich an dem sommerlichen Flügelschlagen und der daraus folgenden negativen Selbstdarstellung nicht beteiligt. Das war auch gut so, auch wenn es weniger Interviews in der Presse bringt. Wir haben versucht, uns als vernunftorientierte Kraft in der Mitte der SPD zu positionieren. Dies gelingt zunehmend besser – in den Medien werden die „reformorientierten Netzwerker“ immer häufiger profiliert wahrgenommen. Mit der Berliner Republik haben wir ein eigenes Debattenmagazin, das für eine zeitgemäße inhaltliche Fundierung und Auseinandersetzung sorgt.

Die althergebrachten Rechts-Links-Reflexe zu bedienen, ist einfach. Dazu bedarf es keiner anstrengenden Auseinandersetzung mit unbequemen Positionen und auch keiner Zeitschrift. Stattdessen brauchen wir einen linken und progressiven Reformismus, der für die besten Traditionen unserer Partei steht und bis auf Bernstein zurückgeht. Diesen aktuell zu beschreiben, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. In die Zukunft zu blicken statt weiter die Gräben von gestern auszuheben, realpolitische Lösungen für die Fragen der Zeit zu finden, gestalten zu wollen – das erwarten die Menschen und unsere Mitglieder von der Politik. Dies zu tun und – was noch schwieriger ist – unaufgeregt zu kommunizieren, ist eine stetige Aufgabe des Netzwerks.

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