Und ja, auch die Chinesen bauen Brunnen

Ex Africa semper aliquid novi: Wie Chinas massive Präsenz in Afrika die Akteure westlicher Entwicklungspolitik zwingt, ihre Arbeit neu zu definieren.

Die Autofahrt vom Flughafen Entebbe in Ugandas Hauptstadt Kampala dauert eine knappe Stunde, wenn der Verkehr mitspielt. Eintönig wird es selbst dann nicht, wenn Staus die Fahrtzeit verdoppeln, denn entlang der Straße brummt die Wirtschaft: Verkaufsflächen kaum größer als zwei Quadratmeter pro Händler, ein Kleinstunternehmen neben dem anderen, eine über Kilometer dicht an dicht gepackte Ladenzeile. Was verkauft man in einem Land, das außer Lebensmitteln, Zement und vielleicht noch ein paar Textilien und Möbeln kaum etwas selbst produziert? Überwiegend Elektronik, Haushaltsgeräte, Fernseher und Mobiltelefone aus China und Indien, massenhaft importiert und zu erschwinglichen Preisen.

Die meisten hier, Händler wie Kunden, sind junge Leute. Südlich der Sahara ist die Hälfte der Bevölkerung jünger als 15 Jahre alt. Der Bildungshunger ist groß, Schulen und Universitäten sind zahlreich und quellen über vor Studierenden, aber Karrierechancen bieten sich auch den besten Absolventen kaum. Jobs gibt es keine, ein staatliches soziales Netz auch nicht, schon gar nicht auf dem Land. Gegen die ganz große Not helfen dort nur lokale Kirchengemeinden oder islamische Organisationen – je nachdem, welche Weltreligion das Sagen hat. Aber auch in den Städten kann man nicht einfach Sozialhilfe beantragen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hat deshalb keine Alternative: Jeder und jede sind selbständige Unternehmer, ein Kontinent voller Entrepreneure. Wer als Diplomchemikerin oder Betriebswirt keine Anstellung findet, verdient fortan den Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Prepaid-Telefonkarten und Sonnenbrillen. Harte Arbeit, zwölf, vierzehn Stunden am Tag. Krank werden sollte man besser nicht.

Von der Entwicklungshilfe, die seit Jahrzehnten aus den Industriestaaten in ihre Länder fließt, bekommt diese junge, aktive, breite Mehrheit der Bevölkerung nicht viel mit. Stiftungen und staatliche Organisationen aus aller Herren Geberländer bieten in Afrika zwar ein paar Arbeitsplätze für lokale Kräfte, sind sich eigentlich aber selbst genug. Viele beschäftigen sich vor allem mit der Rechtfertigung ihrer Tätigkeit gegenüber institutionellen Geldgebern oder Spendern in der Heimat, aber sie arbeiten nicht intensiv daran, sich selbst überflüssig zu machen. Dabei ist genau das spätestens seit der Millenniums-Deklaration der Vereinten Nationen ein erklärtes Ziel der internationalen Staatengemeinschaft. Der Erfolg staatlicher Entwicklungshilfe wird nicht an der Menge des verschenkten Geldes gemessen, sondern daran, wie sehr sich die Situation in den Entwicklungsländern verbessert, bis sie keine finanzielle Hilfe aus dem Ausland mehr benötigen.

Millenniumsziele hin oder her, in der geopolitischen und ökonomischen Analyse herrschte lange Zeit düsterer „Afropessimismus“. So traute Stefan Mair, Afrika-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, um das Jahr 2000 herum den meisten afrikanischen Ländern keine nachhaltige Armutsreduzierung zu, auch nicht in den nächsten „30 bis 50 Jahren“. 2005 sah er in einem Aufsatz das deutsche Interesse an Subsahara-Afrika auf wenige Themen beschränkt, alle ex negativo, etwa „das Potenzial, Flüchtlinge zu generieren, die ihr Heil in Europa suchen“, oder Versuche Englands und Frankreichs, die Kosten ihrer umfangreichen Aktivitäten in den ehemaligen Kolonien auf die Europäische Union abzuwälzen. Solche Aspekte begründeten womöglich punktuell ein politisches Engagement, so Mair, aber eine „halbwegs schlüssige Außen- und Sicherheitspolitik“ gegenüber dieser Weltgegend käme dabei nicht zustande.

»Die Chinesen bringen mit, was Afrika braucht«

Der deutschen Entwicklungszusammenarbeit wirft man eher das Gegenteil vor: Sie sei zu starr strategisch orientiert. Die klassische Entwicklungshilfe hat sich über Jahrzehnte mit einer gewissen Dickköpfigkeit der Aufgabe gewidmet, 80-jährigen Staatschefs und ihrem Parteien- und Beamtenapparat die westliche Sicht einer funktionierenden Demokratie nahezulegen. Dass dieselben Machthaber auch wirtschaftlich von der „official development assistance“ (ODA) profitierten, hat zwar dem demokratischen Prozess in den Ländern nicht viel genützt. Aber den Geberländern verschaffte es genügend Einfluss in der Region, damit die europäische Wirtschaft vor allem bei Rohstoffimporten nicht zu kurz kam. Gescheitert ist indes das Hauptziel der Entwicklungshilfe: die Bekämpfung der Armut. Besonders in Bezug auf Subsahara-Afrika ist es drei Jahre vor der Deadline für die Verwirklichung der Millenniumsziele im Jahr 2015 kaum noch vorstellbar, dass auch nur Ziel Nummer 1 erreicht werden könnte: die Halbierung der Armut von 58 Prozent der Bevölkerung, die 1999 mit weniger als 1,25 Dollar am Tag auskommen mussten, auf 29 Prozent.

Aber mittlerweile ist Schwung in die Debatte über Entwicklungsziele und -programme gekommen. „Europa sollte sich bewusst werden, dass es gegenüber den ärmeren Entwicklungsländern im Wettbewerb um die besten Lösungen mit neuen Akteuren steht“, heißt es im Beschluss des SPD-Bundesparteitags vom Dezember 2011. Gemeint sind die BRIC-Staaten, China allen voran, dann Indien, Brasilien. „Neue“ Akteure sind sie eigentlich nicht: China baute vor vierzig Jahren die tansanisch-sambische Eisenbahn, mit 600 Millionen Dollar damals das größte Infrastrukturprojekt in Afrika. Jedoch ist der Westen erst vor wenigen Jahren so richtig auf sie aufmerksam geworden, seitdem der Umfang ihres Engagements rasant ansteigt. Was zu beobachten ist, folgt kaum den klassischen ODA-Mechanismen: Sehr zum Kummer der Statistiker bei der OECD unterscheidet China noch nicht einmal zwischen Mitteln für staatliche Entwicklungshilfe und solchen, die der Förderung von Direktinvestitionen chinesischer Unternehmen dienen.

Gerade dieses abweichende Verhalten macht die BRICs und weitere Länder wie Südafrika zu attraktiven Partnern der ärmsten afrikanischen Staaten. Ruandas Präsident Paul Kagame brachte es auf die kurze Formel: „Die Chinesen bringen mit, was Afrika braucht“ – Investitionen und Geld. China und die anderen Schwellenländer befördern vor allem den Handel, eröffnen Kreditlinien, die nicht an politische Bedingungen geknüpft sind – und sie investieren massiv in Infrastruktur- und Technologieprojekte. Sie pflegen mit Afrika ein Verhältnis, das die Afrikaner zu ökonomischen Subjekten aufwertet. Vor allem die bedingungslosen Darlehen irritieren die klassischen ODA-Staaten. Befürchtet wird, dass die westliche Demokratieförderung der vergangenen fünfzig Jahre in Afrika ernsthaft bedroht ist, wenn die Vergabe solcher Gelder nicht an „good governance“ oder mindestens die Einhaltung von Menschenrechten gebunden wird. Der Westen besteht darauf, dass die Empfängerländer ihrer moralischen Pflicht genügen.

Hermeneutischer Kolonialismus. Die Deutungshoheit liegt bei denen, die China durchschaut haben und nun die afrikanischen Entwicklungsländer eindringlich davor warnen, sich zu sehr mit den Chinesen einzulassen. Dass andere Motive als die Gier nach Rohstoffen hinter deren Afrika-Engagement stecken könnten, wollen sich viele nicht vorstellen. Vom Afrika-Beauftragten der Vereinigten Staaten, Johnnie Carson, weiß man dank der Internetplattform Wikileaks, wie er über Chinas Präsenz in Afrika denkt: „China ist ein sehr aggressiver und schädlicher wirtschaftlicher Konkurrent ohne jede Moral. China ist nicht aus altruistischen Gründen, sondern um seiner selbst willen in Afrika.“ Das klingt nur halb so naiv, wie es ist: Altruismus gilt tatsächlich als eine der Triebfedern klassischer Entwicklungshilfe. Dabei auszublenden, wie viel von dieser Hilfe über Berater, Baufirmen oder andere Unternehmen wieder zurück ins eigene Land fließt, muss sehr anstrengend sein.

Sozialdemokratische Entwicklungspolitiker, die sich derzeit einer veränderten Analyse anverwandeln, sehen das bereits deutlich differenzierter. „Dreieckskooperationen“ will das im Juni 2011 erschienene Afrika-Papier der SPD-Bundestagsfraktion „trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise“ beibehalten. Strenggenommen müsste diese Form der Entwicklungskooperation mit Schwellenländern, die in Afrika aktiv sind, erst einmal intensiviert werden, denn bislang sind Anzahl und Volumen solcher Projekte bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) überschaubar. Ziel muss eine Einbeziehung aller Staaten und aller Lösungswege in die internationale Entwicklungsarchitektur sein, betont der SPD-Parteitagsbeschluss vom Dezember 2011, um den Forderungen der Entwicklungsländer nach „erleichtertem Handelsaustausch und Technologietransfer sowie Finanzhilfen und ungebundenen Beratungsleistungen“ gerecht zu werden. Die Skepsis gegenüber der mangelnden Transparenz vieler Süd-Süd-Projekte ist nicht ohne Berechtigung, aber die jährliche Vergabe von 5.000 Stipendien der chinesischen Regierung an Studierende aus Afrika gehört sicher zu Beispielen allerbester Praxis.

Für China ist Afrika zuallerst ein Absatzmarkt

Das Engagement der Chinesen in Afrika war und ist nicht makellos, was Bestechung oder andere Formen der Vorteilsnahme angeht. Im Vergleich zu staatlichen Entwicklungsprogrammen landen aber die finanziellen Mittel, die aus China nach Afrika fließen, vielleicht seltener in den Taschen korrupter Eliten, weil sie zunächst den eigenen kommerziellen Interessen dienen, die anders gelagert sind, als man denken könnte: Tatsächlich geht es China in Afrika nur zum Teil um die eigene Versorgungssicherheit mit Rohstoffen. Selbst arme Länder sind aus Sicht chinesischer Händler zuallererst ein Absatzmarkt für ihre eigenen Produkte, der sich trotz bescheidener Erlöse immer noch lohnt. Es sind überwiegend kleine Unternehmen und vor allem viele chinesische Einwanderer, die sich auf eigene Rechnung und ohne staatlichen Auftrag in Afrika ansiedeln. Sie betreiben Supermärkte, verkaufen auf eigene Faust importierte Handys, Schreibgeräte oder gebrauchte Autos, oder sie exportieren Schrott aus Afrika zwecks Recycling in der chinesischen Stahlindustrie. In einigen afrikanischen Ländern genießen sie mittlerweile einen besseren Ruf als andere Ausländer, weil die chinesischen Migranten als ähnlich bodenständige, hart arbeitende Leute gelten wie die Einheimischen selbst.

Auch sind nicht alle staatlich geführten Entwicklungsprojekte der Chinesen im Rohstoffsektor angesiedelt oder laufen zwangsläufig unter dem Motto „infrastructure for commodities“. Preisgünstige Wohnbauprojekte auf den Seychellen, in Mosambik, in Angola und Äthiopien haben die Wohnbedingungen der Einheimischen verbessert. Und ja, auch die Chinesen bauen Brunnen: Ihre Bohrungen in Nigeria, im Senegal und in Äquatorialguinea haben das Wasserproblem der örtlichen Bevölkerung behoben. Die Verträge für Infrastrukturprojekte dieser Art werden so abgeschlossen, dass chinesische Unternehmen mit der Durchführung betraut werden, die sich über eine zweifelsfrei gesicherte Finanzierung eines fetten Auftrags freuen dürfen. Sind sie fertig, hinterlassen sie eine moderne, den Bedürfnissen der Menschen vor Ort angemessene und funktionierende Infrastruktur, zusammen mit gut eingewiesenem einheimischem Personal – und mit der Aussicht, in einer Umgebung soliden Wachstums weiterhin gute Geschäfte machen zu können.

Der SPD und auch den übrigen europäischen Sozialdemokraten ist bewusst, dass Europa zuallererst der eigenen Kohärenzverpflichtung aus dem Lissabon-Vertrag nachkommen muss. Der Parteitagsbeschluss zur sozialdemokratischen Entwicklungspolitik bemängelt, dass „bisher weder Agrar-, noch Handels-, Wirtschafts-, Technologie- oder Energiepolitik der EU entwicklungsfreundlich, sondern protektionistisch“ ausgerichtet sind. Die Exportsubventionen für europäische Agrarerzeugnisse müssen endlich aufgegeben werden, bekräftigt die SPD-Bundestagsfraktion. Und dass die EU-Fischereipolitik den Fluch der somalischen Piraten erst heraufbeschworen hat, ist auch jedem klar. Am wichtigsten aber ist die Einsicht, dass sozialdemokratische Entwicklungspolitik zukünftig auf die Jugend Afrikas und auf die Kooperation mit Gewerkschaften sowie national und regional operierenden afrikanischen Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) ausgerichtet sein muss.

In nahezu allen afrikanischen Ländern, auch südlich der Sahara, gibt es eine zivilgesellschaftliche Basis, die als Partner der Entwicklungszusammenarbeit eine echte Alternative zu den bisherigen Eliten darstellt. Bis auf Ausnahmen wie Niger oder die Zentralafrikanische Republik, in denen zivile Organisationen weder Stimme noch Struktur besitzen, kommen die zukünftigen Wortführer der wirtschaftlichen und politischen Emanzipation aus den Reihen solcher NGOs. Ihr zunehmender politischer Einfluss resultiert auch aus einer gewandelten Öffentlichkeit: Korruption lässt sich viel leichter aufdecken, wenn man über eigene Internet-Radiostationen oder Social Media die Katze aus dem Sack lassen kann. Auch wenn gleichgeschaltete Medien weiterhin versuchen, Skandale zu vertuschen, lässt sich der Informations- und Meinungsaustausch nicht mehr verhindern. Drei Abgeordnete des ugandischen Nationalparlaments – aus der Regierungspartei, wohlgemerkt – haben im Herbst 2011 Bestechungen transparent gemacht und das System damit tief erschüttert. Sie veröffentlichten Dutzende von Seiten eines Geheimvertrags, mit dem die Schürfrechte eines neu entdeckten Ölfelds im Westen Ugandas einem irischen Unternehmen zugeschanzt werden sollten. Bis vor wenigen Jahren wären die Parlamentarier vielleicht zum Abendessen in den Präsidentenpalast eingeladen und mit Geldgeschenken oder Gewaltandrohung zum Schweigen gebracht worden. Heute weiß das ganze Land schon längst Bescheid, bevor die alten Machthaber überhaupt damit beginnen können, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Elitenkorruption? Vielen Afrikanern ist das egal

Der neoliberale kenianische Think-Tank-Gründer James Kishwati ist immer für steile Thesen gut, aber eine davon klingt durchaus plausibel: Viele Afrikaner interessiere die Korruption ihrer Eliten gar nicht, weil es nicht ihr Geld sei, das da beiseite geschafft wird. Die Millionen, die auf den Schweizer Konten der Machthaber landen, stammen aus Mitteln der Entwicklungshilfe, die nie ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt wurden. Wer den ärmsten afrikanischen Ländern nachhaltig helfen will, muss neue Wege gehen. Der Westen besitzt weder die älteren, noch bessere, noch per se effizientere Mechanismen zur Armutsreduzierung und wirtschaftlichen Entwicklung. Deshalb ist es richtig, dass die Sozialdemokraten sich dazu bekennen, die Stellung zivilgesellschaftlicher Gruppen zu stärken, vor allem auch solche, die sich für Frauen- und Arbeitnehmerrechte einsetzen.

An Projekten, die sich für Afrika lohnen würden, mangelt es nicht. Sowohl die chronischen Engpässe in der Versorgung mit Elektrizität als auch der Klimawandel schaffen in allen afrikanischen Ländern dringenden Bedarf an Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen. Was spricht also dagegen, deutsche Photovoltaik-Unternehmen bei Projekten in Afrika zu unterstützen? Der traditionelle sozialdemokratische Ansatz ist das vielleicht nicht, aber wer vor pragmatischen Ideen die Augen verschließt, schadet damit sowohl den Entwicklungsländern als auch sich selbst. Die SPD muss sich stets bewusst sein, dass deutsche Entwicklungspolitik werte- und interessengeleitet ist. Solange es gemeinsame Interessen der Geber- und Zielländer sind, ist das auch gut so.

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